Arbeitsmarkt: Seit 20 Jahren Ich-AG

Zuvor sei sie manchmal missmutig zur Arbeit aufgestanden, doch das passiere ihr seit 20 Jahren nicht mehr. Seitdem hat Antje Kunellis nämlich ihr eigenes Unternehmen: einen Laden für Kinderkleidung und -schuhe in Radebeul, einer Kleinstadt in der Nähe von Dresden. Gegründet hat ihn die gelernte Kinderkrankenschwester und Steuerfachangestellte einst mithilfe des Existenzgründungszuschusses des Arbeitsamts, besser bekannt als Ich-AG. „Sie sind die erste Ich-AG in Radebeul“, hat sie ein Mitarbeiter des Arbeitsamtes damals beglückwünscht.

Die Ich-AG war mal ein großes politisches Versprechen: Der Zuschuss sollte ab 2003 arbeitslose Menschen dazu ermutigen, sich selbständig zu machen. Kunellis träumte davon schon länger, aber die Hürden schienen groß. Zunächst ließ sie sich in der DDR zur Kinderkrankenschwester ausbilden. „Dann bin ich über Ungarn abgehauen und habe in Baden-Württemberg eine Umschulung zur Steuerfachangestellten gemacht“, erzählt die 53-Jährige. Schon damals hatte sie sich überlegt, dass es für ein eigenes Unternehmen hilfreich sein könnte, sich im Steuersystem gut auszukennen.

Nach zehn Jahren kehrte Kunellis in ihre Heimatregion zurück. Nachdem sie sich erfolglos bei den umliegenden Krankenhäusern um Arbeit bemüht hatte, entwickelte sie schließlich das Konzept für ihren Laden. Damit marschierte sie dann zum Arbeitsamt und beantragte Anfang 2003 den gerade eingeführten Existenzgründungszuschuss. Die Ich-AG war Teil der umfassenden und hoch umstrittenen Hartz-Reformen, mit denen der deutsche Arbeitsmarkt in Schwung gebracht werden sollte.

„Ich kann halt gut mit Kindern“

Kunellis sagt, dass die Ich-AG für ihren Laden „existenziell wichtig“ war: „Alleine mit zwei Kindern war ich nicht kreditwürdig und hätte mir die Gründung gar nicht leisten können.“ Die Ich-AG-Gründer wurden vom Arbeitsamt über bis zu drei Jahre finanziell unterstützt. Die Geförderten erhielten vom Staat im ersten Jahr 600 Euro pro Monat, im zweiten 360 Euro und im dritten monatlich 240 Euro. Kunellis benötigte dieses Geld vor allem, um sich und ihre Kinder ausreichend zu versichern, weiteres Geld für die Ladeneröffnung borgte sie von ihren Eltern.

Aus ihrem ersten Beruf wusste sie: „Ich kann halt gut mit Kindern“, und wollte deswegen auch mit ihrem eigenen Unternehmen ein Angebot für Familien schaffen. Kleidung braucht es immer, und so war die Idee zu ihrem Kinderladen Emely geboren.

Zu Beginn verkaufte sie nur gebrauchte Ware: „Ich fand Secondhand schon immer cool, so auf gehobener Ebene.“ Heißt: statt muffeligen Klamotten nur hochwertige Ware, immer eine angeknipste Duftlampe, und: „Die Kunden dürfen sich natürlich durchwühlen, aber danach wird akkurat aufgeräumt.“

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stufte 2007 die Ich-AG gemeinsam mit der großen Schwester-Maßnahme, dem für sechs Monate gewährten Überbrückungsgeld, als Erfolg ein. Mehr als zwei Jahre nachdem die ehemals Arbeitslosen mithilfe des Zuschusses ein Unternehmen gegründet hatten, waren immer noch mehr als 70 Prozent selbständig. Ein zunehmender Teil hatte außerdem in eine sozialversicherungspflichtige Arbeit gewechselt. Im Vergleich mit Arbeitslosen, die nicht an den Fördermaßnahmen teilgenommen hatten, waren die Effekte für Frauen in Ostdeutschland am positivsten. Eine von ihnen ist Antje Kunellis, die das Fazit zieht: „Durch den Laden und meinen beruflichen Weg habe ich unheimlich viel Lebensqualität gewonnen.“

400.000 Existenzgründungen wurden ermöglicht

Weil die Maßnahme so erfolgreich war, kritisierte das DIW, dass die Ich-AG 2006 abgeschafft wurde. Genauer gesagt: Sie wurde gemeinsam mit dem Überbrückungsgeld zum sogenannten Gründungszuschuss zusammengelegt. Insgesamt hatte die Ich-AG 400.000 Existenzgründungen ermöglicht.

Der Gründungszuschuss kann bis heute bei der Agentur für Arbeit beantragt werden. Auf die Förderung besteht allerdings seit 2011 kein rechtlicher Anspruch mehr. Stattdessen entscheiden die Sachbearbeiter beim Arbeitsamt, ob die Gründungsidee und die eigenen Qualifikationen erfolgversprechend und damit förderungswürdig sind. Bei positivem Urteil werden die Gründer über neun Monate hinweg finanziell unterstützt. Gründungswilligen rät Kunellis, sich gut zu informieren, was gebraucht wird, und ausreichend Wissen für die eigene Branche mitzubringen. Neben der finanziellen Förderung könne das Arbeitsamt potentielle Gründer durch gute Beratung unterstützen und durch Kontaktvermittlung an bereits erfolgreiche Unternehmensgründer.

Einer, der aktuell auf die Bewilligung wartet, ist Kunellis’ Sohn. Nach einer Lehre zum Bankkaufmann will er sich in der mobilen Finanzbranche selbständig machen. Seine Mutter freut es besonders, dass ihr Sohn, der bei Eröffnung ihres Kinderladens noch ein Kleinkind war, nun auch den Weg in die Selbständigkeit einschlägt.