Bahnverspätungen: Nur noch jeder zweite ICE ist pünktlich

Die Reiseerfahrung am kleinen Bahnhof vor den Toren Frankfurts war abermals ein Reinfall: Gleich zwei Regionalexpresszüge, die nur im Stundentakt verkehren, fielen am Morgen nacheinander aus. Manch einer der stehengelassenen Pendler verließ nach eineinhalb Stunden – immer wieder vertröstet von automatischen Ansagen, wonach die Bahnen lediglich eine oder fünf oder später dann 20 Minuten Verspätung hätten – desillusioniert das Gleis und machte sich zurück auf den Heimweg, ins Homeoffice. Voller Zweifel, dass die Deutsche Bahn die Berufstätigen an diesem Tag noch irgendwann zur Arbeit in die Finanzmetropole bringen könnte.
Völlig klar: Ein regionales Streiflicht und kein valider Hinweis auf die Situation der rund fünf Millionen Reisenden, die tagtäglich in etwa 22.500 DB-Zügen unterwegs sind. Doch ein Blick in die jüngste Monatsstatistik der Deutschen Bahn in Sachen Pünktlichkeit offenbart: Die Lage war noch nie so ernst – so zumindest hätte es wohl Altbundeskanzler Konrad Adenauer formuliert. Denn im Oktober erreichten nur noch 51,5 Prozent der ICE- und Intercity-Züge pünktlich ihr Ziel, wie zuerst die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete. Dabei wird keine Fahrplanankunft auf die Sekunde vorausgesetzt. Jeder mit bis zu fünf Minuten und 59 Sekunden Verspätung erreichte Stationshalt wird in der DB-Definition als pünktlich gezählt.
Verspätungen bis 15 Minuten sind noch okay
Ob die jetzt verbuchten 51,5 Prozent tatsächlich ein neues absolutes Monatstief darstellen, ist mit Blick auf eine fehlende zusammenhängende Quelle seit dem Start der Deutschen Bahn im Rahmen der Bahnreform von 1994 schwierig zu ermitteln. Von Seiten des Staatskonzerns gibt es dazu keine Auskunft. Fakt ist jedoch: In diesem Jahr hat sich die Pünktlichkeit sowohl im Regional- als auch im Fernverkehr mit wenigen Ausnahmen fast durchgängig und drastisch verschlechtert. War im Januar einer von drei ICEs verspätet, so ist es aktuell fast jeder zweite. Auch im deutlich besser aufgestellten Nahverkehr geht es mit der Pünktlichkeit zunehmend bergab – zwischen Januar und Oktober um fast sechs Prozentpunkte auf 85,1 Prozent.
Über die Gründe schweigt sich die Bahn offiziell aus. Wer aktuell nachfragt, erhält eine mehr als dürftige Information: Man äußere sich „derzeit nicht inhaltlich“. Freilich hat das Topmanagement in der Vergangenheit immer wieder dieselbe Diagnose gestellt. Die Infrastruktur sei zu alt, zu voll und zu störungsanfällig, und dies bremse einen reibungslosen Zugverkehr aus. Dagegen arbeitet man zwar im Rahmen einer milliardenschweren sogenannten Generalsanierung von rund 40 hochbelasteten Gleisabschnitten im 34.000 Kilometer langen Netz. Doch es dauert bis 2036, bis eben jene Bauarbeiten abgeschlossen sind. Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) hat zudem kürzlich die Ziele der Bahn zurückgeschraubt. Demnach soll erst bis Ende 2029 die Pünktlichkeit im Fernverkehr auf mindestens 70 Prozent steigen.
Relativ düster sieht es auch mit der sogenannten Reisendenpünktlichkeit aus, die die DB neben der „betrieblichen“ Zugpünktlichkeit ermittelt. Sie weist die pünktliche Ankunft von Fahrgästen am gebuchten Zielbahnhof aus, wobei eine Verspätung bis 15 Minuten als noch okay gilt und auch – siehe Frankfurts stehengelassene Pendler – ausfallende Züge einfließen. Diese Reisendenpünktlichkeit erreichte im Oktober im Fernverkehr nur noch einen Wert von 57,3 Prozent. Im Januar waren es 72,7 Prozent gewesen.