Anschlag in Solingen: NRW-Landtag gedenkt der Anschlagsopfer

Haus der Familie Genç nach dem Mordanschlag im Mai 1993
Foto: Tillmann Pressephotos / IMAGO
Mit einer Schweigeminute hat der nordrhein-westfälische Landtag am Freitag der Opfer des rechtsextremistischen Brandanschlags in Solingen vor 30 Jahren gedacht. Bei dem Gedenken waren auch Mitglieder der Familie Genç im Plenarsaal anwesend. Unter ihnen war Durmuş Genç, Ehemann der im vergangenen Jahr gestorbenen Mevlüde Genç. Sie hatte schon kurz nach dem Attentat zur Versöhnung aufgerufen und immer wieder gemahnt, dass dem Hass Einhalt geboten werden müsse.
Am Pfingstwochenende 1993 hatten vier Rechtsradikale das Haus der türkischstämmigen Familie Genç in Solingen angezündet. Fünf Frauen und Mädchen starben: Gürsün İnce (27), Hatice Genç (18), Gülüstan Öztürk (12), Hülya Genç (9) und Saime Genç (4). »Es gibt in der Geschichte unseres Landes Wunden, die für immer bleiben – der 29. Mai 1993 gehört dazu«, sagte Landtagspräsident André Kuper in der Gedenkstunde.
Der Brandanschlag gilt als eines der schwersten rassistischen Verbrechen in der Geschichte der Bundesrepublik. Kurz nach der Tat waren vier junge Solinger im Alter zwischen 16 und 23 Jahren festgenommen worden. Sie wurden 1995 wegen Mordes verurteilt.
Drei von ihnen haben sich nun kurz vor dem Jahrestag über ihren Anwalt mit Briefen erstmals an die Öffentlichkeit gewandt – und ihre Schuld bestritten. »Ich war ausländerfeindlich eingestellt und äußerte Parolen, die absolut Scheiße, verletzend und falsch waren«, schreibt Felix K., der seinerzeit zur Jugendhöchststrafe von zehn Jahren verurteilt wurde, »aber das macht einen Menschen nicht zu einem Brandstifter und Mörder.« Zugleich äußerte er Mitgefühl für die Betroffenen: »Keine Worte können ausdrücken, was Sie durchleiden mussten und noch immer durchleiden.«
Drei Täter beteuern ihre Unschuld
Auch Markus G., ebenfalls als Täter veruteilt, schreibt: »Sie haben das Schrecklichste erlitten, und niemand kann sich wirklich in ihr Leid hineinversetzen.« Dann wechselt er die Perspektive: »Es ist aber auch so, dass für diese furchtbare Tat drei Menschen zu Unrecht verurteilt wurden, und man diesem Unrecht heutzutage keine Aufmerksamkeit mehr schenkt.«
Wolfgang Steffen sprach 1995 als Vorsitzender Richter des Oberlandesgerichts das Urteil. Seine erste Reaktion auf die jetzt bekanntgewordenen Briefe der Täter sei »Unverständnis« gewesen, sagte Steffen in einem Interview mit SAT1 NRW : »Wenn einer so lange in Strafhaft sitzt und nichts unternimmt und jetzt nach 30 Jahren kommt, dann ist das schon sehr ungewöhnlich.«
Hatice und Kamil Genç sind Überlebende des Brandanschlags, sie haben zwei Töchter verloren. »Das Problem Rassismus ist noch lange nicht gelöst, das haben die Morde des NSU gezeigt. Erinnern ist wichtig«, sagen sie. »Insofern können wir die Forderung nach einem Schlussstrich nicht nachvollziehen. Gegen den Hass stellen wir unsere Botschaft: Liebe, Frieden, Toleranz. Liebe lässt den Menschen leben, aber der Hass bringt den Tod.«
»Wunden, die für immer bleiben«
Keiner der vier Täter habe sich in den vergangenen 30 Jahren bei ihnen gemeldet, geschweige denn entschuldigt. »Wir hatten keinen Kontakt zu diesen vier Personen und wollen auch keinen. Wir wollen nicht einmal ihre Namen hören.« Alle vier sind längst wieder auf freiem Fuß. »Als Mutter kann ich nicht damit leben, wenn ich daran denke, dass ich Ihnen begegnen könnte.«
»Es gibt in der Geschichte unseres Landes Wunden, die für immer bleiben«, sagte Landtagspräsident André Kuper. Der 29. Mai 1993 gehöre dazu. Die Anwesenheit der Familie Genç im Plenarsaal des Landtags am 30. Jahrestag des Anschlags sei eine Verpflichtung: »Wir Demokratinnen und Demokraten werden immer Rassismus, Extremismus, Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit bekämpfen.«
Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sagte, der Mordanschlag habe »vielen Menschen überall im Land Angst gemacht, vor allem Menschen mit türkischen Wurzeln«. Es sei einer der »dunkelsten Tage in der Geschichte unseres Landes« gewesen. Wüst warnte zudem vor einer Zunahme rechtsextremistischer Straftaten. »Dem müssen wir uns fortwährend entgegenstellen.«
In einem gemeinsamen Antrag forderten die Fraktionen von CDU, Grünen, SPD und FDP, den Ermittlungsdruck gegen rechtsextremistische Straftaten weiterhin hochzuhalten.