Zukunft jener Rezension: Wie es um die Literaturkritik steht

„Mit dem eigenen Kulturbanausentum zu prahlen, war als ironische Geste möglich, aber nicht ratsam, wenn es ernst wurde“: Dieser Satz beschreibt eine ferne Vergangenheit und zielt mitten in die Gegenwart. Er stammt aus einem Radioessay der Literaturkritikerin Julia Schröder, in dem sie sich jüngst anlässlich von „50 Jahren SWR-Bestenliste“ Gedanken gemacht hat über die Entwicklung der Literaturkritik in verschiedenen Medien (nachzuhören in der ARD-Audiothek).

Es geht darin um die sich immer wieder neu und anders stellende Frage, ob und wie Kritik Seriosität mit Unterhaltsamkeit austarieren soll, aber dringender freilich ist die Frage, wo es Kritik überhaupt noch gibt. Aus den „dritten Programmen“, wo sie einst blühte, sei sie schon getilgt worden, stellt Schröder fest, anderswo sei sie stark bedroht. Sie konzediert, dass unabhängig vom Medium die Ursache oft Sparzwang sei, der sich dem Einfluss von Redaktionsmanagern entziehe. Sie fragt dann aber provokant angesichts des seit Jahren sich fortsetzenden Schwundes von Kritik, besonders Buchkritik, aus der Öffentlichkeit: Ob es vielleicht auch mit einer „klammheimlichen Schadenfreude“ verbunden sei, Angehörige der einschüchternden Kritikerzunft stürzen zu sehen?

Rhetorische Fragen beantworten sich selbst, aber es ließe sich noch hinzufügen, dass das Naserümpfen über Kritik als Profession längst auch in manchen Verlagen, Literaturhäusern oder Buchhandlungen zu beobachten ist (von Social Media ganz zu schweigen) – oder sogar in einer vermeintlich objektiven Buchwissenschaft, erinnert man sich etwa an das Ressentiment gegen „Gatekeeper“ und „Elfenbeinturm“ in einem Essay von Gerhard Lauer im „Merkur“ im Frühjahr.

Auch hier regiert der „Midcult“

Was das Fernsehen betrifft, das als Massenmedium doch noch relevanter ist, als viele behaupten, könnte man noch eine komplementäre Beobachtung beisteuern: Im ZDF-Kulturmagazin „Aspekte“ etwa, das seinen „Aspekte-Literaturpreis“ für das beste Prosadebüt des Jahres in diesem Herbst auch schon zum 47. Mal verliehen hat, sieht man seit Längerem eine Vermeidung von rezensorischen Ansätzen, ja von Kritik überhaupt, während gleichzeitig allerdings hochkultureller Anspruch prätendiert und in schöne Bilder gegossen wird. Das provoziert die Diagnose des „Midcult“ (Umberto Eco), die der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler so triftig auch dem heutigen Literaturbetrieb gestellt hat. In der „Aspekte“-Sendung vom 12. Dezember sah man in einem Beitrag des Moderators Jo Schück immerhin Ansätze zu ironischer Kritik: Angesichts eines Gemeinschaftsprojekts des Berliner Bode-Museums mit der Charité, bei dem man im Museum meditiert, um geheilt zu werden, fragte er: „Was hat das mit Museum zu tun?“ Die Kuratorin Maria López-Fanjul antwortete: „Alles. Denn langsam durch die Räume zu gehen und sich auf ein Objekt zu konzentrieren, das ist Meditation.“ Na schön: Wenn’s denn hälfe und dadurch mehr konzentrierte, vielleicht sogar kritische Betrachtung künstlerischen Werken erhalten bliebe, würden wir diese zur Not auch Meditation nennen.

Während besonders die schärfere, ironische Kritik in deutschsprachigen Medien weiter schwindet (oft verbunden mit dem Hinweis, sie werde „online nicht verstanden“), gibt es auch hier einen interessanten Komplementärbefund – ausgerechnet aus den USA. Dort, wo die nach vielen Kahlschlagsjahren verbliebenen Qualitätsmedien unter Trump gerade eingestandenermaßen größere Sorgen haben als die um Literaturkritik, veröffentlichte das Portal „Literary Hub“ im Dezember einen Querschnitt der „most scathing book reviews of 2025“, also auf Deutsch: lauter Verrisse. Die können sich sehen lassen, Marcel Reich-Ranicki hätte daran seine Freude gehabt.

Ein Kritikformat, das er neben seiner Tätigkeit als Literaturchef dieser Zeitung mitgeprägt hat, wird übrigens im kommenden Jahr ebenfalls fünfzig: die Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt. Wie schon im vergangenen Jahr ist aber die Bereitstellung des Preisgelds für die Hauptauszeichnung, den Ingeborg-Bachmann-Preis, eine Zitterpartie – weil die 25.000 Euro bislang von der Stadt Klagenfurt gestellt, wegen Sparzwang aber noch nicht für 2026 bewilligt wurden, wie „Der Standard“ gerade berichtete. Um den Fortbestand des gesamten Sendekonzepts nach dem Jubiläum – drei Tage am Stück stundenlang live ausgestrahlte Literaturkritik in Fernsehen, Radio und Internet, etwas wohl weltweit Einzigartiges – wird leider auch sehr gebangt, nicht zum ersten Mal. Und hoffentlich nicht zum letzten Mal.

Source: faz.net