Bankenkrise: Angst, Zeitbomben und die Gefahr der Größe

1. Am Anfang ist die Angst

Noch während jeder rätselt, wie groß diese Bankenkrise wird, muss die Frage nach der Ursache gestellt werden. Wo hat das alles angefangen und vor allem – warum? Die Antwort liegt im Jahr 2022, als die Zentralbanken in den USA und Europa begonnen haben, ihre Leitzinsen anzuheben, um damit die hohe Inflation zu begrenzen, eine weitgehend unumstrittene Maßnahme. Der Krieg in der Ukraine hatte die Energiepreise in die Höhe getrieben, und da man Energie für fast alle anderen Güter und Dienstleistungen benötigt, wurde alles sehr schnell sehr teuer.

Die Notenbanken reagierten darauf, indem sie die Kosten für Kredite erhöhten – allerdings taten sie das in sehr kurzer Zeit. Der Leitzins der Europäischen Zentralbank stieg von 0 auf jetzt 3,5 Prozent in weniger als einem Jahr. Das wirkt sich auf die Zinsen der Banken aus: Wer heute zu einem Kreditinstitut geht, um sich Geld etwa für einen Hauskauf zu leihen, muss dafür fast dreimal so hohe Zinsen zahlen wie noch vor einigen Monaten. Die Zentralbanken hoffen so, die Nachfrage im Immobilienmarkt und in anderen Wirtschaftsbereichen zu senken – und damit auch die Preise. Das aber kann unerfreuliche Nebenwirkungen haben.

Los ging es in den USA mit der Silicon Valley Bank. Schon Wochen und wahrscheinlich Monate, bevor die Bank kollabierte, war da die Angst. Und diese Angst war eng verknüpft mit den stark gestiegenen Zinsen. Gerade jene Unternehmen aus dem Start-up-Bereich, die vornehmlich Kunden der Silicon Valley Bank waren, hatten mit den steigenden Zinsen ein zunehmendes Problem, sich günstig Geld zu beschaffen. Das schnelle Wachstum vieler Start-ups funktioniert nur mit ebendiesem günstigen Geld. Geht es aus, müssen sie verstärkt auf ihre Reserven zurückgreifen. Und die lagen häufig bei der Silicon Valley Bank auf dem Konto. Je mehr Kunden ihr Geld also von der Bank holten, weil sie selbst in Finanzierungsschwierigkeiten waren, desto mehr geriet auch die Bank in solche Schwierigkeiten. Ihr ging die Liquidität aus. Sie hatte die Kundengelder vor allem in Staatsanleihen investiert, die sie nur mit einem kräftigen Verlust verkaufen konnte. Und das begann sich herumzusprechen.

Hier kommt die Angst nun völlig zum Tragen und sie pflanzt sich von selbst fort. Erfahren die Kunden einer Bank, dass ihr Institut, auf das sie vertrauen, Geldprobleme hat, versuchen sie natürlich, ihre Einlagen möglichst schnell abzuziehen. Das nennt man Bankrun und der zeigt sich irgendwann auch auf der Straße, wenn sich Warteschlangen vor den Geldautomaten bilden. Bei der Silicon Valley Bank wurde aus dem Gerücht eine Gewissheit, als die Bank verzweifelt versuchte, sich am Kapitalmarkt neues Geld zu beschaffen. Doch da war der Untergang bereits besiegelt, weil niemand mehr dem Institut Geld leihen wollte.

Bei der Schweizer Großbank Credit Suisse (CS) hat die Angst ebenfalls eine maßgebliche Rolle gespielt. Auch hier verloren die Kunden das Vertrauen in die schlecht gemanagte Bank. Sie hoben im vergangenen Geschäftsjahr umgerechnet rund 124 Milliarden Euro ab. Die gestiegenen Zinsen waren hier jedoch nicht wie bei den Start-ups in den USA auch eine Ursache für den Bankrun, vielmehr hoben die Kunden ihr Geld ab, weil die Angst aus den USA in die Schweizer Bergwelt hinüberrollte: Anleger verloren das Vertrauen in Bankaktien – und dann trifft es zuallererst das schwächste Glied, eben die skandalumwitterte Credit Suisse.

2. Staatsanleihen können eine Zeitbombe in Bankenportfolios sein

Eigentlich gelten Anleihen als sicherer Hafen. Sie sollen dem Depot Stabilität verleihen, ein Gegengewicht bilden zu riskanteren Investitionen wie etwa Aktien. Besonders Staatsanleihen gelten als sicher, weil der Staat im Notfall bürgt. „Das Ausfallrisiko bei Anleihen des deutschen Staates ist noch niedriger als das von Einlagen bei deutschen Banken“, sagt Niels Nauhauser, Finanzexperte bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Gleichzeitig sorgt die Zinswende dafür, dass Anleihen seit diesem Jahr so lukrativ sind wie selten zuvor. Viele Expertinnen und Experten raten daher jetzt dazu, sie jetzt zu kaufen.

Nicht zuletzt aufgrund ihrer vermeintlichen Risikofreiheit parken viele Banken einen Großteil ihrer Kundengelder daher in Staatsanleihen. Laut EZB machten im Jahr 2021 die Staatsanleihen von europäischen Banken rund 1,9 Billionen Euro aus, rund sechs Prozent der Bilanzsumme. Ein Trugschluss: Ausgerechnet die Dynamik aus steigenden Zinsen und hohen Anleihebeständen wurde Banken wie der Silicon Valley Bank (SVB) oder der Signature Bank New York zum Verhängnis.

Die Rendite von Anleihen berechnet sich nicht nur aus dem Zins, sondern auch der Nachfrage am Markt. Sie sind auch an der Börse handelbar, ihr Kurs und damit Wert kann steigen und sinken. Wie bei einem echten Kredit bekommen Anleihekäufer den Nennwert der Anleihe nach einer bestimmten Laufzeit wieder zurückgezahlt. In der Zwischenzeit erhalten sie dafür einen festen Zins vom Ausgeber der Anleihe, den sogenannten Kupon. Der Kurs einer Anleihe sinkt in der Regel, wenn die Zinsen anziehen. Dann sind ältere Anleihen, die sich niedriger verzinsen, für Investoren weniger interessant.

An sich kein Problem, solange Banken nicht vor Ende der Laufzeit auf das investierte Geld zugreifen und die Anleihen verkaufen müssen. Genau dieses Szenario hat die Silicon Valley Bank nicht kommen sehen: Die SVB etwa einen Großteil des Geldes in vermeintlich sichere Staatsanleihen investiert, viele davon mit einer durchschnittlichen Restlaufzeit von etwa sechs Jahren. Seit die Fed den Leitzins im Frühjahr 2022 um rund 4,5 Prozent angezogen hat, haben diese Anleihen extrem an Wert verloren. Ein Verlust, der allerdings nur in den Büchern steht und kein Problem ist, solange die Bank genügend liquide Mittel hat, um ihre Kundinnen und Kunden auszuzahlen. Als jedoch Investoren nervös wurden und ihre Einlagen zurück haben wollten, musste die Bank die Anleihen verkaufen und eben jene Kursverluste realisieren.

Europäische Geldinstitute stehen letztlich vor einem ähnlichen Problem, denn auch die EZB hat den Leitzins deutlich erhöht. Und auch die europäischen Banken haben über die vergangenen Jahr verstärkt in Staatsanleihen investiert, die sie derzeit nur mit hohen Verlusten veräußern können. Wie hoch das Risiko bei manchen Banken sein könnte, zeigen folgende Zahlen: Die Sparkassen haben allein im vergangenen Jahr fast acht Milliarden Euro auf festverzinsliche Wertpapiere, darunter Staatsanleihen, abgeschrieben, die Genossenschaftsbanken 5,8 Milliarden Euro. Wie viel davon allein auf Staatsanleihen zurückzuführen ist, lässt sich nicht beziffern.   

3. Die Credit Suisse ist in einen perfekten Sturm geraten

Der Absturz der Credit-Suisse-Aktie vergangenen Mittwoch schien genau das zu bestätigen, was viele befürchtet hatten: Das US-amerikanische Bankenbeben erreicht Europa. Bloß ist der Untergang der Credit Suisse eine ganz andere Geschichte als die der US-amerikanischen Pleitebanken rund um die Silicon Valley Bank. Zwei Wörter waren im Fall der Credit Suisse entscheidend dafür, um Kundengelder in Höhe von 700 Milliarden US-Dollar zu gefährden. Ammar Abdul Wahed Al Khudairy, Präsident der saudischen Nationalbank (SNB) und größter Einzelaktionär, antwortete in einem Bloomberg-Interview auf die Frage, ob er der Bank noch frisches Geld geben würde, mit „absolutely not„, absolut nicht. In Folge zogen Investoren massiv ihr Geld ab. Der Aktienkurs der CS brach allein vergangene Woche um über 30 Prozent ein. Strukturelle Gründe wie die jetzt stark steigenden Zinsen oder der hohe Anleihebestand sind dafür eher nachrangig. Auch die Eigenkapitalquote ist mit 14 Prozent in Ordnung, die Credit Suisse galt als solide finanziert. Wann genau die Bank ins Straucheln geraten ist, lässt sich nur schwer zurückdatieren, einige Expertinnen gehen allerdings vom Jahr 2019 aus. Der sogenannte Spygate-Skandal, bei dem Tidjane Thiam, der damalige Credit-Suisse-CEO, seinen Leiter der internationalen Vermögensverwaltung, Iqbal Khan, bespitzeln ließ, schadete dem Ansehen der Bank massiv. Der damalige Privatdetektiv von CEO Thiam beging Suizid. Es folgten weitere schlechte Entscheidungen: Die Insolvenz des Hedgefonds Archegos oder auch die Pleite des Finanziers Greensill Capital 2021, mit dem die Credit Suisse kooperiert hatte, kosteten die Credit Suisse Milliarden. Noch im selben Jahr fällte die Finanzaufsicht über die Credit Suisse ein vernichtendes Urteil. Das Geldinstitut habe „gravierende Mängel in der Betriebsorganisation“ und darüber hinaus das Schweizer Aufsichtsrecht „schwer verletzt“.

Mit Rückendeckung des Schweizer Staates hat Konkurrent UBS jetzt das kriselnde Kreditinstitut übernommen. Schließlich zählte die Credit Suisse zu den Instituten weltweit, die als systemrelevant, als too big to fail gelten. Doch genau diese vermeintlich rettende Übernahme beruhigt die Märkte nicht. Zwar hat die Übernahme den tiefen Fall der Aktie gestoppt, allerdings sorgen vor allem die Additional-Tier-1-Anleihen (AT1) für zusätzlichen Unmut unter Investoren. AT1 sind sogenannte Nachranganleihen, die in Aktien umgewandelt oder komplett abgeschrieben werden können, wenn eine Bank saniert werden muss. Anders als Aktionäre erleiden Inhaber von AT1 einen Totalverlust, insgesamt verlieren die Investoren mehr als 16 Milliarden Euro.

4. „Too big too fail“, das gilt immer noch

Da ist sie wieder, die Systemrelevanz, die in der Corona-Krise noch für die Lebensmittelbranche galt oder für das Gesundheitswesen. Jetzt aber hat sie den bedrohlichen Charakter zurück, der schon in der Finanz- und Staatsschuldenkrise vor Jahren aus diesem Begriff sprach. Als systemrelevant gilt hier, wer zum Scheitern zu groß ist – also too big to fail. Wie jetzt in der Schweiz die marode Credit Suisse, die gerettet wurde, auch weil sie auf der Liste der 30 Kreditinstitute steht, die weltweit als systemrelevant eingestuft werden.

Die Entscheidung darüber, wer als systemrelevant gilt, trifft das Financial Stability Board, kurz FSB. Dieser Finanzstabilitätsrat ist eine internationale Organisation, die von den G20-Staaten eingesetzt wurde, um Risiken im Finanzsektor zu erkennen. Der Rat soll eben jene Banken und Finanzinstitute identifizieren, die wegen ihrer Größe so stark mit der Realwirtschaft und untereinander verbunden sind, dass eine Insolvenz dieser Institute ganze Volkswirtschaften in eine schwere Krise werfen könnte. Auf dieser Liste steht für die Schweiz neben der Credit Suisse auch die Großbank UBS. Aus Deutschland gibt es übrigens nur ein Institut, das dem Finanzstabilitätsrat zufolge als systemrelevant gilt: die Deutsche Bank.

Aber was bedeutet Systemrelevanz konkret für den aktuellen Fall der Credit Suisse und damit jetzt auch für die UBS? Fest steht, dass durch die Übernahme in der vergleichsweise kleinen Volkswirtschaft Schweiz ein Finanzmammut entsteht, der nur noch schwer staatlich einzuhegen ist. Vor der Fusion betrug die Bilanzsumme der UBS umgerechnet rund 1.030 Milliarden Euro, die Bank hatte mehr als 72.000 Beschäftigte. Die Credit Suisse wiederum hatte bisher etwa 50.000 Beschäftigte und kam umgerechnet auf eine Bilanzsumme von 535 Milliarden Euro. Sicherlich werden durch die Übernahme diese Zahlen kleiner, dennoch wird dem Schweizer Staat damit ein Unternehmen gegenüberstehen, das aufgrund seiner schieren Größe und Bedeutung und eben aufgrund seiner Gefährlichkeit ein hohes Erpressungspotenzial besitzt. Das wiederum, so geht die Theorie, lässt innerhalb solcher Megabanken den Druck sinken, riskante Geschäfte zu meiden und sich an die Regeln zu halten. Schließlich weiß man, dass im Zweifel am Ende immer die Notenbanken beziehungsweise der Staat zur Rettung einspringen wird. Zumal diese systemrelevante Bank nur von den Schweizer Behörden beaufsichtigt wird, sie untersteht nicht der Bankenaufsicht der Europäischen Zentralbank.

Das Versprechen aus den vorherigen Bankenkrisen, dass keine Steuergelder mehr zur Bankenrettung eingesetzt werden, ist bislang nicht eingelöst worden – vielleicht auch, weil es aufgrund der Größe der Banken inzwischen schlicht nicht mehr umsetzbar ist, dass nur Aktionäre und Investorinnen haften. Umso wichtiger ist es, dass Banken mit einer höheren Besteuerung ihren fairen Anteil leisten.