Zeitenwende: Das Land braucht weniger moralischen Absolutismus

Es ist noch nicht lange her, da blickte das Ausland mit Bewunderung auf Deutschland. Den Briten wurde erklärt, warum Deutschland es mit seiner Konsensgesellschaft besser macht, und den Amerikanern, wie sie von der deutschen Aufarbeitung der Geschichte für ihren Umgang mit der Sklaverei lernen können. Die Deutschen hatten vielleicht nicht den britischen Humor und versprühten nicht den französischen Charme, aber man wusste, was man an ihnen hatte.

Mit der „Zeitenwende“ hat sich das Blatt gewendet. Immer häufiger sorgt Deutschland im Ausland für Kopfschütteln, Verwirrung und Unsicherheit: Die Regierung zaudert in der Ukraine-Politik und ist zugleich eine besonders starke Unterstützerin des angegriffenen Landes; der selbst ernannten Friedensmacht kommt trotz ihrer entschiedenen Zivilität das Wort „kriegstüchtig“ immer öfter über die Lippen. Die letzten AKWs wurden abgeschaltet, aber es fließt weiter fleißig ausländisches Öl, und geliefert werden Gas und Kohle für Autos, mollig warme Wohnungen, Industrie und Kraftwerke; zum Nahostkonflikt gab es aufgrund der Solidarität mit Israel Demonstrationsverbote, und Künstlerinnen, die sich kritisch dazu äußerten, wurden ausgeladen, aber zugleich wirft Deutschlands Luftwaffe über Gaza Hilfsgüter ab. Der einstige Musterschüler scheint immer mehr zum unsicheren Kantonisten zu werden, und seine moralische Autorität scheint sich in Ambivalenzen zu verlieren.

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