Asyldebatte: Deutscher Anwaltverein fordert Ende von Zurückweisungen

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) dazu aufgerufen, die Zurückweisungen von Asylsuchenden an der Grenze einzustellen. Der Minister „wäre gut beraten, die Entscheidungen des Berliner Verwaltungsgerichts zu respektieren und die Zurückweisungen von Schutzsuchenden unverzüglich zu beenden“, sagte die Vorsitzende des DAV-Ausschusses für Migrationsrecht, Gisela Seidler, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND)

Bereits vor den Berliner Beschlüssen hätten Juristen unter Verweis auf die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs davor gewarnt, das Dublin-Verfahren durch die Zurückweisungen außer Kraft zu setzen, sagte Seidler. Selbst wenn die Beschlüsse nur drei Fälle beträfen, „ergibt sich sowohl aus der Tatsache, dass die Fälle wegen grundsätzlicher Bedeutung auf die Kammer übertragen wurden, als auch aus der ausführlichen 28-seitigen Begründung, dass es dem Gericht gerade nicht um den Einzelfall geht“. 

Die Dublin-III-Verordnung sei geltendes Recht, „und dieses ist seitens der Exekutive auch dann zu befolgen, wenn es ihr nicht gefällt“, sagte die Juristin und fügte hinzu: „Anderenfalls ist der Rechtsstaat in Gefahr.“ Auf eine Korrektur im Hauptsacheverfahren brauche Dobrindt ebenfalls nicht zu hoffen. Das Verwaltungsgericht habe die Hauptsache ausnahmsweise vorweggenommen, „da den Betroffenen schwere und nicht rückgängig zu machende Nachteile drohten“, sagte Seidler. 

SPD dringt auf Rechtssicherheit

Indes mehren sich beim Koalitionspartner SPD die skeptischen Stimmen mit Blick auf das Vorgehen des Bundesinnenministers. Die Obfrau der SPD-Bundestagsfraktion im Rechtsausschuss, Carmen Wegge, sagte dem RND: „Wir brauchen Rechtssicherheit für die Bundespolizei und stehen schon immer auf dem Standpunkt, dass das Handeln an den Grenzen selbstverständlich im Einklang mit dem Europarecht sein muss.“ Dobrindt müsse jetzt zusammen mit den Rechts- und Innenpolitikerinnen und Ministern „den Sachverhalt prüfen und eine rechtssichere Lösung gewährleisten“. 

Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) sagte, es werde „nicht einfach werden, die Justiz davon zu überzeugen, dass diese Zurückweisungen rechtmäßig sind“. Das letzte Wort habe der Europäische Gerichtshof.

Das Berliner Verwaltungsgericht hatte am Montag entschieden, dass Asylbewerberinnen und Asylbewerber nicht an den deutschen Landesgrenzen abgewiesen werden dürften, ohne dass vorher ein sogenanntes Dublin-Verfahren durchgeführt wurde. Dabei wird geprüft, in welchem anderen EU-Staat Betroffene gegebenenfalls bereits früher einen Asylantrag gestellt haben. In dem vor Gericht verhandelten Fall waren am 9. Mai drei Menschen aus Somalia ohne entsprechende Prüfung von Frankfurt an der Oder nach Polen zurückgeschickt worden.

Merz stützt Dobrindt

Die umstrittene Praxis der Zurückweisungen ist Teil der Strategie der neuen schwarz-roten Bundesregierung, um den Zuzug nach Deutschland weiter zu begrenzen. Dobrindt hatte sie bereits kurz nach seinem Amtsantritt in Kraft gesetzt. 

Nach dem Berliner Urteil kündigte er an, weiter daran festhalten zu wollen. Das Urteil beziehe sich auf einen Einzelfall, sagte der Minister. Außerdem wolle man eine Entscheidung im Hauptverfahren. „Wir halten im Übrigen an den Zurückweisungen fest“, sagte Dobrindt. Das Gericht habe ausführlichere Begründungen für die Zurückweisungen verlangt – diese werde man liefern. „Wir halten an unserer Rechtsauffassung auch fest“, fügte er hinzu. Trotz wachsender Kritik stützte am Dienstag auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) Dobrindts Kurs.