Asylrecht: Grünen-Parteiführung uneinig über EU-Asylkompromiss

Der Asylkompromiss der EU-Mitgliedstaaten zur Begrenzung des Zuzugs von Flüchtlingen wird von Politikerinnen und Politikern der Grünen unterschiedlich bewertet. Vizekanzler Robert Habeck verteidigte die Einigung trotz aller Vorbehalte, die Parteiführung ist gespalten. „Dass die EU trotzdem zusammenfinden kann, ist gerade in einer Zeit, in der wir als Union zusammenstehen müssen, ein Wert“, sagte Habeck am Abend in Berlin der Nachrichtenagentur dpa. „Ich habe hohe Achtung vor denen, die aus humanitären Gründen zu anderen Bewertungen kommen. Ich hoffe, sie sehen auch, dass es Gründe gibt, dieses Ergebnis anzuerkennen.“

Der Kompromiss sei „das Ergebnis harten Ringens und schwerer Abwägungen“ und „sehr schmerzhaft“, sagte Habeck. Er bedauere, dass Familien nicht pauschal von Asylvorprüfungen an den EU-Grenzen ausgenommen werden sollen und hoffe, dass Vertreterinnen und Vertreter des Europaparlaments und der EU-Kommission noch Verbesserungen aushandeln könnten. „In jedem Fall bleibt es unsere Aufgabe, weiter für Humanität zu kämpfen.“ Habeck hatte sich in den vergangenen Tagen ebenso wie Außenministerin Annalena Baerbock (auch Grüne) dafür eingesetzt, dass Familien mit Kindern von den Grenzverfahren ausgenommen werden.

„Ohne den Einsatz Deutschlands wäre das Ergebnis ein schlechteres“, sagte Habeck. „Denn wir dürfen uns nichts vormachen: Die Lage an den Außengrenzen ist seit Jahren ein Elend, andere Staaten fahren einen restriktiven Kurs und die Gefahr, in Nationalismen zurückzufallen ist groß.“  

„Mehr Leid und Chaos“

Die beiden Parteivorsitzenden der Grünen waren über den Kompromiss uneins. Der als Pragmatiker geltende Co-Parteichef Omid Nouripour sagte, zentrale Forderungen wie die Ausnahme für Familien mit Kindern im Grenzverfahren seien zwar nicht erreicht worden. In der Gesamtschau komme er aber „zu dem Schluss, dass die heutige Zustimmung ein notwendiger Schritt ist, um in Europa gemeinsam voranzugehen“. Seine Kollegin Ricarda Lang widersprach. Nach ihren Worten hätte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dem Kompromiss im Ministerrat nicht zustimmen dürfen. Der Vorschlag zur Asylreform werde „dem Leid an den Außengrenzen nicht gerecht und schafft nicht wirklich Ordnung“. Faeser hatte den Kompromiss am Abend als „historischen Erfolg“ bezeichnet. 

Der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt war ebenso wie Lang nicht zufrieden. Er bezeichnete die Einigung gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) als „Durchmarsch populistischer Positionen“ mit deutscher Zustimmung. Dass Deutschland dieser Reform zugestimmt habe, sei ein Vertrauensbruch. „Deutschland hat kaum etwas durchsetzen können“, sagte Marquardt. „Dass diese destruktive Position, die nur zu mehr Leid und Chaos führt, nun im Rat beschlossen wurde, heißt aber nicht, dass sie Gesetz wird. Wir werden uns im EU-Parlament dafür einsetzen, dass der Rat mit seinem Großangriff auf das Asylrecht nicht erfolgreich ist.“

Nach der Einigung im Rat kann das EU-Parlament noch Änderungen durchsetzen. Es hat bei der Reform ein Mitspracherecht und wird in den kommenden Monaten mit Vertreterinnen und Vetretern der EU-Staaten über das Projekt verhandeln.

Pro Asyl spricht von „historischem Fehler“

Der Leiter der Europaabteilung von Pro Asyl, Karl Kopp, hat die Einigung der EU-Innenminister heftig kritisiert. „Ich halte das, was die Ampel tut, für einen historischen Fehler“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Das ist eine politische Einigung um jeden Menschenrechtspreis. Die Ampel nimmt in Kauf, dass Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ausverkauft werden. Sie hat keine rote Linie durchgesetzt und alles akzeptiert. Das finde ich sehr schockierend.“

Die Reformpläne sehen
unter anderem einen strikteren Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive vor. Menschen aus als sicher geltenden Ländern sollen künftig nach dem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in
kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen. Dort würde im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft, ob die
Antragsteller Chancen auf Asyl haben. Wenn nicht, sollen sie umgehend zurückgeschickt werden.