Es sind Milliardenbeträge, die Frankreichs politische Führung, aber inzwischen auch Europa umtreiben: Mit 3,2 Billionen Euro trägt das Nachbarland die höchste absolute Schuldenlast in der Europäischen Union. Prozentual betrachtet ist das mit 112 Prozent der Wirtschaftsleistung zwar weit entfernt von einer Staatsverschuldung wie in Griechenland (163 Prozent). Aber die Regeln der Eurozone sehen eigentlich eine Obergrenze von 60 Prozent vor.
Kaum überraschend, dass die Käufer von französischen Staatsanleihen beunruhigt sind. In den vergangenen Tagen stiegen die Zinsaufschläge, zu denen sich das Land an den Finanzmärkten Geld besorgen kann, zeitweilig über die Rate Griechenlands. Diese Risikoprämien – im Fachjargon spreads genannt – werden im Vergleich zu deutschen Bundesanleihen gemessen und lagen mit 88 Basispunkten auf dem höchsten Niveau seit der Schuldenkrise in der Eurozone 2012.
Allein für Zinsen bezahlt Frankreich in einem Jahr inzwischen rund 40 Milliarden Euro. Das entspricht in etwa dem Volumen seines Verteidigungsetats. 2027 könnte die Summe doppelt so hoch sein, warnt bereits Frankreichs Notenbankchef François Villeroy de Galhau. Seit Emmanuel Macron 2017 Präsident Frankreichs wurde, sei die Verschuldung um rund 900 Milliarden Euro angewachsen. Das ist umso erstaunlicher, als er als Wirtschaftsminister unter seinem Vorgängerpräsidenten François Hollande und zu Beginn seiner Amtszeit als Staatschef stets betont hatte, wie wichtig das Vertrauen der Finanzmärkte sei, wenn Frankreich auch politisch ernst genommen werden wolle.
Jetzt aber drücken die Schulden Frankreich nieder und haben zu einem Haushaltsstreit geführt, über den an diesem Mittwoch sogar die Regierung Barnier stürzen könnte – und das ausgerechnet sieben Wochen vor dem Amtsantritt von Donald Trump in den USA und den damit verbundenen Unsicherheiten und Herausforderungen für den „alten Kontinent“. Immer unwahrscheinlicher wird es angesichts der Schuldenlast, dass die Europäische Zentralbank die Zinsen senken könnte – und so die Konjunktur ankurbeln könnte. Auch der Euro ist als Folge der Turbulenzen in Paris bereits unter Druck.
Frankreichs unorthodoxe Haltung zu Schulden
Es stimmt, dass Frankreich aus guten Gründen insbesondere für Investitionen in Infrastruktur stets eine weniger orthodoxe Einstellung zum Schuldenmachen hatte als Deutschland mit seiner Schuldenbremse. Doch spätestens mit der Coronakrise hat Macron die Kontrolle völlig aufgegeben. Die Ausgabenquote, also der Anteil des Bruttoinlandsprodukts, der in die öffentlichen Kassen fließt, liegt inzwischen bei 60 Prozent. Dabei hatte Macron diesen Anteil bei seinem Amtsantritt von damals 57 Prozent um einige Prozentpunkte drosseln wollen.
Sorge bereitet Frankreichs Notenbankern vor allem jeder weitere Anstieg der spreads, denn damit wachsen die Zahlungsverpflichtungen. Allein nächstes Jahr muss Frankreich rund 350 Milliarden Euro an Schulden refinanzieren. Weil daraus eine gefährliche Kettenreaktion aus noch höheren Schulden und noch höheren Spreads entstehen kann, ist ein einmal angeknackstes Vertrauen in die Stabilität eines Landes keine Kleinigkeit.
Premierminister Michel Barnier wollte für etwas Ruhe an den Finanzmärkten sorgen: Mit vorübergehenden Abgabenerhöhungen für Unternehmen, höheren Stromsteuern für Haushalte und Einsparungen im Sozialen wollte er eine Lücke im Haushalt 2025 von rund 60 Milliarden Euro stopfen. Doch schnell war klar, was sich den Sommer über bereits in der zähen Suche nach einem neuen Ministerpräsidenten abgezeichnet hatte: In den Mehrheitsverhältnissen, die aus den vorgezogenen Wahlen im Juli hervorgingen, würde es selbst ein erfahrener und besonnener Politiker wie der 73-jährige mehrfache Ex-Minister, ehemalige EU-Binnenmarktkommissar und Brexit-Unterhändler Barnier sehr schwer haben.
Seit Staatschef Macron nach der Europawahl im Juni unvermittelt das Abgeordnetenhaus Assemblée nationale aufgelöst hatte, versinkt das Land in nie gekannter politischer Unordnung. So zerrüttet sind die Lager, dass sich die mühsam zusammengefundene Regierung nun einem Misstrauensvotum stellen muss. Die unter dem Namen Neue Volksfront mehr aus Pflicht denn aus Zuneigung vereinte Linke fühlt sich um einen vermeintlichen Wahlsieg betrogen, weil sie zwar stärkste Kraft wurde, Macron sie aber an der Übernahme von Regierungsverantwortung hinderte. Der extrem Rechten von Marine Le Pen geht es ähnlich, weil sie die meisten Stimmen holte, aber aufgrund des Mehrheitswahlrechts ebenfalls von der Macht ferngehalten wurde. Ausgerechnet diese beiden Kräfte könnten nun zusammen die Mitte-rechts-Regierung aus Macronisten und bürgerlichen Republikanern aushebeln.