Xinjiang: Ein vergiftetes Umfeld pro ausländische Unternehmen

Volkswagen verkauft ein Miniwerk in China, eines aus dem gemeinsamen Joint Venture mit dem chinesischen Staatskonzern SAIC. Das wäre als Meldung erst mal nicht sonderlich spektakulär – das Werk beschäftigt nur 170 Mitarbeiter –, läge es nicht in Ürümqi im nordwestlichen Xinjiang. Diese Region ist belastet, denn dort hat das chinesische Regime die lokale, vor allem muslimische Bevölkerung seit gut zehn Jahren großflächig unterdrückt und tut dies teilweise auch heute noch. Die überwiegend muslimischen Minderheiten in der Region stellen neben den Uigurinnen vor allem die Volksgruppe der Kasachen.

Die Führung von Volkswagen wird zufrieden damit sein, mit dem Werk zukünftig nichts mehr zu tun zu haben: Die Menschenrechtslage in der Region ist laut internationalen Beobachtern katastrophal. Es steht der Vorwurf der Zwangsarbeit im Raum. Zuletzt hatten deswegen auch Investoren den Druck auf Volkswagen erhöht.

Wie wahrscheinlich Zwangsarbeit in Xinjiang gerade im Fall der Automobilindustrie ist, hat 2023 eine Untersuchung der britischen Sheffield Hallam University dargestellt: „Wenn Sie in den letzten fünf Jahren ein Auto gekauft haben, wurden einige Teile davon wahrscheinlich von Uiguren und anderen Personen hergestellt, die in China zur Arbeit gezwungen wurden“, heißt es in der Studie. Chinas Regierung würde den Abbau und die Verarbeitung von Rohstoffen sowie die Herstellung von Autoteilen bewusst in die uigurische Region Xinjiang verlagern. Das würde internationale Lieferketten repressiven Programmen und systematischer Zwangsarbeit ausliefern, behaupten die Forscher. 

China stellt Uiguren unter Separatismus- und Terrorverdacht

Der Verdacht liegt nahe, dass Chinas Führung damit nicht nur den bislang armen Nordwesten entwickeln will, sondern diesen auch soweit global einbinden möchte, dass die Kritik an der Menschenrechtslage in Xinjiang abnimmt. Denn dazu gäbe es reichlich Anlass: Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen und Wissenschaftlerinnen war Ende der 2010er-Jahre in Xinjiang mindestens eine Million Uiguren und andere Muslime in Hunderten Haftlagern eingesperrt. Manche Schätzungen wie die des deutschen Chinaforschers Adrian Zenz gehen von bis zu 1,8 Millionen Menschen aus – das wären bis zu zehn Prozent der ethnischen Minderheiten Xinjiangs.

Chinas Führung hatte die Existenz dieser Lager anfänglich bestritten und als sie sie nicht mehr leugnen konnte, als Ausbildungs- und Arbeitsprogramme bezeichnet, die gegen islamistische Radikalisierung helfen würden. Ihr Zweck ist aber ein anderer: Chinas Zentralregierung verdächtigt die muslimischen Volksgruppen Xinjiangs des Separatismus und auch des Terrors. Und deswegen sollen die Menschen gezwungen werden, ihre kulturelle Identität aufzugeben: ihre Religion, ihre Kultur und ihre Sprache.

Weltweit bekannt gemacht hat das Lagersystem in Xinjiang der Anthropologe Adrian Zenz mittels Auswertungen von Satellitendaten und öffentlich zugänglichen chinesischen Datenbanken. Zenz forscht unter anderem im Auftrag einer US-amerikanischen NGO namens Victims of Communism. 

Er konnte mit den Datenauswertungen auch aufzeigen, wie tief der Staat in das Leben der muslimischen Uiguren und Kasachen eingreift, indem die örtlichen Behörden systematisch uigurische Kinder von ihren Eltern trennen und Hunderttausende Uigurinnen zur Sterilisation und Verhütung zwingen. Ende der 2010er-Jahre wurde deutlich, dass die Ortschaften Xinjiangs großflächig mit Kameras versehen wurden, dazu erfassen biometrische Datenbanken die Bürgerinnen und Bürger und jedes Auto muss per GPS zu orten sein. Xinjiang und seine Bewohner wurden zum Versuchslabor des digitalen Kontrollstaates in China. 2021 veröffentlichte der britische Sender BBC Berichte von Opfern systematischer Vergewaltigungen in den Lagern.

Die KP Chinas duldet keine parallelen Organisationen

Der eigentliche Auslöser für das gigantische Unterdrückungs- und Überwachungsprogramm lag wahrscheinlich im Jahr 2009, als es in der Stadt Ürümqi zu schweren Kämpfen zwischen Uiguren und Han-Chinesen kam, offiziell starben dabei 197 Menschen. Bei einem Anschlag militanter Uiguren 2014 in der südwestchinesischen Stadt Kunming wurden mehr als 150 Menschen niedergestochen und 31 getötet. Im selben Jahr sprengten sich zwei Uiguren vor einem Bahnhof in Ürümqi in die Luft und verletzten fast 80 Menschen, etwas später warfen Attentäter Granaten auf einen Gemüsemarkt der Stadt und töteten mindestens 39 Menschen.

Zwar ist der Sicherheitsapparat in der kommunistischen Volksrepublik seit jeher präsent und wäre wahrscheinlich mit dem Terrorproblem zurechtgekommen. Doch die seit 1949 in China herrschende Kommunistische Partei toleriert keine Organisationen außer der eigenen. Auch Religionsgemeinschaften gibt es nur unter staatlicher Kontrolle. So erklärt sich auch die Unterdrückung der muslimischen Minderheiten.

Anfang vergangenen Jahres wurde erkennbar, dass die Regierung zahlreiche Internierungslager wieder auflöste. Die Schockkampagne sei auf Dauer wahrscheinlich nicht durchzuhalten, vermutet der Sinologe Björn Alpermann von der Universität Würzburg. Hunderttausende Muslime wurden aber zu unverhältnismäßig langen Haftstrafen verurteilt. Betroffen sind vornehmlich intellektuelle und wirtschaftliche Eliten der Uiguren, weil Chinas Sicherheitsbehörden scheinbar hoffen, über sie die ethnische Minderheit zu kontrollieren. Und die Angst der Freigekommenen vor erneuten Lageraufenthalten dürfte lange anhalten.  

Wenn Volkswagen sich nun aus Xinjiang zurückzieht, folgt der Autohersteller dem Beispiel des deutschen Chemiekonzerns BASF. Das politische Umfeld in der Minderheitenregion ist deutschen Unternehmen offenbar zu toxisch geworden.

AdrianArbeitBahnhofBASFBehördenBevölkerungBjörnChinaElitenElternEndeKamerasKinderKritikKulturLangelebenLieferkettenLuftMillionMinderheitenMuslimePersonenRegierungReligionSeparatismusSpracheUigurenUnternehmenUSVolkswagenVWWeilWirtschaft