Axel Ranisch inszeniert Prokofjews Oper „Der Spieler“ in Stuttgart

Die Bärtierchen können nichts dafür. Mit ihnen haben Menschen einst das Mondambiente kontaminiert und ihre mutierten Nachfahren nun als Dienstpersonal versklavt. Menschen? Nein, nur einige superreiche und maximal dekadente Restexemplare dieser auf der Erde selbst verschuldet dem Untergang geweihten Spezies, die es sich jetzt auf dem Mond in einem Vergnügungspark gut gehen lassen. Axel Ranisch hat an der Staatsoper Stuttgart Sergej Prokofjews Vierakter „Der Spieler“ in ein lunares Las Vegas versetzt, das wie Kurt Weills Wüstenstadt Mahagonny auf Sand gebaut wurde.

Vor der Pause inmitten der zweieinhalbstündigen Vorstellung erstreckt sich auf Saskia Wunschs Bühne eine extraterrestrische Landschaft. Zu filmreif aufschäumenden Orchesterklängen wird ein bühnenbreiter Bretterbogen mit blinkenden Farblämpchen hochgezogen. Kein Zweifel: Wir sind im Kino, irgendwo zwischen Hollywoodglamour und früher Stummfilmzeit.

Als der junge Prokofjew seine Oper „Der Spieler“ nach dem gleichnamigen Roman von Fjodor Dostojewski in den Jahren vor der Oktoberrevolution komponierte, war an eine Aufführung nicht zu denken. Dabei wäre das Sujet brandaktuell gewesen. Während sich der Zusammenbruch der alten Gesellschaftsordnung bereits abzeichnet, leistet sich eine bunte Truppe von abgetakelten Reichen und Schönen aus dem Zarenreich den Tanz auf dem Vulkan.

Alles dreht sich ums Roulette

Zwielichtige Gestalten sitzen in einem Hotel und vertreiben sich die Zeit beim Roulette. Ein abgebrannter General vergnügt sich mit der Halbweltdame Blanche. Da der große Gewinn im Kasino ausbleibt, muss er sich immer wieder Geld von einem dubiosen Marquis leihen. Der arme, als Hauslehrer beim General angestellte Alexej verliebt sich unsterblich in dessen Stieftochter Polina, die ihn aber für ihre Zwecke ausnutzt. Jeder taktiert hier im eigenen Interesse. Der General spekuliert auf das Erbe einer alten Verwandten, doch statt der ersehnten Todesnachricht stellt sich die kränklich geglaubte Babulenka zu seinem Entsetzen persönlich ein und verjubelt ihr ganzes Vermögen am Spieltisch.

Ranisch, als Film- wie als Opernregisseur gleichermaßen erfolgreich, hat seinen Phantasieplaneten mit ziemlich durchgeknalltem Personal bevölkert. Die Kostüme von Claudia Irro und Bettina Werner sind aus lächerlichen Reststücken repräsentativer Garderoben zusammengeflickt. Obwohl man allenthalben schon Federn lassen musste, versucht man das Gesicht zu wahren. Auf dünnen Beinchen trippeln die niedlich vermummten Bärtierchen umher und bieten Sichtschutz, wenn die Herrschaften sich untenrum massieren lassen. Bei ihrer Abreise in einer Papprakete wird Babulenka mit Winkewinke verabschiedet.

Nach der Pause kommt die Inszenierung in Fahrt

Allem satirischen Theaterübermut zum Trotz tritt Ranischs Inszenierung in den ersten drei Akten etwas auf der Stelle. Um so fulminanter gerät nach der Pause das Finale. Zunächst treffen sich Alexej und Polina in einer Art unterirdischer Kathedrale. Im Vordergrund vollziehen die Bärtierchen ein Ritual. Plötzlich kommt Leben in die Bude. In der Bühnenmitte wird ein riesiges Feld mit Roulettekessel enthüllt. Die pseudosakral anmutende Halle entpuppt sich als Spielhölle. Von allen Seiten stürmen Leute in schwarzer Cowboykluft herein. Hektisches Gerenne auf der Bühne sorgt für Dramatik und Spannung.

Auch musikalisch gelingt nun eine grandiose Massenszene mit Manuel Pujols brillant auftrumpfendem Chor. Nicholas Carter – er wird im Sommer 2026 als Nachfolger von Cornelius Meister neuer Generalmusikdirektor der Stuttgarter Oper – entfesselt diesen rasenden Tanz ums Goldene Kalb als permanenten Erregungszustand. Mit schrillen Trillern, wildem Holzbläsergewusel und enthemmten Tubafürzen gerät das präzis geführte Orchester derb außer sich, entfacht karikativ grellen Lärm. Klumpige Dissonanzen treiben die Gier ins Fortissimo. Rhythmisch stampfend verkündet tiefes Blech den vergifteten Traum von Glück.

Goran Jurić als selbstverliebter General, Aušrinė Stundytė – die überragende Elektra der Salzburger Festspiele – als burschikose, sopranfest aufblühende Polina, Daniel Brenna als hitzig singender Alexej, die Mezzosopranistin Véronique Gens (viele Jahre lang eine begnadete Lyrikerin des französischen Liedes) als schräge, stimmlich stabile Babulenka, Elmar Gilbertsson als Marquis ein langbeiniges Sensibelchen und Stine Marie Fischer als laszive Blanche – sie alle möchten diesen Traum teilen.

Nur Shigeo Ishino als baritonal seriös tönender Astley im goldgelben Anzug schaut ruhig dem Höllenspuk zu und präsentiert am Ende als moralisierender Mephisto die Rechnung für die verkauften Seelen.

Source: faz.net