Wirecard-Kläger befürchten langwierigen Rechtsstreit mit EY

Der Zusammenbruch des einstigen Dax-Unternehmens Wirecard ist nun schon fast viereinhalb Jahre her. Doch noch immer warten Anleger auf eine Entscheidung über Schadenersatz für ihre Verluste. Nach der Milliardeninsolvenz im Juni 2020 hatten über tausend Betroffene die Wirtschaftsprüfung EY verklagt, die für die jährliche Kontrolle der Wirecard-Bilanzen zuständig gewesen war. Am 22. November soll nun endlich die mündliche Verhandlung im Kapitalanleger-Musterverfahren vor dem ersten Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts stattfinden.

Sicherheitschecks wie am Flughafen

Geht bald alles ganz schnell oder droht eine Verlängerung der Hängepartie? Das Gericht hat extra die große Wappenhalle am Messegelände in München gemietet, weil zu dem Prozess so viele Betroffene und ihre Anwälte erwartet werden. Auch das Interesse der Öffentlichkeit ist groß. Das Wirecard-Anlegerverfahren soll daher unter hohen Sicherheitsvorkehrungen stattfinden.

Bevor Prozessbeteiligte und Zuschauer in den Saal dürfen, werden Justizbedienstete im Foyer die Ausweise kontrollieren und das Gepäck sowie Taschen durchleuchten. Auch kommt eine Torsonde wie zum Beispiel am Flughafen zum Einsatz – mit manueller Nachkontrolle. Die Zugangskontrolle öffnet daher schon zwei Stunden vor Prozessbeginn.

Nicht nur organisatorisch, sondern auch juristisch ist der Wirecard-Fall komplex und dauert lang – vielleicht zu lang. Vor allem ältere Anleger machen sich Sorgen, dass sie den Ausgang des Verfahrens nicht mehr erleben werden. Als mahnendes Beispiel dient der Prozess der Aktionäre der Deutschen Telekom, die durch den Börsengang des Unternehmens in den Wirren des Aktienbooms am Neuen Markt Anfang des Jahrtausends viel Geld verloren hatten. Erst 22 Jahre später kam es zu einem Vergleich. Der von der Justiz zum Musterkläger bestimmte Telekomaktionär war da schon verstorben.

Wirecard-Anleger hoffen auf Schadenersatz von EY

Der Musterprozess in Sachen Wirecard ist allerdings anders gelagert. Denn hier klagen Anleger gegen den Bilanzprüfer. In der Verhandlung am 22. November wird es daher zunächst auch um die Grundsatzfrage gehen, ob ein Bilanztestat überhaupt Gegenstand eines Kapitalanleger-Musterverfahrens sein kann. Nur wenn dies bejaht würde, hätten Anleger Aussichten, auf dem Weg der Musterklage Schadenersatz von den Wirtschaftsprüfern zu erstreiten.

Das Instrument der Musterklage dient eigentlich dazu, Prozesse mit einer großen Zahl an Betroffenen effizienter und schneller zu führen, indem Grundsatzfragen zentral geklärt werden, statt sie für jeden Kläger separat zu verhandeln. Trotzdem zeichnet sich in der Wirecard-Musterklage eher eine Hängepartie ab als ein kurzer Prozess.

Viele Anleger hatten sich zunächst auf dem Weg der Einzelklage durch die Instanzen begeben. Allein beim Landgericht München I gingen 1178 Verfahren gegen EY ein. Im März 2022 leitete das Landgericht dann ein Kapitalanleger-Musterverfahren gegen EY ein, was für die Einzelkläger eine Ernüchterung bedeutete, denn sie landeten in der Warteschleife.

Umstrittene EY-Umstrukturierung

Anwälte fürchten, dass die Wirtschaftsprüfung EY die Zeit nutzen könnte, um Vermögen in Sicherheit zu bringen. Vergrößert wird diese Sorge nun durch eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Die Behörde hat mit Bescheid vom 17. Oktober eine Strafanzeige des Anlegeranwalts Wolfgang Schirp gegen EY-Verantwortliche abgelehnt.

Schirp hatte die Anzeige damit begründet, dass EY durch eine Anfang des Jahres erfolgte Umstrukturierung den Wirecard-Anlegern potentielle Haftungsmasse entziehe. Aufhorchen lässt dabei, wie die Behörde ihre Entscheidung begründet, die Umstrukturierung strafrechtlich nicht zu verfolgen. So heißt es im Bescheid: „Es ist mit einem langjährigen streitigen Verfahren im Kapitalanleger-Musterverfahren vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht zu rechnen, in welchem eine Entscheidung erst in vielen Jahren, möglicherweise sogar erst in fünf Jahren ergehen wird.“ Weil keine unmittelbare Zwangsvollstreckung zu erwarten sei, sieht die Staatsanwaltschaft auch kein strafbares Beiseiteschaffen von Vermögen angesichts einer unmittelbar drohenden Zwangsvollstreckung.

Die Kläger dürfte dies nicht überzeugen, denn ihre Furcht rührt ja gerade daher, dass das Verfahren so lange dauern könnte. „Es ist traurig, mit welcher Selbstverständlichkeit und Gemütsruhe die Justiz es offenbar hinnimmt, dass ein so wichtiges Verfahren sich so lange hinzieht“, sagt Rechtsanwalt Schirp. Die Beklagten bekämen alle Zeit der Welt, um Vermögenswerte beiseitezuschaffen.

Hintergrund dieser Sorge ist eine Regel im Umwandlungssteuerrecht, laut der eine durch Abspaltung entstandene neue Gesellschaft nur fünf Jahre nach der Transaktion für alte Schulden haften muss. EY hatte Anfang des Jahres die Geschäftsbereiche Steuerberatung, Unternehmensberatung und Strategieberatung in separate und rechtlich selbständige Gesellschaften überführt und dadurch von der Wirtschaftsprüfung abgespalten. In fünf Jahren müssten daher die anderen Geschäftsbereiche nicht mehr für die Altlasten der Wirtschaftsprüfung aus dem Wirecard-Skandal haften. Unter Anlegern ist die Unruhe gewachsen, obwohl EY betont, dass es bei der Umstrukturierung nicht um eine Reduzierung der Haftung gehe, und andere Gründe genannt hat – zum Beispiel regulatorische Anforderungen.

Neben dem Musterverfahren und den Einzelklagen verfolgen Wirecard-Aktionäre auch noch auf einem dritten Weg ihr Ziel, Schadenersatz von den Wirtschaftsprüfern zu erhalten. So hat die Anlegerschutzvereinigung DSW zusammen mit einer niederländischen Rechtsanwaltsgesellschaft eine Stiftung nach holländischem Recht gegründet. Diese soll nicht nur den deutschen Arm von EY erfassen, sondern das gesamte internationale Prüfernetzwerk EY Global und andere in die Wirecard-Prüfung involvierte Einheiten von EY.

AktionäreAnwälteAusweiseDeutschen TelekomGeldGesellschaftHintergrundJustizLangLangeMünchenProzesseRechtSchadenersatzSchuldenStaatsanwaltschaftStuttgartUnternehmensberatungVermögenWeilWELTWirecardWolfgangZeit