Wirtschaftspolitik: Wie weitläufig ist die Kluft zwischen Union und AfD wirklich?

Knapp zwei Wochen ist sie her, die viel beachtete Klausurtagung, in der das Präsidium der CDU über den Umgang mit der AfD beriet. Die Linie, die Kanzler Friedrich Merz danach ausgab, war denkbar deutlich: keine Zusammenarbeit, egal in welcher Form. „Es trennen uns nicht nur Details, es trennen uns von der AfD grundsätzliche Fragen und grundsätzliche politische Überzeugungen“, sagte er in Richtung jener Parteikollegen, die sich zuvor für eine Abkehr von der „Brandmauer“ ausgesprochen hatten.

In den fünf Landtagswahlkämpfen des kommenden Jahres wollen die Christdemokraten die AfD inhaltlich stellen. Betonen, dass deren Nähe zu Russland und China unpatriotisch sei. Verdeutlichen, wie sehr es Deutschland schaden würde, wenn eine Partei an die Macht käme, die aus der EU austreten will und die ein Klima der Fremdenfeindlichkeit schürt. Die unionsinterne Debatte ist seit Merz’ Machtwort zwar leiser geworden, beendet ist sie nicht. Ob Richterwahl, Wehrpflicht oder Bürgergeldreform: Viele Abgeordnete hadern mit dem Koalitionspartner SPD, mit jedem Streit ein bisschen mehr.

Stimmt es, wenn Merz sagt, es gebe keine Gemeinsamkeiten mit der AfD? Geht es um die großen Linien der Politik, scheinen die Positionen der beiden Parteien tatsächlich unvereinbar. Beispiel Europa: „Wir sind die deutsche Europapartei“, heißt es im CDU-Grundsatzprogramm. Die AfD lehnt dagegen sowohl die EU in ihrer heutigen Form als auch den Euro ab. Eine solche Politik der Abschottung, warnen Ökonomen und Wirtschaftsverbände unisono, würde Deutschland massiv schaden. Es gibt wenige Länder, die vom Binnenmarkt und generell von offenen Märkten so sehr profitiert haben wie Deutschland. Jeder vierte Arbeitsplatz hängt vom Export ab. Mehr als die Hälfte der deutschen Exporte geht in andere EU-Länder.

Gemeinsamkeiten in der Finanzpolitik

Auch in den Grundzügen der Klimapolitik gibt es einen Dissens. Die Union bekennt sich zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens, die AfD nicht. Auf der fachpolitischen Ebene finden sich aber durchaus ähnliche Positionen. Sowohl die Union als auch die AfD sind Verfechter von „Technologieoffenheit“, wenn es um die Zukunft der Autoindustrie oder der Energieerzeugung geht. Das auf EU-Ebene beschlossene Neuzulassungsverbot für Autos mit Verbrennungsmotor möchte die AfD aufheben. Das sieht mancher in der Union genauso. Und auch für eine Rückkehr zur Atomkraft finden sich in beiden Parteien Verfechter.

Union oder AfD – wer hat wohl diese Passage zur Finanzpolitik geschrieben? „Trotz gegenwärtig hoher Steuereinnahmen lassen die ständig steigenden konsumtiven Ausgaben zunehmend weniger Raum für notwendige Investitionen. In der Folge führt dies zu Forderungen nach Steuererhöhungen und zusätzlichen Schulden.“

Oder diese? „Wir dürfen die nachfolgenden Generationen nicht weiter mit Schulden und Zinsen belasten.“ Es sind Forderungen der AfD, die aber von denen der CDU kaum zu unterscheiden sind. In deren Grundsatzprogramm heißt es: Grundsätzlich sollten öffentliche Haushalte ohne neue Schulden aufgestellt werden. „Wir wollen, dass auch zukünftige Generationen die Ziele ihrer Politik selbst definieren und eigene finanzwirksame Entscheidungen treffen können.“ Schattenhaushalte wie schuldenfinanzierte „Sondervermögen“ lehne man grundsätzlich ab.

Union und AfD lehnen Vermögenssteuer ab

Wer das heute liest, kann sich die Augen reiben. Noch bevor die Union Koalitionsverhandlungen mit der SPD aufgenommen hatte, stimmte sie mit einem linken Bündnis im Bundestag für eine Lockerung der Schuldenbremse. Verteidigungsausgaben, die über ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinausgehen, dürfen nun mit Krediten finanziert werden. Für die Modernisierung der Infrastruktur können weitere 500 Milliarden Euro an Krediten aufgenommen werden. Der so geschaffene Spielraum wird – anders als versprochen – nicht nur für Investitionen genutzt. Analysen von der Bundesbank, dem Ifo-Institut und dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft deuten auf Verschiebungen etwa zugunsten von Sozialausgaben hin.

Die Erbschaftsteuer und die Grundsteuer will die AfD komplett abschaffen. Diese Steuern sorgen derzeit für ein Aufkommen von rund 15 beziehungsweise 16 Milliarden Euro im Jahr. Für die Grundsteuer will die AfD die Kommunen mit einem Zuschlag auf die Einkommensteuer und Körperschaftsteuer entschädigen. Wie die Länder den Wegfall der Erbschaftsteuer verkraften sollen, sagt die Partei nicht. Eine Reaktivierung der seit 1997 ausgesetzten Vermögensteuer lehnen sowohl Union als auch AfD ab, während die SPD damit immer wieder liebäugelt.

In der Einkommensteuer will die AfD ein Familiensplitting einführen, von dem Eltern profitieren – je mehr Kinder sie haben, um so stärker. Die Union hatte früher ebenfalls Sympathie für ein Familiensplitting, doch zuletzt versprach sie nur noch, am Ehegattensplitting festzuhalten und Kinder stärker zu berücksichtigen. Eine stärkere Förderung für Familien würde Steuerausfälle für den Fiskus nach sich ziehen. Eine Regierungspartei wird da schnell vorsichtig. Schon von der Union auf den Weg gebracht wurde die Senkung der Umsatzsteuer für Speisen in Gaststätten auf sieben Prozent – womit auch die AfD geworben hatte.

Unterschiede in der Rentenpolitik

In der Sozialpolitik zeigt sich die AfD extrem generös. Sie verspricht den heutigen und künftigen Rentnern deutlich höhere Bezüge. Das Verhältnis von Standardrente zum Durchschnittseinkommen (Rentenniveau) will sie auf 70 Prozent erhöhen – heute liegt es bei 50 Prozent. „In Österreich etwa bezieht ein Arbeitnehmer mit Durchschnittslohn nach 45 Arbeitsjahren eine Rente von 2600 Euro, ein vergleichbarer Rentner in Deutschland magere 1500 Euro“, konstatierte die AfD forsch in ihrem Programm zur Bundestagswahl.

Die Union ist da deutlich zurückhaltender gewesen. Sie versprach nur, mit ihr werde es keine Rentenkürzungen geben. Dafür warb sie mit einem Ausbau der Mütterrente, der nun ebenso kommen soll wie die von der SPD verlangte Haltelinie für das Rentenniveau, mit der der Nachhaltigkeitsfaktor in der Rentenformel ausgehebelt wird. Zur Erinnerung: Er war eingeführt worden, um die Beitragszahler zu schützen. Die Kosten für das schwarz-rote Rentenpaket werden auf insgesamt etwa 200 Milliarden Euro bis zum Ende des nächsten Jahrzehnts geschätzt.

Die Union hatte vor der Wahl zugesagt, sich mit den Sozialversicherungsbeiträgen wieder in Richtung 40 Prozent bewegen zu wollen. Das ist derzeit nicht in Sicht, auch wenn die Kosten für das Rentenpaket wohl aus dem Bundeshaushalt finanziert werden sollen. Doch die Krankenkassen und die sozialen Pflegeversicherungen stehen unter einem sehr großen Ausgabendruck. Es läuft eher in Richtung 45 Prozent, von heute etwa 42 Prozent.

Wer regiert, unterliegt Sachzwängen

Die AfD ist offenkundig gewillt, höhere Rentenversicherungsbeiträge zu akzeptieren, wie ihr Verweis auf das österreichische Modell nahelegt. Sie will darüber hinaus weniger Verbeamtungen, sodass „die große Mehrheit der Staatsbediensteten“ in die Rentenversicherung einzahlt. Politiker will sie ebenfalls einbinden. Doch damit werden sich die Finanzprobleme in der Rentenversicherung nicht lösen lassen, da mit den zusätzliche Einzahlungen neue Anwartschaften verbunden sein werden.

Die AfD will verbleibende Finanzlöcher in der Rente, aber auch bei den Krankenkassen mit Zuschüssen schließen. Man müsse die Zweckentfremdung der Sozialversicherungen beenden. „Versicherungsfremde Leistungen sind daher nicht aus den Beiträgen zu den Sozialversicherungen, sondern aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren.“ Die Union war da – mit dem Kanzleramt im Blick – im Wahlkampf vorsichtiger. In der Regierung angekommen, bestätigt sich, dass da nicht viel mehr geht. Ihre Gesundheitsministerin Nina Warken bekommt in ihrem Kampf gegen steigende Beiträge von Finanzminister Lars Klingbeil nur Darlehen. Genauso ergeht es dessen Parteifreundin Bärbel Bas, die Arbeitsministerin will in der Arbeitslosenversicherung einen höheren Beitrag verhindern.

In der Sozialpolitik gibt es keine große programmatische Kluft zwischen Union und AfD. Hier bestätigt sich nur, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt. Wer regiert, unterliegt Sachzwängen. Wer in einer Koalition arbeitet, ist noch mehr zu Kompromissen gezwungen. Die AfD als radikale Oppositionspartei kann dagegen einfache und populäre Positionen einnehmen. Das gilt letztlich auch für die Finanzpolitik – mit Ausnahme von Euro und Europäischer Union. Doch das ist ein zentraler Unterschied: Solange die AfD ihre Position in der Europapolitik und zu Putins Russland nicht ändert, hat die Union auf Bundesebene keine Alternative, wenn sie eine Mehrheit rechts von SPD und Grünen sucht.

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