
Die Zahl der Unternehmensgründungen in Deutschland steigt leicht an: Von 10.000 Personen im erwerbsfähigen Alter wagen im Vorjahr 115 den Schritt in die Selbstständigkeit. Indizien für eine neu entflammte Liebe zum Unternehmertum liefern die Daten bei näherer Betrachtung jedoch nicht.
Typische Deutsche wollen lieber in den Staatsdienst eintreten als ein Unternehmen gründen. So heißt es hierzulande oft. Zumindest leichte Zweifel an diesem von Unternehmerverbänden rituell beklagten Befund weckt eine Untersuchung der volkswirtschaftlichen Abteilung der Förderbank KfW, die WELT AM SONNTAG exklusiv vorliegt.
Demnach ist die Zahl der Existenzgründungen 2024 im Vergleich zum Vorjahr um drei Prozent auf 585.000 gestiegen. Von 10.000 Personen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren haben sich damit nach der Vorabauswertung des jährlich veröffentlichten KfW Gründungsmonitors 115 selbstständig gemacht – nach 110 im Jahr 2023.
Indizien für eine neu entflammte Liebe zur Selbstständigkeit liefern die Daten bei näherer Betrachtung jedoch nicht. „Trotz der leichten Zunahme im vergangenen Jahr muss man konstatieren, dass sich die Gründungstätigkeit in Deutschland seit 2018 im Seitwärtstrend befindet“, sagt KfW-Ökonom Georg Metzger. In den Jahren davor war sie deutlich höher: Vor zehn Jahren gründeten jährlich rund 800.000 Menschen in Deutschland ein Unternehmen, vor 20 Jahren waren es sogar rund 1,3 Millionen.
Als einen wesentlichen Punkt für die zuletzt erhöhte Aktivität hat KfW Research die schwierigere Lage auf dem Arbeitsmarkt ausgemacht. Immerhin 31 Prozent der Gründerinnen und Gründer gaben an, dass sie eigentlich lieber angestellt arbeiten würden und die Selbstständigkeit als Etappe auf dem Weg zu einer besseren Position oder einem höheren Gehalt sähen. Wer dauerhaft Unternehmer bleiben wollte, nannte die damit verbundene Unabhängigkeit als wichtigsten Vorteil.
Dabei ist die Gründung nach den Daten der KfW eher ausnahmsweise mit dem Sprung ins kalte Wasser verbunden. In fast zwei Dritteln der Fälle erfolgte sie im Nebenerwerb – also zusätzlich zu einem bereits ausgeübten Job oder während der Arbeitslosigkeit. Während diese Zahl 2024 um fünf Prozent stieg, ging die der Vollerwerbsgründungen auch 2024 leicht um ein Prozent zurück.
Die Studie, die auf der Befragung von 50.000 Personen basiert, förderte außerdem zutage, dass 82 Prozent der Gründer allein starteten und nur 25 Prozent gleich zu Beginn Beschäftigte einstellten. In 83 Prozent der Fälle gingen die Gründer mit einem neuen Unternehmen an den Start, nur 17 Prozent stiegen bei einem bereits vorhandenen ein. Damit sei der Anteil der „Existenzgründungen durch Übernahmen oder Beteiligungen“ 2024 zwar um vier Prozentpunkte gestiegen, sagt Ökonom Metzger. „Angesichts der enormen Nachfolgelücke ist das aber immer noch viel zu wenig.“
Gewerbliche Gründungen fast wieder auf Vor-Corona-Niveau
Ähnlich wie die KfW registriert auch das Bonner Institut für Mittelstandsforschung eine wachsende Zahl unternehmerischer Neuanfänge. Mit 258.000 gewerblichen Existenzgründungen sei das Niveau vor der Corona-Pandemie fast wieder erreicht, heißt es in einer aktuellen Untersuchung. Besonders positiv sieht das Institut die Zahl von 89.000 neuen Unternehmen mit Eintrag ins Handelsregister oder die Handwerksrolle. Diesen werde „eine größere wirtschaftliche Bedeutung im Vergleich zum Kleingewerbe zugesprochen“. Dass die Zahl der aufgegebenen Betriebe jene der Neuanmeldungen mit 270.000 deutlich übersteige, sei deshalb verschmerzbar. In den meisten Wirtschaftszweigen falle der Saldo zudem positiv aus.
Cornelius Welp ist Wirtschaftskorrespondent in Frankfurt. Von dort aus berichtet er über Banken, Versicherungen und Finanzinvestoren und Unternehmen.
Source: welt.de