Böhmische Trachten und Dörfer, mitunter auch ein Heuschober – das waren jahrzehntelang die Ingredienzien, um Bedřich Smetanas „Die verkaufte Braut“, Tschechiens Nationaloper schlechthin, als komödiantische Idylle auf die Bühne zu bringen. Noch die letzte Produktion der Wiener Staatsoper, 1982 von Otto Schenk inszeniert, vertraute diesem Rezept. Doch spätestens seit Peter Konwitschnys Deutung in Dresden und Graz hat „Die verkaufte Braut“ ihre folkloristische Unschuld verloren. Er schärfte den Blick für die unterschwelligen brutalen Strukturen dieser patriarchalen Dorfgemeinschaft, denen sich Jeník, von seiner Stiefmutter vertrieben und nun unerkannt in seine Heimat zurückgekehrt, zwangsläufig anpassen muss, will er sich in diesem Umfeld behaupten und seine große Liebe Mařenka vor den Altar führen.
Zu dergleichen unfähig, imaginiert sich sein sensibler, stotternder Halbbruder Vašek, dem der Heiratsvermittler Kecal die schöne Mařenka eigentlich zuführen möchte, in eine Welt des Zirkus, wo er in den Armen der Artistin Esmeralda sein Glück findet. Nach Konwitschny machte man zumeist Ernst mit dieser Gemengelage, verlor dadurch mitunter aber das Komödiantische aus den Augen. Dem wollte Regisseur Dirk Schmeding, 2019 für Magnards „Guercœur“ in Osnabrück gefeiert, mit einer deutsch gesungenen Produktion in neuer Übersetzung nun an der Wiener Staatsoper entgegenwirken, was ihm nur bedingt gelang.
Aufgrund der Entscheidung, die böhmische Dorfgemeinschaft durch eine Schar von Schaustellern zu ersetzen, beraubte er sich der Möglichkeit, den Zirkus des dritten Akts als kontrastierende Gegenwelt zu nutzen. Zu sehr ähneln sich Zirkus und Kirmes, was auch dazu führt, dass die Bühnenbilder von Robert Schweer, dessen Jahrmarkt mit seinen Stahltürmen und mobilen Plastiktoiletten ohnehin ein recht freudloser Ort ist, auf Dauer etwas eintönig wirken. Dagegen helfen auch manch grelle Effekte nichts, etwa eine Riesenbratwurst und eine ebenso große Krentube. Und dennoch: So manche Idee Dirk Schmedings weist ihn als phantasievollen Theatermacher aus, der die Bühne als magischen Ort zu nutzen weiß.
So lässt er Teile des ersten Akts im Innern eines Greifautomaten spielen, aus dem man nach Einwurf einer Münze mit etwas Glück ein Plüschtier herausholen kann. Dieser Automat ist mit unzähligen pastellfarbenen Bären gefüllt, die zur Polka auch mal das Tanzbein schwingen. Höhepunkt dieser surrealen Bilderwelt aber ist jener Moment, wenn Mařenka im weißen Brautkleid vom Greifer erfasst und nach oben gezogen wird – Sinnbild für die Situation von Frauen, die nicht selbst über ihr Leben entscheiden dürfen.
Emotionale Schrammen bleiben
Auch die Idee, Jeníks Auseinandersetzung mit der sich verraten fühlenden Mařenka in die Manege des Zirkus vor Augen eines gaffenden Publikums zu verlegen, zählt zu den stärkeren Eingebungen dieser Regie: Dadurch wird erst deutlich, auf welch gefährliches Spiel sich Jeník eingelassen hat, als er seine Braut für 300 Gulden an Kecal verkaufte, mit der Bedingung, dass sie nur der Sohn des Tobias Micha bekommen soll. Wie soll Mařenka aber auch wissen, dass dies auf ihn ebenso zutrifft wie auf Vašek, hatte er sie doch nur halbherzig über seine Vergangenheit aufgeklärt, ihr vor allem verschwiegen, dass er der verlorene Sohn des reichen Micha ist. Am Schluss liegt die Entscheidung, welchen der beiden Söhne Michas sie nehmen will, bei ihr, und natürlich fällt ihre Wahl auf Jeník. Doch emotionale Schrammen bleiben wohl zurück, daran lässt die Regie keinen Zweifel.
Leider gelang es Dirk Schmeding nicht, seine Ideen stärker zu bündeln, wohl auch deshalb, weil die Personenführung durchwachsen ausfiel: Manche Figuren hat er vielschichtig ge-, andere aber überzeichnet, und mit einigen wusste er gar nichts anzufangen. So erntet das Moped, mit dem Kecal wackelig auf die Bühne fährt, mehr Aufmerksamkeit als dessen Fahrer selbst. Entgegen der Tradition ist dieser Heiratsvermittler auffallend jung, doch nicht darin liegt das Problem, sondern dass Peter Kellners Bass weder über die erforderliche Tiefe noch über genügend Durchschlagskraft für diese Partie verfügt.
Auch Pavol Breslik vermag mit seiner unrund geführten Mittellage und seiner forcierten Höhe kaum vokale Glanzlichter zu setzen, gab aber zumindest darstellerisch einen interessanten Jeník ab. Wenn er sich mit Mařenka den Freuden der Liebe hingibt – keine Sorge, es bleibt jugendfrei, nur ein BH, der aus einem Kirmesstand herausgeschleudert wird, deutet an, dass es darin zur Sache geht –, macht er seine Leidenschaft und sein Begehren glaubhaft, später aber auch seinen Hang zur Überheblichkeit, wenn er auf Mařenkas Verletzung nicht wirklich eingeht.
Der bessere Tenor des Abends ist jedenfalls Michael Laurenz als Vašek, auch wenn die Regie, entgegen ihrer Intention, ihn letzten Endes doch der Lächerlichkeit preisgibt und ihn dann auch noch mit blutrotem Hemd und Säge bewaffnet als potentiellen Gewalttäter darstellt. Dass die Wiener Staatsoper mit den im Vorjahr neu engagierten Ensemblemitgliedern Ilia Staple und Matthäus Schmidlechner einen guten Griff getan hat, konnten diese auch als quirlige Esmeralda und peitschenschwingender Zirkusdirektor beweisen, doch als wahres Juwel des Ensembles überstrahlte einmal mehr Slávka Zámečníková alle anderen. Auch wenn die junge Slowakin nicht über die Wärme eines lyrischen Soprans verfügt, mit dem Mařenka üblicherweise besetzt wird, breitet sie mit ihrer souverän geführten Stimme eine immense Bandbreite an Gefühlen aus, gebettet auf überirdisch schönen Klängen des Staatsopernorchesters, das unter Tomás Hanus, trotz einiger Unstimmigkeiten mit dem diesmal weniger perfekt agierenden Chor, den nachhaltigsten Eindruck hinterließ.
Von der rasanten Ouvertüre an ließ die Spannung niemals nach, auch dort nicht, wo die Musik den intimsten Empfindungen der Figuren nachspürt. Zumindest die musikalische Seite traf beim Premierenpublikum auf Zustimmung, während sich in Sachen Regie Zu- und Ablehnung hörbar die Waage hielten.
Source: faz.net