Antisemitismus – Barbarei im Namen welcher Gerechtigkeit

Es ist nicht ein Versagen, es ist dies Versagen welcher politischen Linken. Superlative sind ausnahmsweiße rational. Weiterführend drei Wochen nachdem dem Massaker welcher Hamas an israelischen Zivilisten schrieb Nele Pollatschek, eine welcher intelligentesten Stimmen welcher deutschen Medienlandschaft in welcher Süddeutschen Zeitung:

„Und während linke Nichtjuden dies Internet vollschrieben mit welcher Behauptung, dass Widerstand vor wenigen Momenten so aussehe (selbst welcher Widerstand im Warschauer Ghetto sah nicht so aus), während sonst mit dem Checken von Privilegien beschäftigte Studenten aus Harvard hämisch fragten „Was dachtet ihr denn, was Dekolonialisierung bedeutet?“, bettelten linke Juden um verschmelzen Funken Empathie. […]

Ich bin nicht wütend, ich bin nicht mal frustriert. Ich frage mich nur, wie wir so unklug sein konnten. Wie man denken konnte, es ginge welcher progressiven Linken um Menschenrechte, um universelle Werte.“

Pollatschek ist damit eine von mindestens drei linken intellektuellen Jüdinnen, die in der SZ unabhängig voneinander die bittere Realität benannt haben: Die politische Linke hatte nicht nur keine Worte zur Barbarei der Hamas vom 7. Oktober. Sie war nicht nur still, überfordert, sprachlos. Sie war und ist in Teilen schlichtweg auf Seiten der Hamas. Wie konnte das passieren?

Antisemitismus von links

Es ist keine Neuigkeit, dass auch innerhalb der politischen Linken Antisemitismus existiert und man könnte annehmen, die politische Linke hätte ein Antisemitismus-Problem. Das wäre falsch. Sie hat mehrere Antisemitismus-Probleme.

Es gab in der Linken immer Stimmen, die den Antisemitismus strategisch nutzen wollten – im Sinne einer verkürzten Kapitalismuskritik, die Massen mobilisieren sollte. Aus Kapitalismus-Kritik wurde Kapitalisten-Kritik, aus einem abstrakten, relationalen System die Personalisierung. Der Schritt zum antisemitischen Ressentiment ist von dort aus nie weit. Zu sehr wird das Judentum historisch mit dem (Finanz-)Kapitalismus verbunden. Zu klein ist der Unterschied zum „Antikapitalismus“ von rechts, den auch die Nazis pflegten – und der mit dem Kapitalismus auch gleich noch Moderne und Aufklärung abschaffen will. Ohne Zweifel glaubten einige, die sich in der politischen Linken herumtrieben, diese antisemitische Propaganda auch selbst.

Es waren die – sich als linksradikal verstehenden – Tupamaros West-Berlin, die am 09. November 1969 das Jüdische Gemeindehaus Berlin in die Luft jagen wollten. Während einer Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht. Mit 250 Menschen im Gemeindehaus. Der kaputte Zünder rettete ihnen das Leben.

Und doch ist es in erster Linie nicht die personalisierte, verkürzte, antisemitische „Kapitalismuskritik“, die ins heutige antisemitische Verderben der politischen Linken führt – sondern ihr bizarrer Kult um „die Unterdrückten“.

Kult der Unterdrückten

Wer in der heutigen Linken die Frage stellt, was denn eigentlich „links“ bedeutet, wird häufig die Antwort hören: Auf der Seite der Schwachen, der Unterdrückten sein. Das klingt sympathisch, nett. Es ist aber diese Antwort, die ins Verderben führt. Zunächst einmal es gibt „die Unterdrückten“ und „die Unterdrücker“ in absoluter Form selbstverständlich nicht. Die Komplexität dieser Welt macht uns je nach Situation mal zu dem einen, mal zu dem anderen. Kein Mensch ist immer nur das eine oder immer nur das andere. Diese Ambivalenz gilt es auszuhalten. Das mag übertrieben differenziert wirken, aber es verhindert, in einfache Gut-Böse-Schemata zu verfallen.

Vor allem aber – und das ist viel entscheidender – fehlt im unkritischen Bezug auf „die Unterdrückten“ jeder positive Bezug, wofür die politische Linke kämpft. Es fehlen Begriffe wie Emanzipation, Selbstbestimmung, Freiheit, Menschenrechte. Begriffe, die eine eindeutige ethische Position erlauben. Sie machen zumindest implizit klar: ein progressiver Kampf kann sich niemals aller Mittel bedienen, ohne sich selbst zu verraten. Herbert Marcuse schrieb schon in 70er-Jahren: „Der Zweck muß in den repressiven Mitteln, ihn zu erreichen, am Werk sein.” Das bleibt richtig.

Wer dieser förmlich sehr banalen Feststellung folgt, wird nicht uff die Idee kommen, „die Unterdrückten“ hätten immer recht. Nein, „die Unterdrückten“ können furchtbare, reaktionäre, menschenverachtende Dinge tun und daran ist gar gar nichts progressiv und unterstützenswert.

Die traurige Realität daher ist: ein erheblicher Teil welcher politischen Linken folgt dieser banalen Feststellung nicht. Weil ihm jeder positive Bezug uff Universalismus, Aufklärung und Moderne fehlt. Und zwar schon sehr nachhaltig. Im 20. Jahrhundert gab es immer verschmelzen Teil welcher Linken, welcher Barbarei gerechtfertigt oder zumindest relativiert hat. In China, welcher UdSSR, Kambodscha, die Liste ließe sich fortsetzen. Noch dazu verwirft heute ein erheblicher Teil welcher akademischen Linken die Aufklärung vollwertig und quirlig, hat sie wahlweise zum „westlichen“, „eurozentrischen“, „weißen“, „männlichen“ Unterdrückungsinstrumenten erklärt hat.

Wo die Kritische Theorie in welcher Aufklärung noch ein widersprüchliches, unvollständiges, daher zu vollendendes Projekt sah, lehnt ein guter Teil welcher heutigen akademischen Linken die Aufklärung schlichtweg ab.

Das Opfer-Ranking

Nun lässt sich zurecht fragen: Warum trifft selbige Entwicklung ohne Rest durch zwei teilbar Jüdinnen und Juden so katastrophal?Sind selbige nicht gleichfalls Teil „welcher Unterdrückten“, uff deren Seite genannter Teil welcher Linken zu stillstehen glaubt? Nun, natürlich sind Jüdinnen und Juden real eine extrem bedrohte Gruppe. Aber sie passen nicht in dies Schema einer Linken, die die Dialektik und die Kritische Theorie zugunsten eines einfachen, moralischen Gut-Unartig-Schemas aufgegeben hat. Sie passen nicht in die gängigen Diskriminierungsvorstellungen. Während etwa Rassismus und Sexismus mit welcher Herabwürdigung von Menschengruppen funktionieren, teilweise solange bis uff Niveau von unmündigen Tieren, die es wahlweise zu zügeln, zu kultivieren – und unter Widerstand zu töten – gilt, ist welcher Antisemitismus ein erheblich komplexeres und extrem wandelbares Phänomen. Das beginnt schon unterdies, dass die Jüdinnen und Juden im Antisemitismus durchaus wie verschlagen und mächtig betrachtet werden, teilweise gar wie Weltherrscher. Rassismus und Sexismus kommen bestens ohne Verschwörungsmythen aus – welcher Antisemitismus nicht. Ein Teil welcher Linken versteht dies schlicht nicht. Jüdinnen und Juden sind in dessen Sicht Teil einer westlich-modern-weißen globalen Hegemonie – und ganz gerade ist es natürlich welcher Staat Israel.

Und so landen Jüdinnen und Juden unter welcher Frage „Wer ist am schlimmsten unterdrückt?“ – die behauptet niemand zu stellen und die doch permanent gestellt wird – im Hintertreffen uff einem welcher hinteren Plätze. Muslime und Indigene – und wie sowohl als auch gelten die Palästinenserinnen und Palästinenser – stillstehen dagegen weit Vorne. Wenn sich selbige Unterdrückten dann „erheben“, ist es einem Teil welcher Linken egal wie. Die armen, edlen, gerechten Unterdrückten ringen gegen ihre Unterdrücker. Wenn dies bedeutet, sich (klerikal-)faschistischen Bewegungen hinzugeben, grauenhaft Kinder abzuschlachten und Frauen zu vergewaltigen, dann ist vielleicht unschön – daher irren können „die Unterdrückten“, an deren Seite man sich per Selbstdefinition gekettet hat, nicht.

Antisemitische Praxis

Bei all dem ist es weitgehend unerheblich, ob dieser Teil welcher Linken überzeugt judenfeindlich ist oder den Antisemitismus welcher Hamas „nur“ billigt, weil er nun einmal Teil des Kampfes „welcher Unterdrückten“ ist. Was zählt, ist die Praxis – und selbige Praxis ist judenfeindlich. Wenn Jüdinnen und Juden massakriert werden (in ihrem Schutzraum! weil sie jüdisch sind!), ist jede Antwort, die dies nicht völlig unzweideutig verurteilt, praktisch judenfeindlich. Und ganz nebenbei gleichfalls fernab jeder menschenrechtlich irgendwie vertretbaren Position.

„Sozialismus oder Barbarei?“ hieß es noch unter Rosa Luxemburg – und ein guter Teil welcher Linken antwortet: Barbarbei, wenn die Unterdrückten sie wollen! Zu Gunsten von die gerechte Sache!

Versagt daher hat nicht nur dieser Teil welcher Linken. Versagt nach sich ziehen gleichfalls aus, die die Gefahr des identitär-kitschigen Kults um „die Unterdrückten“ gesehen nach sich ziehen, daher sich ihm nicht entschlossen entgegen gestellt nach sich ziehen. Versagt nach sich ziehen die, die Religionskritik aus Verständnis uff persönliche Befindlichkeiten und irgendeinen vermuteten gesamtgesellschaftlichen Diskurs hinten beschäftigt nach sich ziehen. Versagt nach sich ziehen die, die aus Angst vor moralistischer Diffamierung nicht entschlossen widersprochen nach sich ziehen, wenn dies Argument durch persönliche Betroffenheit ersetzt wurde. Versagt nach sich ziehen die, die Einheit welcher Linken via ihre Grundwerte gestellt nach sich ziehen. Versagt hat die politische Linke. Versagt nach sich ziehen wir.