Arbeitsmarkt: Das Comeback des Normalarbeitnehmers?

Befristete Verträge, Teilzeitbeschäftigung, Leiharbeit – der Arbeitsmarkt wird flexibler und individueller. Wer als Festangestellter arbeitet, in einem sicheren und unbefristeten Angestelltenverhältnis, kann sich glücklich schätzen. Eine solche Diagnose ist alt, sie kam in den Achtzigerjahren auf. Wissenschaftler und Arbeitsmarktexperten riefen damals eine „Krise des Normalarbeitsverhältnisses“ aus. Man beobachtete, dass Erwerbsbiographien brüchig wurden. Der „Normalarbeitnehmer“ war auf dem Rückzug. Das Modell aus Zeiten des Wirtschaftswunders, den Großteil seiner Erwerbsbiographie unbefristet und in Vollzeit zu arbeiten, gar in einem Unternehmen, schien an Dominanz zu verlieren.
Bis zum Beginn der Zehnerjahre sollte dieser Befund recht behalten. Zwar ist das „Normalarbeitsverhältnis“ nicht, wie immer wieder prognostiziert, erodiert. Aber tatsächlich arbeiteten immer mehr Menschen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen, waren also geringfügig beschäftigt oder mit befristeten Verträgen.
Atypische Beschäftigung geht zurück
Doch seit mehreren Jahren misst das Statistische Bundesamt eine Trendumkehr. Die jüngsten Zahlen belegen das: Im Jahr 2024 lag der Anteil atypisch Beschäftigter bei 17,2 Prozent, gab das Statistische Bundesamt am Dienstag bekannt. Zum Vergleich: 2010 lag dieser Anteil noch bei 22,6 Prozent. Die Entwicklung wird noch deutlicher, wenn man einen Blick auf die Zahlen der regulär Beschäftigten wirft: Im vergangenen Jahr waren 74,8 Prozent der Erwerbstätigen in einem „Normalarbeitsverhältnis“, 2010 waren es noch 65,8 Prozent. Als Normalarbeitsverhältnis verstehen die Statistiker sozialversicherungspflichtige, unbefristete Arbeitsplätze mit mindestens 21 Wochenstunden. Zeitarbeit ist dabei ausgeschlossen.
Diese Zahlen sind nicht zuletzt wichtig, weil die Architektur der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland auf dem Normalarbeitsverhältnis basiert, sich also vor allem an Arbeitnehmern in Vollzeit und mit unbefristeten Arbeitsverträgen orientiert. Und an einer Normalerwerbsbiographie – das meint etwas verkürzt: Ausbildung, Haupterwerbsphase, Rente, ohne große Brüche. Atypische Arbeitsverhältnisse sind also eine Art Negativdefinition von „normaler Arbeit“.
Für Arbeitnehmer können flexible Arbeitsmodelle zwar helfen, die Arbeit auf ihre Lebensumstände anzupassen, sie gerade mit Blick auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in den eigenen Lebenszusammenhang einzupassen. Demgegenüber stehen aber teils erhebliche Einbußen in der Altersvorsorge oder Karrieremöglichkeiten. Für den Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) hat der Rückgang der atypischen Beschäftigung seit 2010 mehrere Gründe. Zwar dämpfe der aktuelle Wirtschaftsabschwung den Arbeitsmarkt, über eine längere Zeit betrachtet seien Arbeitskräfte aber deutlich knapper geworden. „Damit gehen Befristungen zurück, weil Betriebe Arbeitskräfte durch mehr unbefristete Übernahmen und weniger befristete Einstellungen binden“, sagt Weber.
Auch sei im Zuge der derzeitigen Industriekrise viel Beschäftigung in der Zeitarbeit abgebaut worden, dies wirke sich auch auf den Anteil atypischer Beschäftigung aus. „Mit dieser Krise verschwinden aber auch viele Vollzeitjobs in der Industrie. Nicht zuletzt seien die Zahlen aber auch auf einen grundlegenden Wandel der Lebensverhältnisse zurückzuführen. „Frauen sind stärker in den Arbeitsmarkt integriert, ihre Arbeitszeit in Teilzeit hat sich verlängert“, sagt der Ökonom.