Ampel-Koalition: Von wegen alles geklärt

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16 Seiten umfasst das Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung. Eigentlich genügend Platz, um die Beschlüsse konkret auszuformulieren – könnte man meinen. Schließlich hatte Kanzler Olaf Scholz ein „großes Werkstück“ angekündigt, mit „sehr, sehr, sehr guten Ergebnissen“.
Doch am Tag danach sind Verbandsvertreter, Ökonominnen und Experten und auch die Opposition vor allem damit beschäftigt, die Ergebnisse zu deuten, derart vage ist vieles formuliert. Das gilt vor allem für zwei zentrale Anliegen der Ampel-Koalition: die Wärmewende und die Verkehrswende.
Ausstieg aus der Gasheizung weiterhin unklar
Um die Emissionen im Bereich Wohnen zu senken, will die Regierung den Einbau moderner, klimafreundlicher Heizungen schnell vorantreiben. Ab 1. Januar 2024 soll „möglichst“ jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden, heißt es in dem Beschlusspapier. Dabei solle darauf geachtet werden, dass ein technologieoffener Ansatz verfolgt werde und „dass ausreichende Übergangszeiträume zur Verfügung stehen“.
Es ist eine vage Formulierung, die jede Menge Spielraum bietet für parteipolitische Interpretationen. Was genau meint das Wort „möglichst“ in dem Papier? Ist das nun eine Pflicht zum Einbau klimafreundlicher Heizungen? Der vor einigen Wochen an die Öffentlichkeit gelangte Gesetzentwurf aus dem Bundeswirtschaftsministerium sah vor, dass jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden soll. Dies hätte de facto ein Verbot neuer Öl- und Gasheizungen bedeutet – und sorgte für viel Kritik.
Vor allem die FDP hatte daraufhin in den vergangenen Wochen immer wieder auf die freie Wahl der Heizung gepocht. Aussagen von Grünen- und FDP-Politiker am Mittwoch lassen sich jedenfalls so interpretieren, dass der Einbau und Betrieb von Gasheizungen weiterhin möglich sein soll – allerdings unter drei Bedingungen: Sie werden mit Biogas, in Kombination mit einer Wärmepumpe oder mit Wasserstoff betrieben. Hier dürfte es aber auf die genaue Formulierung im Gesetzestext ankommen. Den will die Ampel noch im April vorlegen.
Aber was ist mit kaputten Heizungen? Und ab wann genau soll das alles gelten? Der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Patrick Graichen, betonte am Mittwoch, man müsse „die Übergangsfristen und Ausnahmeregelungen noch mal fein justieren“.
Aus dem Ministerium war am Mittwoch zu hören, dass man durchaus der Ansicht sei, große Teile eines vor Kurzem geleakten Gesetzentwurfs in das Kompromisspapier hinübergerettet zu haben. Es sei klar, dass die Maßgabe zum erneuerbaren Heizen nur für den Einbau neuer Heizungen gelte. Bestehende Heizungen könnten weiter betrieben, kaputte Heizungen repariert werden. Sei eine Erdgas- oder Ölheizung irreparabel, solle es pragmatische Übergangslösungen und mehrjährige Übergangsfristen geben, sodass der Umstieg auf eine Erneuerbaren-Heizung „nicht ad hoc“ erfolgen müsse.
Völlig unklar ist indes, wie hoch die Mittel für den versprochenen sozialen Ausgleich ausfallen. Viele Hausbesitzerinnen und -besitzer fürchten, einen Austausch kaum finanzieren zu können, schließlich fallen für die neue Standardheizung Wärmepumpe leicht Ausgaben von mehr als 10.000 Euro an. In dem Papier heißt es, man prüfe, wie der Austausch von Öl- und Gasheizungen „gezielt und bürokratiearm aus dem Klima- und Transformationsfonds finanziell gefördert werden kann“. Diesen Klimafonds hat die Bundesregierung auf den Weg gebracht, um Investitionen in den Klimaschutz zu ermöglichen, auch wenn die Schuldenbremse im Bundeshaushalt den Spielraum einschränkt.
Doch ist fraglich, ob die Summe dafür ausreicht. Von 2023 bis 2026 sind insgesamt rund 177,5 Milliarden Euro eingeplant. 2023 stehen 35,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Doch ein Großteil der Gelder ist bereits verplant. Beispielsweise stehen für die Weiterentwicklung der Elektromobilität inklusive des Ausbaus der Ladeinfrastruktur 5,6 Milliarden Euro zur Verfügung. Der Aufbau der Wasserstoffindustrie wird mit rund vier Milliarden gefördert. Völlig offen ist also, ob genügend Geld vorhanden ist, damit die Wärmewende sozial abgemildert wird. Denn Bundesfinanzminister Christian Lindner hat bereits klargemacht: Neue Haushaltsmittel soll es nicht geben.
Autobahnausbau ist kein Selbstläufer
Die Frage, ob Deutschland noch Autobahnen ausbauen oder gar neu errichten soll, war eines der größten Streitthemen der Ampel-Koalition in den vergangenen Wochen. Die Grünen hätten am liebsten nur noch den Bestand saniert, die FDP am liebsten auch neue Strecken gebaut. Wegen des Streits wurde das gesamte Gesetz zur Planungsbeschleunigung, das auch die erneuerbaren Energien voranbringen soll, immer wieder verschoben. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) versuchte mit Verkehrsprognosen den Eindruck zu erwecken, dass am Ausbau des deutschen Straßennetzes kein Weg vorbeiführe.
Nun ist die Lösung: Die Autobahnen werden an ausgewiesenen Engpässen ausgebaut, aber der Bau neuer Strecken wird nicht beschleunigt. Der Kompromiss sieht vor: Etwa 1.000 bis 1.200 Kilometer Autobahn werden verbreitert, das entspricht 7,5 bis 10 Prozent des gesamten Netzes. „Diese 144 Projekte werden von unabhängigen Gutachtern für besonders dringlich gehalten“, sagt Wissing. Es seien „kurze Abschnitte mit großer Bedeutung für das Gesamtnetz“. Engpässe nicht zu beseitigen, bedeute Stau. Für Grünenchefin Ricarda Lang ist die Ausbauentscheidung ein „schwerer Schritt„.
Die Grünen werden damit vertröstet, dass beim Bau in Zukunft der Ausbau der erneuerbaren Energien gleich mitbedacht werde. Bislang müssen Windräder viel Abstand zu Autobahnen halten. „Es soll kein Kilometer Autobahn mehr geplant werden, ohne die Möglichkeiten der Erzeugung erneuerbarer Energien auszuschöpfen“, heißt es im Beschluss. Die Belange der erneuerbaren Energien sollten „grundsätzlich überwiegen“. Wissing träumt sogar von überdachten Autobahnen – wohl wissend, dass sich derartige Projekte noch im Versuchsstadium befinden. Theoretisch liegt das Potenzial bei rund 290 Gigawatt, wenn alle Straße mit Solarzellen überdacht würden. Zum Vergleich: Ende 2021 waren in Deutschland gerade einmal knapp 60 Gigawatt Solarleistung installiert.
Völlig offen ist, ob der Ausbau der Autobahnabschnitte tatsächlich so schnell geht, wie es die FDP gerne hätte. Denn zum einen geschieht der Bau „im Einvernehmen mit dem jeweils betroffenen Land“, heißt es in dem Beschlusspapier. In vielen Landesregierungen sind jedoch die Grünen dabei, die Projekte blockieren oder beschneiden könnten. Der Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen, Oliver Krischer (Grüne), etwa würde am liebsten gar keine neuen Spuren bauen. Womöglich muss die Bundesregierung also für viele Ausbauprojekte erst in Verhandlungen mit den Landesregierungen gehen.
Außerdem werden Bauprojekte nicht nur durch lange Genehmigungsverfahren verzögert, sondern auch weil Bauunternehmen ausgelastet sind. „Wir brauchen mehr Kapazität in der Bauwirtschaft“, sagt Wissing. Doch das lässt sich auch durch noch so lange Verhandlungen nicht erzwingen.
Unklare Zukunft für die klamme Bahn
Die notorisch klamme Deutsche Bahn soll erstmals mit Geldern aus dem Straßenverkehr bezuschusst werden: Die Bahn erhält künftig Einnahmen aus der Lkw-Maut. Genauer gesagt müssen Speditionen ab 2024 einen Aufschlag von 200 Euro pro Tonne CO₂ entrichten, außerdem gilt die Lkw-Maut dann schon ab 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht.
Der Plan ist nicht neu, sondern bereits im Koalitionsvertrag festgehalten, jedoch damals ohne genaue Höhe der CO₂-Abgabe. Der Branchenverband BGL spricht von einer Verdopplung der Maut und ist entrüstet: „Ohne am Markt verfügbare Alternativen zum Diesel-Lkw und ohne Ladeinfrastruktur fehlt jedwede Lenkungswirkung zugunsten des Klimaschutzes“, sagt BGL-Sprecher Dirk Engelhardt. „Damit belastet die Ampel nur den Endverbraucher, ohne es ehrlich dazu zu sagen!“ Die Befürchtung: Die hohen Transportkosten könnten die Inflation antreiben.
Immerhin kommt das Geld der klimafreundlichen Schiene zugute. Grünenchefin Lang zufolge sollen 80 Prozent der zusätzlichen Einnahmen dort investiert werden. Man habe erreicht, den Grundsatz „Straße finanziert Straße“ zu durchbrechen. Das freut die Eisenbahnunternehmen. Verkehrsminister Wissing rechnet mit mehr als sechs Milliarden Euro Einnahmen im Jahr durch die Lkw-Maut. Im Wirtschaftsministerium schätzt man die Einnahmen niedriger ein.
Klar ist allerdings: Das Geld wird nicht reichen. 45 Milliarden Euro fehlen der Bahn bis 2027, heißt es in dem Koalitionsbeschluss. Die CO₂-Abgabe der Lkw kann voraussichtlich also nur rund die Hälfte decken. Erst kürzlich hat der Bundesrechnungshof die Bahn als „Sanierungsfall“ bezeichnet, nicht zum ersten Mal. Ihre Schulden hätten sich seit 2016 um zehn Milliarden Euro auf heute 32,5 Milliarden Euro erhöht. 2023 erwartet die Bahn nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters erneut einen Verlust von zwei Milliarden Euro. Diese Schuldenlast schränke die Bahn in Zeiten steigender Zinsen zunehmend ein, warnt der Bundesrechnungshof.
Und gerade jetzt soll die Bahn auf Bestreben der Bundesregierung hin auch noch die Logistiktochter DB Schenker verkaufen, um sich auf ihr Kerngeschäft Schiene zu konzentrieren. Dabei war Schenker zuletzt profitabel.
Die Beratungen zum Bundeshaushalt 2024 über den milliardenschweren Posten Bahn werden also kompliziert. Finanzminister Christian Lindner (FDP) sieht keinen Raum für zusätzliche Ausgaben, etwa für die Kindergrundsicherung. Für die Bahn aber schon? Die Bundesregierung werde den Finanzbedarf der Bahn in den Haushaltsberatungen „finalisieren“, sagt Wissing.
Seit Dienstagabend ist klar, dass die Bahn sich über neue Gelder freuen kann. Aber wie das Milliardendefizit der Bahn behoben werden soll, das hat die Ampel nicht geklärt.