Ab November werden hohe Strafzölle auf chinesische Elektroautos fällig. So beschloss es nun die EU-Kommission, im Windschatten der USA. Die Volksrepublik subventioniere ihre Automobilindustrie zu stark, heißt es. Dieser Vorwurf ist absurd
Es erscheint wie eine verkehrte Welt: Die Bundesregierung und EU-Kommission geben vor, ihren Kapitalismus zu dekarbonisieren, um das Klima zu schützen. Mit Europas „Green Deal“, der Förderung von E-Autos und dem Ausbau von erneuerbaren Energien und Ladestationen haben sie Maßnahmen für den grünen Umbau getroffen. Nun scheint die Europäische Union auf diesem Pfad eine Rolle rückwärts zu machen.
Denn im Windschatten der USA, die den Aufstieg Chinas durch einen Wirtschaftskrieg eindämmen wollen, wird die EU chinesische Elektroautos mit zusätzlichen Schutzzöllen belegen. Am Freitag beschloss die EU-Kommission, in der Volksrepublik hergestellte E-Autos ab November mittels Strafzöllen von bis zu 35,3 Prozent künstlich zu verteuern. Aktuell liegt der Zollsatz für Elektroautos aus China bei zehn Prozent.
Noch verkehrter wird die Welt, wenn ein grüner Wirtschaftsminister am stärksten für diese Zölle trommelte, auch wenn Deutschland damit zwangsläufig seine Klimaziele krachend verfehlen muss. Letztlich setzte sich innerhalb der Ampelregierung jedoch der SPD-Bundeskanzlerdurch, der den unter der Konkurrenz ächzenden Autokonzernen und konservativen Teilen der IG Metall nahesteht: Olaf Scholz ließ Deutschland als eines von bloß fünf Ländern gegen die Zölle stimmen. Doch das war keine ausreichende Mehrheit. Zehn Länder stimmten dafür. Die Zölle kommen also. Und damit ein Handelskrieg mit China?
Welche Folgen eine Fragmentierung des Weltmarkts haben kann
Die EU begründet die Subventionen mit „unfairem Wettbewerb“. Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, das sonst gerne die Fahne des Freihandels hochhält, spricht darum von „Ausgleichszöllen“ gegen Chinas „massive Staatssubventionen“.
Dabei ist der Dumping-Vorwurf gegen China einigermaßen absurd. Auch die kapitalistischen Staaten des „Westens“ fördern ihre Autoindustrie seit Jahrzehnten mit Milliarden. Industriepolitische Offensiven wie „NextGeneration EU“ oder das „Europäische Chip-Gesetz“ fördern privates Kapital in Milliardenhöhe. Dasselbe gilt für die USA, die die Schutzzölle auf chinesische E-Autos und Solaranlagen von 25 auf 100 Prozent gesteigert haben. Der „Westen“ handelt nicht aus hehren Prinzipien und im Sinne von gleichen Marktregeln für alle. Er bricht mit dem Freihandel, wann und wo er es kann, weil er dazu die Macht hat.
Dabei riskieren unilaterale Schutzzölle chinesische Vergeltungsmaßnahmen und gegebenenfalls eine internationale Fragmentierung des Weltmarkts nach dem Vorbild der „Großen Depression“ (1873–1895) und der Weltwirtschaftskrise (1929–1939), die in zwei Weltkriege mündeten. Das deutsche exportorientierte Kapital muss solche Entwicklungen fürchten. Nicht zuletzt deswegen ist der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gegen die Zölle.
Auch für die Gewerkschaften steht viel auf dem Spiel. Einerseits verteuern Schutzzölle den Konsum der Arbeiterklasse. In einer zunehmend vulnerablen Bevölkerung ist das heikel. Andererseits geht es um die gewerkschaftlich organisierten Hochlohnjobs.
Der Westen agiert jetzt schon, als würde Donald Trump regieren
Als Donald Trump 2017 an die Macht kam, setzte er den Zugang zum US-Binnenmarkt als Waffe ein. Sein Vorbild waren Reagans Schutzzölle: 1981 zwangen die USA Japan zu „freiwilligen“ Exportbeschränkungen. Auch China hat einen Vorschlag über Mindestpreise und Höchstmengen bei der EU-Kommission eingereicht, um die Zölle noch zu verhindern. Doch diesen schmetterte die Kommission ab – angeblich sei der chinesische Vorstoß inkompatibel mit den WTO-Regeln.
Trump knüpfte an Schutzzölle das Versprechen der Reindustrialisierung. Merkantilismus nach außen und Subventionen,Steuersenkungen für Kapital und Super-Reiche sowie deregulierte Umweltauflagen sollten Auslandskapital zwingen, in den USA zu produzieren. Mittlerweile agiert der ganze Westen auch ohne Trump wie Trump. Bidens „Inflation Reduction Act“ sowie der „CHIPS and Science Act“ dienen demselben Ziel und deindustrialisieren angesichts der infolge des Ukrainekriegs massiv gestiegenen Energiekosten auch Deutschland.
Ist es aber denkbar, dass Chinas Autobauer im Ergebnis der Zölle alsbald in den USA und Europa produzieren und die hiesigen Gesellschaften davon in Form von Arbeitsplätzen und Steuermitteln profitieren?
Tatsächlich würde ausländisches Kapital niemals bestehende Anlagen mit machtvollen Gewerkschaften und Tarifverträgen übernehmen. Es würde vielmehr im Sinne der Profitmaximierung an neuen Standorten, wo es keine Gewerkschaften gibt, eigene Kapazitäten aufbauen.
Schutzzölle sind ein sozialpolitisches Desaster
Entscheidender als Schutzzölle ist die Frage: Wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass das „rückständige China“ die privaten Autokonzerne im Westen so überholte? Was sagt deren Unternehmensführung für ihre Rolle in der Einhaltung gesellschaftlicher Ziele wie soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz aus, wenn sie trotz Klimakrise lieber die profitableren, klimapolitisch aber desaströsen Geländewagen als Dreiliterauto oder preisgünstige E-Autos bauen ließen? Oder wenn sie lieber, wie Volkswagen, Abgasmesswerte manipulierten und Strafen einpreisten, als Klimaschutzvorgaben einzuhalten?
Schutzzölle und Subventionen sind keine probaten Mittel, um Konzerne auf das Gemeinwohl zu verpflichten. Der entscheidende Haken ist die Kapitalmobilität, die die Gewerkschaften aus Angst vor Arbeitsplatzverlusten zu lohnpolitischen Konzessionen und die Staaten zu Steuersenkungen und Subventionen zwingt. Und er ist die private Verfügungsgewalt. Wenn es dem Management unter dem Diktat der Profitmaximierung schon nicht gelingt, E-Autos und Solaranlagen zu bauen, sind Konzerne im Privateigentum offensichtlich die falschen Antworten auf drängende Menschheitsfragen: Klimaneutralität, ökologische Nachhaltigkeit und Weltfrieden oder Ungleichheit, gesellschaftliche Teilhabe und Geschlechtergerechtigkeit.
Schutzzölle sind sozial-, friedens- und klimapolitische ein Desaster. Die Politik muss so radikal sein wie die Wirklichkeit. Die Gewerkschaften sollten, anstatt Staat und Kapital aus Angst hinterherzutrotten, zu ihrer Rolle als Vorkämpferin des gesellschaftlichen Fortschritts zurückkehren. Protektionismus hat zu viele Haken und Ösen. Es kommt darauf an, Nägel mit Köpfen zu machen.