Zerplatzt die Regierung darüber hinaus den Haushalt?

Bis zum 14. November müsste die Sache entschieden sein, also die Frage, ob die Bundesrepublik danach noch eine Regierung hat – und ob es früher zu Neuwahlen kommt als an jenem 28. September 2025, der dafür eigentlich schon festgesetzt ist. Es hängt, wieder einmal, am Bundeshaushalt, dem in Zahlen gegossenen Politikprogramm von Regierung und Parlamentsmehrheit, und an jenem Donnerstag trifft sich der Haushaltsausschuss zu seiner alljährlichen „Bereinigungssitzung“, dem nächtlichen Sitzungsmarathon, in dem letzte Details des Etats festgeklopft werden.

Vom Faktischen her ist die Lage schwierig, nicht zuletzt wegen schrumpfender Steuereinnahmen und wachsender Sozialausgaben, aber nicht unlösbar, vielleicht sogar einfacher zu bewältigen als im vorigen Jahr, als das Bundesverfassungsgericht kurz vor dem geplanten Haushaltsbeschluss dazwischenfunkte und eine gewaltige Lücke in den Etat schlug. Auch wenn nach der jüngsten Steuerschätzung noch mal 13 Milliarden Euro fehlen.

Aber so ist es längst nicht mehr, dass das alles nur Fachfragen wären. Die Augen richten sich auf den Finanzminister. Er werde eigene Vorschläge machen, hatte er angekündigt, und zum Wochenende prompt geliefert. 18 Seiten umfasst das Papier mit seinen Wünschen an die Koalitionspartner, vom Einstieg in die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für höhere Einkommen bis zu einer Kehrtwende in der Klimapolitik. Und er beschwert sich in in einer Mail an Parteifreunde über Indiskretionen von SPD und Grünen, durch die das Papier bekanntgeworden sei: Auch dies ein Indizu dafür, dass er schon nach Scheidungsgründen sucht.

Die Frage ist nun, wie die Koalitonspartner damit umgehen, am Mittwoch wird voraussichtlich der Koalitionsausschuss tagen. In ersten Reaktionen geben sich SPD und Grüne nach außen demonstrativ gelassen, um der FDP keinen Anlass für einen Ampel-Austritt zu liefern. Schließlich habe auch Wirtschaftsminister Robert Habeck mit seiner Investitionsprämie einen Vorschlag gemacht, heißt es.

Brisant an Lindners Vorschläge ist eher das Symbolische, weniger die finanzielle Tragweite. Geld bei den Ärmsten zu holen, um die Steuern für die höheren Einkommensgruppen zu senken: Das ist für viele bei Roten und Grünen eine einzige Provokation. Dabei geht es gar nicht um so hohe Summen. 4,5 Milliarden Euro für den Einstieg in den Ausstieg aus dem Soli, 2 Milliarden Euro weniger für die Wohnkosten beim Bürgergeld: Das ist erst einmal wenig Geld im Vergleich etwa zu den zehn Milliarden Euro an Subventionen für die vorerst abgesagte Magdeburger Chipfabrik, mit denen die Koalition jetzt Haushaltslöcher stopfen kann. Auch im Umfeld des Bundeskanzlers wird betont, seine Gipfeltreffen mit Industrie und Gewerkschaften zielten nicht auf teure Ausgabenprogramme. Merkwürdig unverbunden steht der Konflitk um die Wirtschaftsbelebung derzeit gegen den Haushaltsstreti.

Last Exit Haushaltsberatungen

Jenseits der offiziellen Beschwichtigung gilt Lindners Papier vielen bei SPD und Grünenals ein weiterer Beleg, dass der Finanzminister an einem Kompromiss nicht interessiert ist und mit seiner FDP das sinkende Schiff der Koalition lieber verlassen will, weil er sich davon bessere Chancen auf einen Wiedereinzug in den Bundestag verspricht. Die Haushaltsberatungen wären dafür wohl die letzte Gelegenheit. Ist der Etat erst mit Koalitionsmehrheit im Bundestag beschlossen, wäre ein Ausstieg kaum noch plausibel.

Es geht jetzt auch darum, wie weit der Arm des Bundeskanzlers eigentlich noch reicht und welche Kompromisse die Grünen einzugehen bereit sind, die sich von einem späteren Wahltermin wiederum bessere Chancen versprechen; mit dem Wunsch, vom steuerlichen Inflationsausgleich die höheren Einkommen auszusparen, haben sie die FDP jedenfalls schon gehörig provoziert. Ob sich für einen möglichen Koalitionsbruch also überhaupt ein Anlass finden lässt, der dem Publikum vermittelt werden kann, bleibt abzuwarten.

Wissings Wortmeldung

Wie ernst es ist, das lässt sich auch Wortmeldungen aus der FDP entnehmen: Verkehrsminister Volker Wissing, seit jeher ein Befürworter einer lagerübergreifenden Bündnispolitik, hat gerade in einem Gastbeitrag für die F.A.Z. für das Bekenntnis zur Regierungsverantwortung geworben: „Ein Rückzug aus der Koalition wäre respektlos vor dem Souverän.“ Das geht ziemlich frontal gegen das Zündeln des eigenen Parteivorsitzenden – ein Grundsatzkonflitk um die Haltung zum Ampelbündis, der Wissing und Lindner schon länger trennt.

Merkwürdig unverbunden stehen daneben die Debatten um die Frage, wie sich die Strukturschwäche der deutschen Wirtschaft beheben ließe. Im Umfeld des Bundeskanzlers wird versichert, seine Treffen mit Industrieverbänden und Gewerkschaften hätten keine Folgen für die laufenden Haushaltsverhandlungen, an größere Ausgabenposten sei trotz der Debatten um Strompreise oder E-Autos nicht gedacht. Der Vorschlag des Wirtschaftsministers, einen Sonderfonds für Investitionsprämien aufzulegen, zielt sowieso nicht mehr auf die laufende Wahlperiode. Wie es sich in diesem Zusammenhang mit den Steuersenkungsideen des Finanzministers verhält, ist nicht ganz klar.

Die Folgen der US-Wahl

Die Frage ist, wann und wo die Entscheidung fällt. Selbst wenn es zum Bruch kommt: Vorher müssen alle zeigen, dass sie sich redlich bemüht haben. Am Ende werden es ohnehin der sozialdemokratische Kanzler Olaf Scholz, der grüne Vizekanzler Robert Habeck und eben Lindner unter sich ausmachen müssen. Auch werden schon Terminkalender gewälzt, wird darauf hingewiesen, dass der Kanzler ja am Donnerstag und Freitag zum EU-Gipfel in Budapest weilt und in der Woche darauf eigentlich traditionsgemäß zur Eröffnung des Weltklimagipfels fährt.

Viel wichtiger als all dies ist allerdings ein Termin, der sich dem Einfluss der Berliner Regierungsparteien entzieht: die Wahl eines neuen Präsidenten oder einer Präsidentin in den Vereinigten Staaten von Amerika. Wenn sich die Politiker von SPD, Grünen und FDP am Mittwoch treffen, werden sie das Ergebnis kennen, wenn es denn ein Resultat schon gibt. Ob Donald Trump gewinnt, ob seine Anhänger gegen einen knappen Sieg der Konkurrentin Kamala Harris rebellieren oder ob die Auszählung noch andauert: Wenn kurz darauf auch noch in der zweitwichtigsten westlichen Demokratie die Regierung zerbräche, könnte das ein fatales Zeichen sein, auch mit Blick auf die russische Bedrohung, warnen sie bei SPD und Grünen.

Historische Parallelen

An historischen Vergleichen herrscht in diesen Tagen kein Mangel. Gerade hat der Kulturwissenschaftler Jens Bisky ein Buch über die Endphase der Weimarer Republik herausgebracht, in dem er auch den Bruch der letzten parlamentarischen Koalition im Frühjahr 1930 beschreibt, den Druck der Unternehmerverbände auf die Liberalen, den Einfluss der Gewerkschaften auf die Sozialdemokraten, die mangelnde Bereitschaft zum Kompromiss. Am Ende fühlten sich alle Seiten von der jeweils eigenen Klientel so unter Druck gesetzt, dass sie bewegungsunfähig wurden. „Endspiel: Zwist innerhalb der Koalition“ ist das Kapitel überschrieben, und auch sonst weist die Wortwahl erstaunliche Parallelen zur Gegenwart auf.

Es ging um geringere Sozialleistungen und höhere Steuern, auch jenseits des berühmten Viertelprozentpunkts Beitragserhöhung in der Arbeitslosenversicherung, der als Auslöser für den Bruch in die Geschichte eingegangen ist. Wochenlang stritten die Koalitionspartner darüber, so ätzte damals ein Beobachter, ob sie nun lieber Kaffee oder Zucker besteuerten, um am Ende dann eine Abgabe auf grüne Erbsen zu beschließen. Das Gemüse war ein fiktives Beispiel, aber dass die Bayern heftigen Widerstand gegen die Biersteuer leisteten und schließlich das Mineralwasser teurer wurde, war eine historische Realität.

Selbstmord aus Angst vor dem Tod

Berühmt wurde nach dem Scheitern das Wort des früheren sozialdemokratischen Finanzministers Rudolf Hilferding, es sei „nicht gut, aus Furcht vor dem Tode Selbstmord zu verüben“. Selbstmord aus Furcht vor dem Tode: Das ist ein Satz, den man derzeit recht oft hört, wenn man mit Sozialdemokraten oder Grünen über einen möglichen Ausstieg der FDP spricht. Mit dem Verweis auf die mangelnde Kompromissbereitschaft der Parteien in der Weimarer Republik hatte allerdings Angela Merkel schon 2017 versucht, Lindner zum Eintritt in eine mögliche Jamaika-Koalition zu bewegen – vergeblich, wie man weiß.

Nun befindet sich die Wirtschaft heute bloß in einer Phase der Stagnation und nicht im galoppierenden Niedergang wie während der Großen Depression, was den alarmistischen Ton mancher Debatten allerdings noch erstaunlicher macht. Es herrscht keine Massenarbeitslosigkeit, sondern vielerorts ein Mangel an Arbeitskräften, und es stehen heutzutage anders als 1930 andere Regierungskonstellationen bereit, ausweislich der Umfragen jedenfalls. Die Unionsparteien könnten demnach mit mehr als 30 Prozent der Wählerstimmen rechnen. Allerdings birgt der Aufstieg der Populisten erhebliche Risiken für die politische Stabilität, und mindestens eine der jetzigen Regierungsparteien wird auch in einer solchen Konstellation im Kabinett vertreten sein – entweder die Sozialdemokraten oder die Grünen, wenn es für ein solches Zweierbündnis denn reicht.

Harmonisch wird es auch künftig nicht werden

Allerdings erscheint die Vorstellung, in einer solchen Koalition werde die schönste Harmonie herrschen, als einigermaßen weltfremd. Immerhin galt bis zur vorigen Bundestagswahl im Herbst 2021 das Bündnis aus Union und SPD als die eigentliche Ursache für den Aufstieg der Populisten, weil innerhalb des liberaldemokratischen Spektrums angeblich keine echten Alternativen mehr bestünden. Nach den Erfahrungen mit dem Ampelbündnis sehen das allerdings viele Christ- und Sozialdemokraten anders.

Und für einen etwas größeren Bewegungsspielraum hat Oppositionsführer Friedrich Merz schon vorgebaut. Gerade weil die SPD darauf setzt, ihn als kaltherzigen Unternehmerfreund darzustellen, hat er programmatisch schon gegenteilige Akzente gesetzt, etwa mit einem klaren Nein zu einem generell höheren Renteneintrittsalter. Die Idee eines höheren Spitzensteuersatzes hat er aus dem Programm zwar wieder gestrichen, Steuererhöhungen nach der nächsten Wahl bislang aber nicht kategorisch ausgeschlossen. Und den Ruf nach sanfteren Regeln für die Schuldenbremse gibt es unter CDU-Ministerpräsidenten schon länger. Leicht dürften die Gespräche mit einer SPD, die den CDU-Kandidaten im Wahlkampf als kanzleruntauglich hinstellen will, gleichwohl nicht werden.

Umso mehr gilt das für ein Bündnis mit den Grünen, die sich vor allem die bayerische CSU zum Hauptgegner auserkoren hat, die in anderen Teilen der CDU aber immer noch als der modernere Partner gelten, mit dem sich im Land mehr bewegen ließe als mit den strukturkonservativen Sozialdemokraten. Was das wiederum für die innere Dynamik der Unionsparteien hieße, vor allem für die stets zur Unruhestifterin taugende CSU, steht auf einem anderen Blatt. Ganz gleich, ob das Land in den nächsten Wochen einen neuen Haushalt bekommt oder neue Wahlen: Ruhig werden die Zeiten nicht werden.

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