„Arendt“ im Hamburger Thalia Theater: Arendt denn Volkstheater
Nun also sie, Hannah Arendt. Nun soll auch aus ihrem Leben ein Biopic gemacht werden, ein philosophisches Leben in Stationen, möglichst effektvoll inszeniert. Dabei leuchtet ihre politische Theorie gerade heute heller denn je: Arendt ist die Denkerin der Öffentlichkeit, Prophetin der Emanzipation, Philosophin des gemeinsamen Handelns, Grande Dame des Pluralismus, Stimme der Freiheit, die Mut macht, Politik zu wagen, eine politische Autorität. Her mit Arendt, her mit dem Drama!
Anders aber am Hamburger Thalia Theater, wo jetzt das Stück Arendt der dänisch-amerikanischen Dramatikerin und Theatermacherin Rhea Leman in der Regie von Tom Kühnel zu sehen ist. Man hat mit Corinna Harfouch in der Rolle der Arendt eine der besten deutschen Schauspielerinnen geholt: Im zerwühlten Hotelbett sitzt sie da, den Kugelschreiber im Mund, Ersatz für die obligatorische Zigarette. Die Rahmenhandlung ist schnell erzählt: Hannah Arendt soll im April 1975, also ein halbes Jahr vor ihrem Tod, in Kopenhagen den renommierten Sonning-Preis entgegennehmen, aber die Rede will einfach nicht gelingen. Doch weil Denken für Arendt kein Monolog, sondern ein Gespräch ist, ein inneres Zwiegespräch, ist da plötzlich auch Heinrich Blücher, ihr zweiter Ehemann (gespielt von André Szymanski), der eigentlich schon seit fünf Jahren tot ist. Überhaupt gibt es inzwischen mehr Tote als Lebende, von denen sie umgeben ist. „Abforstung“ nennt sie das, dieses stille Verschwinden der Freunde, der allernächsten Welt. Auch Adolf Eichmann, gespielt von Oliver Mallison, betritt die Szene oder besser: grüßt vom Klo auf der Kopenhagener Hoteltoilette. In der Hand den berühmten Bericht, den Arendt 1961 über ihn schrieb, Eichmann in Jerusalem. Einer der Chefverwalter des NS-Grauens, einer, der alles richtig gemacht zu haben glaubt und nun wissen will, was er falsch gemacht hat.