Architekturbiennale in Venedig: Schwarz ist die Hoffnung

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Gerade sieht man sie ja überall, Bürotürme mit Edelstahlfassade, glatt und gleißend, von unerbittlicher Makellosigkeit. Es sind seltsam entrückte Bauten, ihr Schimmer wappnet sie, ihr Glanz hält die Wirklichkeit draußen.

Auch die Wirklichkeit des Örtchens Xolobeni an der Küste Südafrikas, wo die meisten Menschen bislang davon leben, dass sie Süßkartoffeln, Karotten und Rote Bete anbauen. Wo aber jetzt, geht es nach den Plänen internationaler Bergbaukonzerne, ganz dringend Titaneisen gewonnen werden soll. Titaneisen, das man braucht, damit die Edelstahlfassaden der Reichen und Mächtigen auch wirklich funkeln. Der Preis des Glanzes: verdorrte Felder, der ökologische Kollaps. Ein vom Bergbau ausgelaugter Landstrich.

Noch ist allerdings nicht ausgemacht, ob es in Xolobeni wirklich so weit kommt. Es gibt dort viele streitlustige Aktivisten, die sich gegen die geplante Ausbeutung wehren. Außerdem gibt es ja jetzt die Architekturbiennale in Venedig, die größte Bauausstellung der Welt – und ein überaus politischer Kampfplatz, auch für Xolobeni.

Lesley Lokko, eine Architektin, deren Vater aus Ghana, deren Mutter aus Schottland stammt, darf die Biennale in diesem Jahr leiten, als erste Kuratorin mit afrikanischen Wurzeln und einem dezidiert afrikanischen Programm. Am vergangenen Wochenende ging es los: jünger und weiblicher denn je, mit vielen Architekten, die bislang kaum jemand kannte. Und mit mindestens ebenso vielen Nicht-Architekten, nicht minder unbekannt.

Lokko nennt ihre Biennale ein „Labor der Zukunft“, was sich einigermaßen unverdächtig anhört, wissenschaftlich abgesichert. In Wahrheit ruft sie eine neue Epoche aus: Das alte Repräsentationsdenken, die Glanzprojekte einer globalen Elite, den ganzen Star- und Sternchenrummel, das alles hat sie abgeräumt. Die Macht wird neu verteilt. Erstmals bekommen zahllose Aktivisten einen Auftritt, darunter auch die, die in Südafrika gegen Titanminen kämpfen (gemeinsam mit dem Architekten Andrés Jaque).

Nein, eine wirklich überraschende Agenda ist es nicht, ähnliche Debatten prägen längst den allgemeinen Diskurs. In der Bauwelt jedoch, die gerade viel über Klimafragen debattiert, blieb bislang meist ausgeblendet, dass eine Dekarbonisierung ohne Dekolonialisierung kaum zu haben ist. Für ebensolche Projekte, gerecht im ökologischen wie im sozialen Sinne, tritt Lokkos Biennale ein. Und sie tut es, zur Überraschung aller, ohne allzu großen Bekehrungsfuror.

Im Gegenteil, diese Biennale ist so spielerisch, so verwegen optimistisch wie keine zuvor. Ausgerechnet eine Abflughalle, wie man sie von Flughäfen kennt, hat Lokko einrichten lassen, mitten im Herzen des Hauptpavillons. Ein Warteraum der Fantasie, fern aller Flugscham, gestaltet von Olalekan Jeyifous, einem Künstler aus Nigeria. Für ihn ist der übliche Gegensatz von Utopie und Dystopie ein rein westliches Konstrukt, weshalb er überhaupt nichts dabei finde, sagt er, sich in prallen Farben ein anderes, hypermobiles Afrika auszumalen, das die Katastrophen der Kolonialzeit abstreift, emissionsfreie Treibstoffe auf Algenbasis erfindet und damit in eine grenzenlos coole Zukunft aufbricht. Afrika muss nicht gerettet werden, das ist die Botschaft seiner computergenerierten Bilderwelt. Afrika selbst ist der Retter.

Verblüffend, plötzlich sind die großen Technikträume der Sechzigerjahre zurück, retro-, afro-, discofuturistisch. Und obwohl bei Jeyifous natürlich einiges an Ironie mitschwingt, ist doch die Lust an der Selbst-Euphorisierung enorm. Auf dieser Biennale zeigt sich ein neuer alter Glaube daran, dass Architektur mehr sein kann. Mehr als nur die Bereitstellung von Wohn- und Bürokisten. Mehr als die Produktion von Lifestylekulissen. In Venedig ist es das Leben selbst, das gestaltet und entworfen werden soll. Es ist die Rückkehr der Allzuständigkeit.

Die Biennale verliert sich gern

Allerdings ist es nicht die Art von Allzuständigkeit, wie sie einst von Le Corbusier oder Mies van der Rohe verkörpert wurde, die aus dem Nichts heraus eine neue Welt erfinden und den Menschen nach ihrem Bilde formen wollten. Von der alten Idee des Masterplans ist auf Lokkos Biennale kaum etwas zu sehen. Ebenso suspekt ist ihr der nackte Pragmatismus, der in den letzten Jahren weite Teile der Bauwelt durchzog. Was sie hingegen begeistert, sind lose Enden, das Unfertige und Unwahrscheinliche. Denn nur so, davon ist sie überzeugt, kann Architektur zur alles durchdringenden Macht werden: Man darf sie nicht festlegen, sie nicht den Experten überlassen. Alle sind Architekten, das will Lokko uns sagen. Alle sollen mittun.

Entsprechend vielstimmig ist der Chor dieser Biennale: Da geht es um die heimatstiftende Wirkung der Sprache. Es geht um Land- und Wasserwirtschaft, um die Schulung der Gefühle, um chinesische Internierungscamps für die uigurische Minderheit, um die virtuelle Zukunft der Benin-Bronzen. Oder auch nur um die Schönheit einer Bleistiftzeichnung und die Frage, unter welchen Bedingungen das Grafit dafür gewonnen wird, was also das Politische einer eigentlich unpolitischen Zeichnung ist und wie klimagerecht sie sein kann.

Man sieht schon, die Biennale verliert sich gern. Selten weiß man ganz genau, was man bei all den Videos, Fotos und Großinstallationen gerade vor sich hat. Einen Hang zur Überdidaktik kann man Lokko jedenfalls nicht nachsagen. Dafür pflegt sie nach Kräften ihre Selbstwidersprüche. Einerseits hält sie nicht viel von herkömmlichen Form- und Gestaltdebatten, von ästhetischen Fragen. Andererseits feiert ihre Biennale die extravaganten Großbauten des Architekten David Adjaye, der als Afrikas wichtigster Baumeister gilt, obwohl er seit Jahrzehnten in London lebt. Gleich mehrere Säle darf Superstar David mit seinen Modellen füllen; ein imposantes, schwarzes Holzhaus hat er in Venedig ebenfalls errichtet.

So kommt auf der Biennale zusammen, was sonst als unvereinbar gilt: ein radikaler Lokalismus, fokussiert auf Probleme im Kleinen und Bescheidenen. Dann die architektonische Meistertat. Und außerdem ein unübersehbarer Sinn für das Fundamentale und Bodennahe. Wohin man auch schaut auf dieser Biennale: überall Lehmwände, Lehmziegel, Sitzbänke und Fußböden aus Lehm. Auch ganz am Ende des Ausstellungsparcours, in den Arsenale-Hallen, steht man vor dicken Erdhaufen, wie gemacht, um damit das Kneten, Formen, Bauen zu beginnen.

Gelegentlich kann diese Freude am Basalen, an einer Architektur als Heimarbeit für alle, auch animistische Züge annehmen (und erinnert damit an die Kunstbiennale im vorigen Jahr). Im belgischen Pavillon zum Beispiel, wo man sich der grassierenden Begeisterung für pilzartige Wesenheiten hingibt und eine Myzelium-Architektur entwickelt. Sie soll den Menschen aus seiner orthogonalen Existenz befreien und, wenn alles gut geht, sich selber heilen wie eine Haut.

Auch andernorts scheinen sich Geist und Natur, Tradition und Hightech mühelos zu vereinen, bei den Finnen zum Beispiel oder im deutschen Pavillon, die beide das gute alte Plumpsklo neu erfinden. Dank ausgefeilter Trocknungs- und Wiederverwertungsmechanismen werden Urin und Kot in Dünger verwandelt, und am Ende wird daraus das, was es braucht, um sich als Mensch bauend in dieser Welt einzurichten: fruchtbarer Boden. Das Klo, hier lässt es sich als Urort der Architektur erfahren und im wortwörtlichen Sinne besetzen.

Natürlich, wo es so grundsätzlich wird, bleibt ein gewisses Eigentlichkeitsdenken nicht aus, insbesondere dann, wenn es um indigene Interessen geht, um verlorene Traditionen und Territorien. Dass gerade in Europa ein Krieg um ebensolche Fragen geführt wird, weil Wladimir Putin die Ukraine rerussifizieren will und damit ein ganz eigenes Projekt der Dekolonialisierung verfolgt, könnte man dabei glatt übersehen. Zum Glück ist auch die Ukraine mit einem bemerkenswerten Vorschlag in Venedig vertreten. Dort geht es nicht um Rückübertragung und Ursprünglichkeitsfantasien, es geht um die Frage einiger Architekten, was eigentlich mit jenem Drittel der Ukraine passieren soll, das derart zerstört und vergiftet ist, dass Menschen dort nicht länger wohnen können. Ihre Antwort: Die Kriegsschäden als Chance begreifen, das Land der Natur zurückgeben. Das diene der Artenvielfalt und sei, als Strategie des Nichtstuns, ohnehin so ziemlich das Beste, was Architektur heute bewirken könne.