Zukunftsfähigkeit: Kann Hamburg mehr? – WELT

Eine neue Initiative fordert in mehreren Wirtschafts- und Wissenschaftsbereichen eine Neuausrichtung der Hamburger Politik. Solche Appelle gab es in der Vergangenheit immer wieder einmal – und bei diesem zieht die CDU nicht nur im Hintergrund an den Fäden.

Das war keine gute Woche für eine Stadt, die sich als „Tor zur Welt“ sieht und die sich traditionell auch so vermarktet. Die Flughafen-Leitung musste beinahe im Tagesrhythmus neue Hiobsbotschaften kommentieren, nach Ryanair meldeten auch Eurowings und Condor Verbindungen für das kommende Jahr ab, die Gebühren seien zu hoch. Aus dem Hafen, dem zweiten Tor in die Welt, vermelden mehrere Spediteure, dass die Wartezeiten an den Terminals so lang seien, dass sie und die angeschlossenen Fuhrunternehmen lieber Verträge mit anderen Häfen abschließen würden und das auch schon tun. Von der Situation auf den Autobahnen rund um Hamburg und der Qualität der Bahnverbindungen ist ohnehin längst kein gutes Wort mehr zu hören. Für einige Unternehmer und Politiker aus dem konservativen Lager ist diese Gemengelage allerdings eine Steilvorlage: Sie haben am Donnerstag die Initiative „Hamburg vor zur Welt“ vorgestellt.

Hinter der Initiative stehen acht Köpfe: Der ehemalige Hamburger Wissenschaftssenator Jörg Dräger (parteilos), die Digitalagentur-Unternehmerin Dalia Das, die IT-Managerin Johanna von Eben-Worlée, der frühere Staatsrat Nikolaus Hill (CDU), Stratos-Manager Friedrich Kley, Joachim Seeler, der gerade von der SPD zur FDP wechselte und der als Hafenpolitiker bekannt wurde, der frühere Geschäftsführer der Bucerius Law School Hariolf Wenzler (heute CEO einer Großkanzlei) sowie Götz Wiese, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU in der Hamburgischen Bürgerschaft, der intern als federführend für die Gruppe aktiv ist. Und auch, wenn sie sich in einem ersten Papier als „überparteilich“ bezeichnet, ist die Nähe zur CDU durch diese Konstellation wohl mehr als nur eine Ahnung.

Statt mit parteipolitischen Forderungen agiert die Initiative aber zunächst auf Grundlage von Statistiken, die sie zu einer „Bestandsaufnahme“ zusammengefasst hat. Diese lautet schlicht, dass Hamburg „so nicht zukunftsfähig“ sei und unter den europäischen Metropolregionen immer weiter zurückfalle. Das beziehen sie auf den Hafen, der in seiner weltweiten Bedeutung im Wettbewerb unter den Hafenstädten mit Blick auf das Umschlagvolumen von Rang 8 im Jahr 2005 auf Rang 23 im 2024 zurückgefallen ist. Ähnliches wird für den Finanzplatz Hamburg konstatiert, laut dem „Financial Centres Index“ hat Hamburg hier in den vergangenen Jahren im internationalen Vergleich der Wettbewerbsfähigkeit globaler Finanzcenter 22 Plätze verloren (von 29 auf 51). Mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit gebe es zu wenige Investitionen für Forschung und Entwicklung, vor allem aus dem Privatsektor käme zu wenig Geld. Zu wenige junge Menschen würden im Vergleich die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) studieren, in Hamburg nur 27 Prozent der Studenten, während es in Bayerns Hauptstadt München 42 Prozent seien. Die Folge: Die Bruttowertschöpfung in Hamburg liegt bei nur 44.600 Euro je Einwohner, in München bei 67.000 Euro. Kurzum: Durch diese Entwicklungen werde die Lebensqualität in Hamburg weiter sinken, wenn man jetzt nicht gegensteuere.

Götz Wiese beteuert an diesem Donnerstagmittag im Side Hotel an der Drehbahn, dass die Vorstellung von „Hamburg vor zur Welt“ mitnichten der Auftakt zum Bürgerschaftswahlkampf 2025 sei: „Das hier ist eine private Initiative von Menschen, die sich für Hamburgs Zukunft einbringen wollen, und es wird vermutlich ein längerfristiges Projekt werden.“ Einige Hamburger Bürgerinnen und Bürger, „die nicht namentlich genannt werden wollen“, hätten sich mit Spenden an den bisherigen Kosten beteiligt, etwa zur Erarbeitung der Statistiken: „Ansonsten arbeiten wir hier alle ehrenamtlich.“

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An Appellen dieser Art mangelte es auch in der Vergangenheit nicht. Schon Helmut Schmidt schrieb 1962 – allerdings anonym – einen Appell, „die schlafende Schöne“, der im Hamburg-Teil der WELT abgedruckt wurde. „Ich liebe sie mit Wehmut, denn sie schläft, meine Schöne, sie träumt; sie ist eitel mit ihren Tugenden, ohne sie recht zu nutzen; sie genießt den heutigen Tag und scheint den morgigen für selbstverständlich zu halten – sie sonnt sich ein wenig zu selbstgefällig und lässt den lieben Gott einen guten Mann sein“, so Schmidt damals. Erst Jahre später kam heraus, wer Autor dieses mit nur drei Sternen markierten Artikels war.

2015 verfassten Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) sowie die Ex-Senatoren Wolfgang Peiner (CDU) und Willfried Maier (Grüne) gemeinsam das Papier „Aus Sorge um Hamburg“, in dem sie einen Aus- und Umbau der Wissenschaftsstadt forderten. Seitdem wurde auch einiges gerade in diesem Bereich entwickelt – die Science City Bahrenfeld ist das größte MINT-Neubauprojekt Europas und wird gerade diesen Forschungs- und Lehrbereich in den kommenden Jahrzehnten deutlich ausbauen.

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Schon seit 2021 wiederum richtet die Handelskammer Hamburg ihre gesamte Arbeit an der strategischen Frage „Hamburg 2040 – wie wollen wir in Hamburg künftig leben, und wovon?“ aus. Einiges davon findet sich so oder ähnlich auch bei „Hamburg vor zur Welt“ wieder, der als Verein organisierten Initiative: die Forderung etwa, die Hamburger Branchennetzwerke auf eine kleine Zahl entscheidender Wirtschaftszweige und Themen wie die Luftfahrt, den Klimaschutz, die Künstliche Intelligenz oder die Life Sciences zu reduzieren; die Idee, im zentralen Hafenbereich auf Steinwerder Sonderentwicklungszonen für Unternehmen einzurichten; Verweise auf Vorbilder in anderen Metropolen wie etwa auf das Konzept der „15-Minuten-Stadt“ in Paris, bei dem alle lebens- und alltagswichtigen Anlaufstellen innerhalb einer Viertelstunde erreichbar sein sollen.

Nicht alles, was die Initiative in ihrem Papier angibt, ist historisch korrekt. Keineswegs war Hamburg 1960 einer der internationalen Vorreiter bei der Einführung des Schiffscontainers im Hafen. Das erste Vollcontainerschiff kam 1968 nach Hamburg, nach jahrelanger Vorarbeit speziell des damaligen SPD-Wirtschaftssenators Helmuth Kern und nach erbittertem Widerstand der Hafenarbeiter. Bremerhaven hatte sein erstes Containerschiff schon im Jahr 1966 empfangen. Interessant ist allerdings durchaus, welche Vorbilder die Gruppe vor Augen hat. Nikolaus Hill erwähnte bei der Präsentation wohl nicht zufällig, dass das Konzept des damaligen CDU-geführten Senats „Metropole Hamburg – Wachsende Stadt“ aus dem Jahr 2002 auch Vorbild für die Stadtentwicklungs-Strategien anderer Parteien in Hamburg gewesen sei: „Wir glauben, dass Hamburg Substanz hat, dass wir derzeit aber von der Substanz leben“, sagte Hill. „Wir müssen den Strukturwandel vorantreiben, solange Hamburg dies aus eigener Kraft tun kann.“

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Tatsächlich ist diese Gruppe der jüngeren Frauen und älteren Männer auch Teil einer Strategie, mit der die Hamburger CDU zumindest ihre eigene Wirtschaftspolitik flankieren will. Über Jahre hatte es eine Art Strömungsabriss zu den wichtigsten Unternehmen und Verbänden gegeben, mit großem persönlichem Einsatz hat der wirtschaftspolitische Fraktionssprecher Wiese die Bande neu geknüpft. Noch fehlte es der Partei in jüngerer Zeit aber an einem aktiven bürgerlichen Umfeld, das die angestrebten Wählergruppen besser erreichen kann. Dennis Thering, Spitzenkandidat der CDU bei der Bürgerschaftswahl Anfang März 2025 und Landeschef, hat deshalb zuletzt an verschiedenen Strippen gezogen, etwa durch die Abwerbung mehrerer FDP-Politiker, die im Idealfall ihre eigenen (wenngleich in Hamburg zahlenmäßig überschaubaren) Wählergruppen mitbringen. Und er geht zu Nachbarschaften, die eigentlich als wenig CDU-nah gelten, etwa zum „Turm-Snack“ der Interessengemeinschaft St. Pauli und Hafenmeile.

Auch hier war in der vorvergangenen Woche die Wettbewerbsfähigkeit der Hansestadt und die erschwerten Bedingungen für Hamburger Unternehmen eines der Hauptthemen – und genau diese will die CDU wieder in den Kanon der ihr zugeschriebenen Politikkompetenzen zurückbringen.

Source: welt.de

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