Hamburg möchte Betroffenen häuslicher Gewalt die Auflösung eines gemeinsamen Mietvertrags erleichtern. Justizsenatorin Gallina bringt nun eine Bundesratsinitiative auf den Weg. Doch was nutzt ein Gesetz, wenn die Gerichte viel zu lange Zeit benötigen?
Passender hätte Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina den Zeitpunkt für ihre neue Bundesratsinitiative kaum wählen können. Es ist der 25. November, der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen, den die Grünen-Politikerin für einen ihrer seltenen Auftritte in der Landespressekonferenz nutzt, für eine deutliche Botschaft. „Gewalt gegen Frauen und Mädchen hat in Hamburg keinen Platz, und aus meiner Sicht sind einige Reformen auf Bundesebene dringend notwendig, um der Gewalt, die Frauen angetan wird, effektiv zu begegnen“, sagt Gallina – und macht einen konkreten Vorschlag.
Ihr Anliegen betrifft eine Lage, wie sie vielfach in Deutschland existiert: Wer von häuslicher Gewalt betroffen ist, hat es oftmals schwer, aus dem gemeinsamen Mietvertrag mit dem Täter oder der Täterin herauszukommen. Denn stellt sich der ehemalige Partner quer, hilft den Betroffenen mitunter nur noch eine Klage vor Gericht. Mit einer Bundesratsinitiative möchte Hamburgs rot-grüner Senat jetzt erreichen, dass Opfer häuslicher Gewalt schnell und unkompliziert – möglichst in gerichtlichen Eilverfahren – aus dem Mietvertrag einer gemeinsamen Wohnung aussteigen können.
„Wir wollen Betroffenen von häuslicher Gewalt einen Neuanfang außerhalb einer gemeinsam mit dem Täter gemieteten Wohnung erleichtern“, begründet Gallina den Vorstoß. Die aktuelle Rechtslage bedeute für die Betroffenen im Streitfall einen mitunter langwierigen belastenden Rechtsstreit. In dieser Zeit finanzierten sie oft noch die Miete des Täters mit und hätten damit häufig selbst nicht die Ressourcen für neue und sichere eigene vier Wände.
„Das ist unzumutbar. Wir müssen deshalb die Durchsetzung des Zustimmungsanspruchs gegen den Mitmieter beschleunigen“, betont Gallina. Sie fügt hinzu: „Damit entziehen wir den Tätern die Möglichkeit, über die gemeinsame Wohnung weiter Kontrolle und Macht über die Opfer auszuüben.“ Zwar kann dem Opfer die bisher gemeinsam bewohnte Wohnung gemäß Paragraf 2 Gewaltschutzgesetz allein zur Nutzung zugewiesen werden. Insbesondere wenn die Opfer in ein Frauenhaus geflüchtet seien, wollten sie aber häufig nicht in das bisherige Umfeld zurückkehren, heißt es weiter aus der Justizbehörde.
In solchen Fällen steht den Opfern – wie jeder anderen Person – in der Regel ein Anspruch gegen den Mitmieter auf Zustimmung zur Kündigung des Mietvertrags zu. Dieser Anspruch muss aber im Streitfall in einem Zivilprozess geltend gemacht werden. Denn bislang muss ein gemeinsam geschlossener Mietvertrag auch von beiden Mietparteien gemeinsam gekündigt werden. Weigert sich der ehemalige Partner, ist das problematisch: Neben dem oft langwierigen belastenden Rechtsstreit haften die Betroffenen häuslicher Gewalt bis zur Kündigung und Räumung der Wohnung für weitere Forderungen aus dem Mietverhältnis mit.
Vorstoß berührt Rechte der Vermieter nicht
Zudem haben die Betroffenen häufig nicht die Mittel, um vorerst zwei Wohnungen zu finanzieren, häufig nicht zur Verfügung. Dadurch wird ein Neuanfang oft verzögert oder verhindert. Die Täter können auf diese Weise eine fortdauernde Kontrolle über das Leben ihrer Opfer behalten, was deren Leidenszeit zusätzlich verlängern kann. „Für die Frauen ist das ziemlich perfide, und deswegen ist das nicht länger hinnehmbar“, sagt Gallina.
Mit der Bundesratsinitiative setze Hamburg einen rot-grünen Antrag aus der Bürgerschaft um, nachdem der Stadtstaat bereits im Juni auf der Justizministerkonferenz einen Beschluss dazu erreicht hatte. Der Vorstoß berührt den weiteren Angaben zufolge nicht die Rechte der Vermieter. Stattdessen soll er die Durchsetzung des bestehenden Kündigungsrechts erleichtern. Konkret möchte Hamburg mit der Bundesratsinitiative das Gewaltschutzgesetz erweitern. Die Befassung im Bundesrat findet voraussichtlich im Januar statt.
Der Mieterverein zu Hamburg begrüßt den Vorstoß und forderte zugleich ein Wahlrecht für Betroffene beim Mietvertrag. Opfer müssten selbst entscheiden können, ob sie aus dem Vertrag ausscheiden wollen oder ob der gewalttätige Partner aus dem Mietverhältnis entfernt wird, erklärt der Mietervereins-Vorsitzende Rolf Bosse. Es dürfe nicht an den Opfern hängen bleiben, eine neue Wohnung suchen zu müssen.
Auch der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) „unterstützt alle Möglichkeiten, häusliche Gewalt zu verhindern und den Opfern zu helfen“, erklärt Direktor Andreas Breitner. Allerdings habe sein Verband „Sorge, dass die Umsetzung derartiger Regelungen an der mangelnden personellen Ausstattung der Hamburger Gerichte scheitern wird“. Breitner: „Was nutzt das beste Gesetz, wenn am Ende die Gerichte (viel zu) lange Zeit benötigen, um Recht und Gesetz durchzusetzen?“
Nach Einschätzung des VNW-Direktors entsteht der Eindruck, „dass die Justizsenatorin mit derartigen ‚Erfolgsmeldungen‘ von eigenen Versäumnissen ablenken will“. So beklagten Hamburger VNW-Mitgliedsunternehmen seit Jahren überlange Verfahrensdauern bei Räumungsprozessen in Mietsachen und bei Nachlassverfahren. Der Personalmangel in der hanseatischen Justiz habe inzwischen Ausmaße angenommen, die zu nicht mehr tragbaren Verzögerungen führten. Deshalb fordert Breitner von Gallina neben der Bundesratsinitiative „ein ebensolches Engagement bei der personellen Ausstattung der Gerichte“. Denn die Funktionsfähigkeit der Gerichte sei fundamental für das Funktionieren unserer auf Freiheit und Verantwortung basierenden Gesellschaft.
Wer Gewaltopfern wirklich helfen will, darf wiederum aus Sicht des AfD-Fraktionsvorsitzenden Dirk Nockemann „nicht die Vertragsfreiheit aushebeln, sondern braucht rechtsstaatliche Kontrolle statt rot-grüner Willkür“. Seine Partei fordere ein Verfahren, das Betroffene rasch entlastet, „aber nur auf Basis überprüfbarer Tatsachen und nicht auf bloßen Behauptungen – denn Schutz ohne Kontrolle ist Einladung zum Missbrauch“. Gleichzeitig müssten die Interessen der Vermieter gewahrt und die wirtschaftliche Tragfähigkeit des verbleibenden Mieters sichergestellt werden.
Zahl der Fälle von schwerer Körperverletzung steigt
Indes hat die Zahl der Frauen in Hamburg, die von ihrem Partner oder Ex-Partner schwer oder gefährlich verletzt worden sind, im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2023 zugenommen. Laut der polizeilichen Kriminalstatistik gab es bei den Fällen von gefährlicher oder schwerer Körperverletzung sowie Verstümmelung weiblicher Genitalien im vergangenen Jahr in Hamburg 567 Frauen und 426 Männer als Opfer. 2023 hatte es 917 Opfer gegeben, darunter 537 Frauen.
Bei den Fällen von Vergewaltigung, sexueller Nötigung und besonders schweren sexuellen Übergriffen einschließlich Todesfolge stiegen die Zahlen ebenfalls deutlich an: 2024 wurden hier 93 Frauen in Hamburg Opfer ihres Partners oder Ex-Partners, im Jahr davor waren 70 Frauen betroffen. Bei den Männern gab es in den beiden Jahren insgesamt drei Opfer in diesem Bereich. Insgesamt gab es 2024 in Hamburg 4695 Fälle vorsätzlicher Körperverletzung in Partnerschaften. Im Jahr davor waren es mit 4930 etwas mehr Fälle gewesen.
In rund 70 Prozent waren in beiden Jahren Frauen die Opfer: 2024 wurden 3271 Frauen als Opfer häuslicher Gewalt registriert, 2023 waren es 3429. Im laufenden Jahr wurden von Januar bis September insgesamt 3800 Frauen und Männer in dieser Kategorie als Opfer erfasst. Häusliche Gewalt und Beziehungsgewalt wird in der polizeilichen Kriminalstatistik laut Landeskriminalamt nicht gesondert erfasst.
Neben der Bundesratsinitiative sprechen sich SPD und Grüne in Hamburg für eine schärfere Gesetzeslage bei Femiziden aus. Ein Antrag der Regierungsfraktionen sieht vor, dass der Senat sich auf Bundesebene für eine Anpassung der Rechtslage einsetzt, mit dem Ziel, ein eigenes Mordmerkmal für geschlechtsspezifische Tatmotive im Strafgesetzbuch zu verankern.
Die Hamburger Linksfraktion fordert mit einem eigenen Antrag ein Monitoring zu geschlechtsspezifischer Gewalt und Tötungen an Frauen und Mädchen. Ziel sei eine kontinuierliche und systematische Datenerhebung, die bestehende Lücken schließe, Entwicklungen transparent mache und eine bessere Grundlage für Prävention und politisches Handeln schaffe. Über beide Anträge wollte die Bürgerschaft am Mittwoch entscheiden.
Unterdessen nutzte Hamburg den diesjährigen 25. November als Gedenk- und Aktionstag zur Bekämpfung von Diskriminierung und Gewalt jeder Form gegenüber Frauen und Mädchen. So hisste etwa die Präsidentin der Bürgerschaft, Carola Veit, eine Flagge mit der Aufschrift „Hamburg sagt Nein zu Gewalt gegen Frauen“ am Balkon des Rathauses. Weiterhin übergaben Gallina, Innensenator Andy Grote (SPD) und Polizeipräsident Falk Schnabel im Bezirksamt Hamburg-Mitte eine weitere „Orange Bank“ an die Bürgerinnen und Bürger.
Zum Hintergrund: Seit 1991 macht die UN-Kampagne „Orange the World“ laut Innenbehörde auf Gewalt gegen Frauen und Mädchen aufmerksam. Um dieses Phänomen in den Fokus zu rücken, setzt die Kampagne unter anderem durch das Aufstellen oranger Bänke ein Zeichen.
Source: welt.de