Wird es 2045 noch Theater schenken?

Stuttgart will sechs Prozent im Kulturetat streichen, München sogar sieben. Auch in Berlin drohen weitere Kürzungen. Und ein Stück an den Münchner Kammerspielen zeichnet ein düsteres Bild: Wird es in der Zukunft noch Theater geben?


Mit all den Gelderkürzungen im Kunst- und Kulturbereich befinden sich alle Mitarbeitenden der Theater auf der Titanic

Foto: Julian Baumann


Am Wochenende fand am Staatstheater Stuttgart die Premiere von Hamlet in der Regie des Intendanten Burkhard C. Kosminski statt. Die Inszenierung soll laut Kritiken so lala gewesen sein, aber dafür sorgte eine ganz andere Aktion nach dem Schlussapplaus für Furore: da öffnete sich plötzlich die Hinterbühne und eine Großdemonstration aus 400 Mitarbeiter:innen der Stuttgarter Theater und anderer Kultureinrichtungen trat auf mit einem großen Banner: „An Kultur, Bildung und Sozialem zu sparen kostet viel zu viel!“

Damit protestierte das Bündnis Stuttgarter Kultur gegen die drastischen Sparpläne der Stadt, über die der Gemeinderat derzeit berät. Rund sechs Prozent sollen im gesamten Kulturetat eingespart werden, bei einigen Institutionen bis zu 30 Prozent. Das Bündnis rief auch dazu auf, eine Petition auf der Plattform We Act zu unterzeichnen, mittlerweile gibt es fast 30.000 Unterschriften.

Protest gibt es auch in München vom Bündnis #MünchenistKultur. Dort soll der Kulturetat nächstes Jahr mit 18 Millionen Euro weniger auskommen, was etwa sieben Prozent entspricht. Vorige Woche sah ich dort die Premiere von Play Auerbach, dem neuen Sensationserfolg an den Münchner Kammerspielen. Das Stück ist eine Erinnerungsrevue über den vergessenen jüdischen Bürger Philipp Auerbach, aber es geht auch noch von einer anderen bedenkenswerten Prämisse aus: Im Jahr 2045, in dem die Handlung spielt, gibt es nicht nur keine Jüdinnen und Juden mehr in Deutschland, sondern auch keine funktionierenden Theater. Deshalb tritt hier bittersüß eine drollige Laienspielgruppe auf, die sich betontermaßen freut, auf den Brettern der Kammerspiele, die seit 15 Jahren niemand mehr betreten habe, zu proben.

Theater im Sparzwang: Wie auf der Titanic

Diesen Blick in die Zukunft halte ich für realistisch. Seit der Corona-Krise schreibe ich an dieser Stelle regelmäßig über die Sparzwänge und den Abbau von Kunst und Kultur, zuletzt in Schwerin. Die Krise lässt kein Bundesland, keine Stadt und keine Kommune in Ruhe. Wirklich überall soll gespart werden, immer wird die Schraube noch etwas enger gedreht, immer gibt es ein Zerren und Bangen, manchmal wird es doch nicht ganz so schlimm wie erwartet, manchmal doch. So wurde jetzt klar, dass das inklusive Berliner Rambazamba-Theater doch noch „gerettet“ wird. Doch dem Verbund der Freien Produktionshäuser, die der freien Szene und damit der künstlerischen Diversität ein Zuhause bieten, wurde nun (nach starken Kürzungen im letzten Jahr) jede Finanzierung verweigert.

Im Moment befinden sich alle Künstler:innen und Mitarbeitenden der Theater auf der Titanic. Im Versuch, am Eisberg des Sparzwangs vorbeizukommen, wird sie von diesem aufgerissen und versinkt in den Tiefen. Und dann gibt es wie immer nicht für alle einen Platz im Rettungsboot. Doch spielt die Bühnenkapelle einfach nur bis zum Schluss?

Schaue ich mich in Häusern um, nehme ich außer berechtigten Protesten und Petitionen kaum Ideen dafür wahr, wie die Theater in den nächsten Jahren mit den immer härteren Sparprogrammen umzugehen gedenken. Gibt es einen Plan, sich strukturell neu aufzustellen? Was wird aus den vielen hundertmillionenschweren neuen Theaterbauten, wie sie in Karlsruhe, Frankfurt am Main, Stuttgart, Rostock und München geplant und erbaut werden – wenn es in absehbarer Zeit keine Etats mehr geben wird, diese Häuser zu bespielen? Sind die Theater auf eine vollkommen neue Form von rechtsgerichteter Kulturkampfpolitik vorbereitet, wie sie immer spürbarer wird?

Ich bange um das Theater, das ich liebe und nicht verlieren möchte. Und ich hoffe, dass die Münchner Zukunftsvision nie eintrifft, in der es hieß: „Sie haben uns aufgegeben. Die Politiker. Und wir waren zu verwöhnt, uns ohne Zuschüsse vorm Publikum zu behaupten.“

BaumannBerlinBildBildungBurkhardcoronaDeutschlandEuroFinanzierungFrankfurtHäuserJudenJulianKarlsruheKulturKunstLiebeMünchenPhilippPolitikerProtestRostockSchwerinSparenStuttgartTheaterWillZeitZukunft
Comments (0)
Add Comment