Kathryn Wylde weiß wie kaum jemand sonst, was die New Yorker Wirtschaftswelt bewegt. Sie führt die Organisation Partnership for New York, zu der mehr als 300 Unternehmen gehören, darunter Großkonzerne wie Pfizer oder JP Morgan Chase. Für diese Vertreter der lokalen Wirtschaft ist es von erheblicher Bedeutung, wer gerade Bürgermeister in der größten amerikanischen Metropole ist. Und in diesem Jahr sind sie offenbar kalt erwischt worden.
Zohran Mamdani, der große Favorit bei den Bürgermeisterwahlen am 4. November, kam gewissermaßen aus dem Nirgendwo. Wie Wylde erzählt, haben ihre Mitglieder ihm vor den Vorwahlen der Demokratischen Partei im Juni kaum Beachtung geschenkt. „Wir haben Treffen mit ihm organisiert, zu denen nur ein paar Leute gekommen sind.“ Aber dann triumphierte Mamdani – und brachte sich in der von Demokraten dominierten Stadt in die beste Ausgangsposition, um in Gracie Mansion einzuziehen, den offiziellen Amtssitz des Bürgermeisters. Auf einmal war das Interesse an Mamdani gewaltig.
Viele Unternehmensvertreter sind aufgeschreckt
Als Wylde wenige Wochen nach den Vorwahlen weitere Veranstaltungen mit ihm organisierte, waren jeweils mindestens 150 Unternehmensvertreter da. Mamdanis plötzlicher Aufstieg hatte viele von ihnen aufgeschreckt. Sie sahen sich nun ausgerechnet in der Stadt, die als Finanzzentrum der Welt gilt, mit der Aussicht auf einen Bürgermeister konfrontiert, der so etwas wie das Gegenteil von Wirtschaftsfreundlichkeit verkörpert und sich stolz als „demokratischer Sozialist“ beschreibt. Das ist eine Anti-Kapitalismus-Bewegung, die das Ziel ausgibt, „die Macht von Unternehmen zu schwächen“. Ginge es nach Mamdani, gäbe es auch keine Milliardäre.
Mamdani hat eine steile Karriere hingelegt. Obwohl er gerade einmal 34 Jahre alt ist und über wenig politische Erfahrung verfügt, hat er jetzt glänzende Chancen, den „Big Apple“ zu führen. Er wäre dann der erste muslimische Bürgermeister, den es New York jemals gab. Mit seinem zentralen Wahlkampfversprechen, die notorisch teure Stadt erschwinglicher zu machen, hat er einen Nerv getroffen, und er hat es geschafft, diese Botschaft mit Volksnähe und dem geschickten Einsatz sozialer Medien effektvoll zu kommunizieren.
In Umfragen liegt er mit großem Abstand vor seinen beiden Herausforderern: Zum einen Andrew Cuomo, dem früheren Gouverneur des Bundesstaates New York, den Mamdani in den Vorwahlen weit hinter sich ließ und der jetzt als parteiunabhängiger Kandidat antritt. Zum anderen dem Republikaner Curtis Sliwa, der vor vier Jahren schon einmal kandidiert und damals klar gegen den heutigen Bürgermeister Eric Adams verloren hat. Adams ist in New York nicht zuletzt wegen seiner Verstrickung in eine Korruptionsaffäre sehr unbeliebt. Er hat sich zwar zunächst als Parteiunabhängiger um eine Wiederwahl bemüht, zog dann aber vor einigen Wochen angesichts miserabler Umfragewerte seine Kandidatur zurück.
Donald Trump nennt Mamdani einen „Geistesgestörten“
Neben den eigentlichen Kandidaten ist auch Donald Trump allgegenwärtig in dem Rennen. Der US-Präsident hat sich wiederholt zum Wahlkampf geäußert und dabei Mamdani scharf kritisiert. Er hat ihn als „Kommunisten“ und „Geistesgestörten“ beschimpft. Er hat gedroht, New York im Falle von Mamdanis Sieg Geld aus dem Bundeshaushalt zu verweigern und die Nationalgarde in die Stadt zu schicken, wie er das zuletzt auch in Chicago getan hat.
Cuomo hat in einer Fernsehdebatte argumentiert, in Wahrheit hoffe Trump auf einen Wahlsieg Mamdanis, um ihn als ideologischen Gegenspieler verteufeln und New York „übernehmen“ zu können. „Dann haben wir Präsidenten Trump und Bürgermeister Trump.“ Mamdani beteuert, er sei Trump gewachsen, und hat sich als Trumps „schlimmsten Albtraum“ beschrieben.
Wenn Trumps Agenda auf Kosten der Menschen in New York gehe, zum Beispiel mit Blick auf die Abschiebung von Einwanderern, werde er sich mit aller Macht gegen ihn stemmen. Sollte Trump ihm aber dabei helfen wollen, die Lebenshaltungskosten in der Stadt zu senken, sei er jederzeit zur Zusammenarbeit bereit.
Steuererhöhungen für soziale Wohltaten
Mamdanis Wahlprogramm enthält einen bunten Strauß an Versprechungen. Er will Gratisbetreuung für alle New Yorker Kinder bis zu fünf Jahren zur Verfügung stellen, und er will die Mieten in den rund eine Million Wohnungen, die schon bislang Mietregulierungen unterliegen und deshalb vergleichsweise erschwinglich sind, ganz einfrieren. Busfahren soll nach Mamdanis Vorstellung künftig komplett umsonst sein, und er will stadteigene Supermärkte eröffnen, die keine Mieten oder Grundsteuern zahlen müssen und deshalb Lebensmittel billiger verkaufen können.
All das will er vor allem mit Steuererhöhungen finanzieren, die neun Milliarden Dollar einbringen sollen. New Yorker, die mehr als eine Million Dollar im Jahr verdienen, sollen eine zusätzliche Einkommensteuer von zwei Prozent bezahlen, außerdem soll der Höchststeuersatz für Unternehmen im Bundesstaat New York von 7,25 auf 11,5 Prozent angehoben werden.
Die Aussicht auf einen Wahlsieg Mamdanis sorgt in wohlhabenden New Yorker Kreisen für reichlich Nervosität. Manche bemühen sich verzweifelt, ihr Geld und ihren Einfluss auszuspielen, um den Favoriten noch zu bremsen. Der Hedgefonds-Manager Bill Ackman hat einen Millionenbetrag in Anti-Mamdani-Organisationen gepumpt und auch versucht, den Republikaner Sliwa zum Rückzug aus dem Rennen zu drängen, um Cuomos Chancen zu erhöhen.
Warnung vor einem Exodus der Wirtschaftselite
Ackman hat gesagt: „New York braucht mehr Milliardäre, nicht weniger. Die Stadt funktioniert, weil Millionäre und Milliardäre Steuern zahlen.“ Der Ökonom und frühere US-Finanzminister Larry Summers warnte vor einem „massiven Exodus“ der Wirtschaftselite aus der Stadt, sollte Mamdani gewinnen. Für die Bundesstaaten Florida und Texas wäre dies womöglich „das größte Geschenk, das sie jemals bekommen haben“.
In einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Umfrage der Marktforschungsgruppe Victory Insights gab mehr als ein Viertel der Befragten an, einen Wegzug aus New York in Erwägung zu ziehen, falls Mamdani Bürgermeister wird. Auch unter Besserverdienern gibt es freilich Mamdani-Anhänger. Das „Wall Street Journal“ berichtete unter Berufung auf Wählerdaten, von den reichsten New Yorkern habe bei den Vorwahlen knapp ein Drittel für ihn gestimmt.
Lewis Black ist einer derjenigen, die nun ernsthaft darüber nachdenken, die Stadt zu verlassen. Der gebürtige Londoner lebt seit Anfang der Neunzigerjahre in New York, er führt das börsennotierte Rohstoffunternehmen Almonty. Er sagt, viele seiner vermögenden Freunde seien schon weggezogen, zum Beispiel in der Amtszeit von Bill de Blasio, der zwischen 2014 und 2021 Bürgermeister war und politisch ebenfalls weit links stand.
Milliardäre wollen nicht schuld sein am teuren New York
Mamdani habe zwar recht, dass New York viel zu teuer sei. Aber dafür seien nicht Milliardäre verantwortlich, sondern eine hohe Steuerbelastung und Überregulierung. Weitere Steuererhöhungen hätten nur den Effekt, dass wichtige Steuerzahler flüchteten. Black sieht Mamdani als Populisten, der „leere Botschaften“ verbreite, und eine Metropole wie New York könne sich ein solches „Experiment“ nicht leisten: „Er hat das Glück, zwei schwache Gegner zu haben. Man sollte meinen, in einer so großen Stadt würden sich bessere Kandidaten finden lassen.“ Black findet es auch irreführend, dass Mamdani sich als „Sozialist“ beschreibt: „Als jemand, der in seinem Leben nie wirklich auf etwas verzichten musste, ist er dazu nicht qualifiziert. Ich würde ihn einen intellektuellen Opportunisten nennen.“
Mamdani gibt zu, „privilegiert“ aufgewachsen zu sein. „Mir hat nie etwas gefehlt“, sagte er einmal zur „New York Times“. Aber er wisse eben, dass dies für die meisten Menschen in der Stadt nicht gelte. Mamdani hat indischstämmige Eltern, seine Mutter ist die Regisseurin Mira Nair, die preisgekrönte Filme wie „Monsoon Wedding“ gedreht hat, sein Vater Mahmood Mamdani ist Professor an der New Yorker Columbia University.
Geboren ist Mamdani in Uganda, nach New York kam er, als er sieben Jahre alt war. Seit 2018 ist er amerikanischer Staatsbürger. Zeitweise versuchte er sich unter dem Namen „Mr. Cardamom“ als Rapper, Bilder aus einem Musikvideo mit ihm werden jetzt im Wahlkampf von seinen Gegnern in Anzeigen genutzt, um ihn als unqualifiziert für das Bürgermeisteramt darzustellen. In die Politik kam Mamdani Anfang 2021, als Abgeordneter im Parlament des Bundesstaates New York. Schon in diesem Amt hat er versucht, sich als Freund der Arbeiterklasse zu profilieren. Er nahm zum Beispiel an einem Hungerstreik von New Yorker Taxifahrern teil, die für einen Schuldenerlass auf ihre Taxilizenzen kämpften.
Haltung zu Israel als wunder Punkt
In den vergangenen Monaten hat Mamdani in einer Art Charmeoffensive den Dialog mit New Yorker Wirtschaftsvertretern gesucht, und offenbar ist es ihm gelungen, manche von ihnen etwas zu besänftigen. Kathryn Wylde vom Unternehmensverband sagt: „Er hinterlässt bei vielen Führungskräften einen positiven Eindruck. Es gibt noch immer Skepsis, aber die Angst ist nicht mehr ganz so groß.“ Wylde findet auch, Mamdanis Positionen seien seit seinem Sieg bei den Vorwahlen „nuancierter“ geworden.
Er sehe jetzt zum Beispiel ein, dass es problematisch sei, Mieten einzufrieren, solange nicht gleichzeitig versucht werde, Vermietern auf der Kostenseite entgegenzukommen. Daher habe er in Aussicht gestellt, sich für eine Grundsteuerreform einzusetzen. Mamdani habe auch Hoffnung darauf gemacht, dass er als Bürgermeister professionelle Manager für die Stadtverwaltung rekrutieren werde und nicht in erster Linie Ideologen. Kürzlich sagte er, im Falle seines Wahlsiegs wolle er die weithin respektierte New Yorker Polizeichefin Jessica Tisch bitten, im Amt zu bleiben. Das wurde als wichtiges Signal interpretiert, zumal er in der Vergangenheit als scharfer Kritiker der Polizei in der Stadt aufgefallen ist. Er hat sie „rassistisch“ genannt und gefordert, ihr Budget zu kürzen. Für diese Äußerungen hat er sich jetzt im Wahlkampf entschuldigt.
Ein wunder Punkt für Mamdani bleibt indessen offenbar auch in New Yorker Wirtschaftskreisen seine Haltung zu Israel. Er hat das Land wegen der Angriffe im Gazastreifen scharf kritisiert und von einem „Genozid“ gesprochen. Wylde sagt, viele Vertreter der jüdischen Gemeinde seien noch immer „extrem besorgt“, die traditionell enge Beziehung New Yorks zu Israel könnte unter Mamdani erschüttert werden. An dieser Befürchtung habe auch der kürzlich vereinbarte Waffenstillstand im Nahen Osten nichts geändert.
„Wir haben schon genug verloren“
Was Mamdanis Wirtschaftsagenda betrifft, muss sich derweil erst noch zeigen, wie viel davon er wirklich umsetzen könnte. Für die geplanten Steuererhöhungen zum Beispiel bräuchte er die Mithilfe der Regierung des Bundesstaates New York, und die ist sehr fraglich. Gouverneurin Kathy Hochul, die Mamdani unterstützt, aber politisch näher an der Mitte liegt, hat sich sehr deutlich gegen höhere Steuern ausgesprochen. Offenbar fürchtet sie eine weitere Abwanderung von Steuerzahlern. Vor einigen Monaten sagte sie: „Ich will keine Leute mehr an Palm Beach verlieren. Wir haben schon genug verloren.“ Palm Beach liegt in Florida, hier ist auch Trumps Privatklub Mar-a-Lago.
Jamie Dimon, der Vorstandschef von JP Morgan und einer der prominentesten Finanzmanager der Stadt, vermittelt den Eindruck, er könne mit einem Wahlsieg Mamdanis leben. Kürzlich sagte er auf einer Veranstaltung, in diesem Fall werde er ihn anrufen und seine Hilfe anbieten: „Ich muss mich mit der Welt auseinandersetzen, wie sie ist, nicht mit der, die ich gerne hätte. Und wenn er Bürgermeister wird, dann ist das eben so.“
New York steht heute recht solide da, das Wirtschaftswachstum war im vergangenen Jahr höher als in den USA insgesamt. Entgegen vieler pessimistischer Stimmen hat sich die Stadt recht schnell von einer pandemiebedingten Schwächephase erholt – ein damals viel diskutierter Gastbeitrag in der „New York Post“ mit dem Titel „New York ist für immer tot“ erwies sich als voreilige Fehleinschätzung. Insgesamt ist die Zahl der Einwohner in den vergangenen beiden Jahren wieder gewachsen.
„New York ist sehr widerstandsfähig“, sagt Verbandschefin Wylde und verweist darauf, dass die Stadt schon viele Comebacks erlebt habe, etwa nach den Terroranschlägen 2001 oder der Finanzkrise um 2008. Die Kehrseite ist freilich, dass New York ein extrem teures Pflaster ist. Die Mieten für Wohnungen, die zu Marktpreisen angeboten werden, sind mit weitem Abstand die höchsten im Land. Nach Angaben des Immobilienportals Zumper lag die mittlere Monatsmiete für eine Zweizimmerwohnung zuletzt bei fast 4500 Dollar.
In einer der Fernsehdebatten wurde Mamdani gefragt, was er einem Vorstandschef sagen würde, der überlege, mit seinem Tech-Unternehmen nach New York oder ins texanische Dallas zu ziehen und sich Sorgen um die höheren Steuern in New York mache. Mamdani sprach erst von der „Lebensqualität“ in der Stadt, die es sonst nirgendwo in Amerika gebe, und drehte seine Antwort dann schnell auf das Kernversprechen seines Wahlkampfs: „Wir werden diese Stadt erschwinglicher machen, damit Leute, die bei diesen Unternehmen arbeiten wollen, das auch tun können.“
Mamdani positioniert sich auch schon mit Blick auf eine Großveranstaltung im nächsten Jahr als Kämpfer für Niedrigpreise. Kürzlich startete er eine Petition, um New Yorkern billigeren Zugang zur Fußballweltmeisterschaft zu verschaffen. Acht Spiele, darunter das Finale, sollen in einem Stadion etwas außerhalb von New York ausgetragen werden. Mamdani, selbst ein leidenschaftlicher Fan von Arsenal London, forderte den Fußballverband FIFA unter anderem auf, ein Kontingent von Tickets mit 15 Prozent Rabatt für Einheimische zu reservieren. „Das größte Sportereignis der Welt findet in unserem Hinterhof statt, und die weit überwiegende Mehrheit der New Yorker kann es nicht sehen.“