Mancher schreibt die Weltklimakonferenz COP29 hier in Baku schon ab, weil nach einer Woche nichts erreicht worden sei. Wie sehen Sie die Veranstaltung nach der Hälfte der Zeit?
Einerseits beobachten wir auf dieser COP viel stärker als früher eine ungeheure Dynamik in Richtung erneuerbarer Energien, Elektrifizierung, neuer Geschäftsmodelle. Dieses oder nächstes Jahr werden wir wahrscheinlich den Höhepunkt der fossilen Emissionen erreichen. Auf der anderen Seite versuchen die vom Export fossiler Energien abhängigen Staaten und Unternehmen diese Revolution aufzuhalten. Vergessen wir nicht, dass Donald Trump als US-Präsident vermutlich aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen wird und dass er einen Boss der Energiewirtschaft zu seinem Energieminister machen will.
Wie lief die erste Verhandlungswoche?
Man ist in den meisten Texten kaum oder gar nicht vorangekommen. Deshalb ist auch unklar, ob das große Finanzpaket, um das es hier an zentraler Stelle geht, wirklich zustande kommt. Die Industriestaaten wollen die Zusagen für die künftige Klimafinanzierung an größere Anstrengungen zu Treibhausgasminderungen in den Schwellen- und Entwicklungsländern knüpfen. Saudi-Arabien und andere Länder, darunter China, möchten das verhindern. Sie wollen auch nicht, dass die Vereinbarungen der zurückliegenden COP in Dubai wiederholt oder verschärft werden, die fossilen Energieträger herunterzufahren. Zu den Bremsern gehören auch Simbabwe, Ägypten und Südafrika.
Südafrika gilt doch als deutscher Klimapartner und Musterknabe in Afrika.
Das ist in der Tat verwirrend. Das Land hat jetzt eine Koalitionsregierung mit zwei unterschiedlichen Richtungen. Das wäre so, als würden hier für Deutschland Christian Lindner von der FDP und Annalena Baerbock von den Grünen verhandeln. Einer der südafrikanischen Minister blockiert, der andere organisiert den Fortschritt für den Klimaschutz. Eigentlich will sich das Land aus der Kohle verabschieden, aber es gibt innerhalb der Regierung unterschiedliche Interessenlagen.
Die Industrieländer knüpfen neue Zusagen zur Klimafinanzierung auch daran, dass mehr Staaten einzahlen, vor allem die reichgewordenen Öl- und Gasprofiteure am Golf sowie China. Ist das gerechtfertigt?
Die reichen Ölländer haben je Kopf inzwischen ein höheres Einkommen sowie höhere aktuelle und auch historische Emissionen als wir in Deutschland. Da ist es absolut plausibel aus Gerechtigkeitsgesichtspunkten, dass sie mit einzahlen. Sie gehören ja nur wegen einer alten Einteilung nicht zu den Industrieländern. Manche Entwicklungsländer haben aber kein Interesse, ihren Block aufzubrechen, weil sie fürchten, daraus als Gruppe geschwächt hervorzugehen. Aber die Haltung ist nicht einheitlich: Vielen verletzlichen und ärmeren Ländern ist es ein Dorn im Auge, dass die neuen reichen Länder nicht zu den Gebern gehören.
China ist der weltgrößte Emittent. Übernimmt es Klimaverantwortung?
Die Chinesen haben schon relativ viel an Klimafinanzierung geleistet. Sie haben hier in Baku erstmals Zahlen dazu veröffentlicht, und ich glaube, dass sie auch bereit sind, das aufzustocken und künftig nach ähnlichen Kriterien darüber zu berichten wie die Industrieländer.
Um welche Summen geht es?
Wenn wir die reichgewordenen ehemaligen Entwicklungsländer wie China, die Golfstaaten oder Singapur zusammennehmen, könnte deren Beitrag zur Klimafinanzierung für ärmere Staaten bis 2035 auf 50 Milliarden Dollar jährlich anwachsen. Das wäre die Hälfte der jetzigen Klimafinanzierung der alten Industriestaaten, die bis dahin auch deutlich steigen dürfte. Vergessen darf man nicht, dass die Chinesen schon jetzt über multilaterale Entwicklungsbanken verbindlich einen Teil der Klimafinanzierung mittragen. Ich fühle gegenüber Chinas Engagement eine gewisse Ambivalenz.
Inwiefern?
Wir müssen uns fragen, ob wir es wirklich wollen, dass China über die steigende Klimafinanzierung noch mehr Einfluss in den Entwicklungsländern gewinnt.
Deutschland wendet etwa zehn der 100 Milliarden Dollar auf, davon sechs Milliarden aus Haushaltsmitteln. Nehmen auch wir über die Zahlungen Einfluss?
Ja, schon, wenn Sie sich zum Beispiel anschauen, wie die kleinen Inselstaaten Deutschland im Weltsicherheitsrat unterstützen. Möglicherweise auch für einen Sitz dort. Das ist keine Einflussnahme eins zu eins, hängt aber natürlich miteinander zusammen. Als Europa sollten wir sicherstellen, dass wir über solche Kooperationen noch ein nennenswerter Akteur neben den USA und China bleiben. Militärisch und ökonomischen können wir den Wettlauf nicht gewinnen, aber über die Zusammenarbeit weltweit und die Stärkung des Multilateralismus können wir eine eigenständige Rolle spielen. Das wäre geopolitisch wichtig.
Die Klimafinanzierung könnte nicht nur in die Treibhausgasminderung fließen, sondern auch in die Klimaanpassung und in die Behebung klimabedingter Schäden und Verluste. Was ist davon zu halten?
Der mittelfristige Weg sollte nicht sein, dass die Länder das bezahlen, sondern der fossile Sektor. Es kann nicht sein, dass man die Gewinne der Fossilwirtschaft privatisiert, deren Schäden aber sozialisiert, sodass der Steuerzahler dafür aufkommt. Wer den Schaden angerichtet hat, muss ihn auch mitfinanzieren. Ich sehe mit großem Interesse, dass die Weltbank beginnt, entsprechende Vorschläge vorzubereiten. Der Öl- und Gassektor hat in den vergangenen 50 Jahren jeden Tag 3,7 Milliarden Euro verdient. Nähme man davon nur einige Prozente als Steuer oder sonstige Abgabe, ließe sich daraus ein wesentlicher Teil der Finanzierungslücke stopfen. Ich bin gespannt, welche Vorschläge die Weltbank dazu machen wird.
Es ist schwierig, privates Kapital für Anpassungs- und Schadensfinanzierung zu mobilisieren. Für den Ausbau erneuerbarer Energien aber stehen Investoren Schlage, denn das ist hochlukrativ. Warum klappt das in Entwicklungsländern nicht?
Da gilt das sogenannte afrikanische Paradox: Mehr als die Hälfte der besten Plätze für Photovoltaik liegen in Afrika, und trotzdem fließen nur zwei Prozent der Solarinvestitionen dorthin. In ganz Afrika wurde weniger Photovoltaik aufgebaut als in Bayern. Warum? Weil der Zinssatz für die Finanzierung drei- bis viermal so hoch ist wie bei uns. Das hängt mit den Risiken in den Ländern zusammen, vor denen Investoren zurückschrecken.
Wäre es nicht Aufgabe der dortigen Regierungen, diese Risiken abzubauen?
Ja, als Kombination der Regierungen vor Ort und der internationalen Gemeinschaft, die diese Zinsen auf unser Niveau herunterbringen müssen. Dafür gibt es Gott sei Dank eine Reihe von deutschen Energiepartnerschaften mit afrikanischen Staaten. Diese müssen den notwendigen Rahmen zu Hause setzen, und Deutschland gibt im Gegenzug Unterstützung, damit der Privatsektor den Großteil der Investoren leisten kann.
Was erwarten Sie vom Rest der COP?
Es steht diese Woche viel auf dem Spiel. In Rio tagt der G-20-Gipfel, vielleicht kündigen Trump und der argentinische Präsident Javier Milei den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen an. Hier in Baku brauchen wir am Ende ein vernünftiges Paket, wo Finanzen und Klimaschutz zusammen vorangebracht werden. Das eine klappt nicht ohne das andere.
Wie wahrscheinlich ist, dass Argentinien und die USA ernst machen mit dem Austritt aus „Paris“?
Bei Trump erwarte ich das. Bei Milei bin ich mir nicht sicher, was Show und was echt ist. Er braucht für das Ende des Klimaabkommens Mehrheiten in beiden Parlamentskammern, die er nicht hat. Außerdem will er das Freihandelsabkommen der EU mit dem Gemeinsamen Südamerikanischen Markt MERCOSUR. Der bekennt sich im Entwurf gleich am Anfang zum Pariser Abkommen. Um die möglichen Austritte der USA und Argentiniens abzumildern, spielen die Brasilianer eine entscheidende Rolle. Sie haben jetzt die G-20-Präsidentschaft inne und übernehmen nächstes Jahr den Vorsitz in der BRICS-Gruppe und auch hier auf der Weltklimakonferenz. Wenn man mit Brasilien und anderen Akteuren das Klimathema dynamisiert, dann kann man Bremser wie die USA zum Teil ins Leere laufen lassen.
Wird China das amerikanische Vakuum füllen?
Ich hoffe, dass China das Vakuum insoweit füllt, als es eine aktivere Klimapolitik verfolgt. Ich hoffe aber auch, dass Europa das Vakuum mit globalen Partnerschaften füllt. Sonst würde man ja geopolitisch von China abhängig. Wir sollten mit China in der Klimapolitik kooperieren, wir stehen aber auch im Wettbewerb um ein Ordnungsmodell, um die Einhaltung der Menschenrechte und vieles mehr. Dazu müssen wir eine Balance finden.