
Mit einem Wort fängt es an. Germanisten beobachten besorgt, wie sich die deutsche Sprache unter dem Einfluss der neuen rechten Bewegungen verändert. Und sie warnen, dass es nicht bei einem neuen Wortschatz bleiben wird. Denn aus Worten würden Gedanken – und Taten.
Der Sprachwissenschaftler Peter Schlobinski appelliert an die Menschen, Falschbehauptungen nicht zu ignorieren, sondern ihnen stets entschieden entgegenzutreten. „In Zeiten von Lügen, Täuschungen, Fake News und propagandistischer Einflussnahme ist es extrem wichtig, immer wieder auf Wahrheit und Wahrhaftigkeit zu bestehen und diese zu verteidigen“, sagt Schlobinski.
Der gebürtige Berliner, Jahrgang 1954, lehrte von 1995 bis 2023 Germanistische Linguistik an der Universität Hannover, wirkte von 2015 bis 2024 als Vorsitzender der Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden und ist jetzt deren stellvertretender Vorsitzender. Für seine Doktorarbeit hatte er sich einst in einer soziolinguistischen Untersuchung mit der „Stadtsprache Berlin“ befasst.
Peter Schlobinski gehört zu einer Reihe von Wissenschaftlern, die derzeit besorgt beobachten, wie sich erst die Sprache, und mit den Worten dann auch die Welt verändert. So schrieb beispielsweise Thomas Niehr, seit 2009 Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der RWTH Aachen, in seinem Aufsatz „Sprache – Macht – Gewalt oder: Wie man die Grenzen des Sagbaren verschiebt“ bereits im Jahr 2019, viele Menschen hätten schon lange verstanden, dass Sprache und Sache keine getrennten Sphären seien. „Neu ist, dass die ProtagonistInnen des politischen Diskurses ganz offensichtlich die zentrale Bedeutung der Sprache erkannt haben und mitunter auch offen zugeben, Sprache zu strategischen Zwecken gezielt einzusetzen.“
Der Germanist Thomas Niehr beschäftigt sich vor allem mit den sprachlichen Tabubrüchen der AfD, gezielte Provokationen, welche die Aufmerksamkeitslogik der Medien nutzen, um sich erst bekannt zu machen und dann das Denken im Land verändern – vielleicht sogar helfen, an die Macht zu kommen. Niehr setzt sich intensiv mit „Sprache am rechten Rand“ auseinander.
Ein Beispiel ist der Begriff „Remigration“, der zum Unwort des Jahres 2023 avancierte und „rassistisches Gedankengut zu kaschieren“ versucht. Die wörtliche Übersetzung dieses Ausdrucks ins Deutsche lautet Niehr zufolge ,Rückwanderung‘. Das Wort bezeichnet laut der Bundeszentrale für politische Bildung üblicherweise für „die Rückkehr von Migrantinnen und Migranten in ihr Herkunftsland beziehungsweise an den Ausgangsort ihrer Migration“. Politisch aufgeladen werde das Wort im Kontext extrem rechter Bewegungen. Hier stehe es für die Forderung nach Zwangsausweisung oder Deportation von Menschen mit Migrationshintergrund.
Messermänner, Altparteien, Ökodiktatur
Man kann sich die von Thomas Niehr postulierte Wirkung von Sprache auf die Köpfe und damit auf die Gesellschaft in etwa so vorstellen: Wenn die AfD von „Messermännern“, „Altparteien“ oder „Ökodiktatur“ spricht, dann formt das eindrückliche Bilder im Kopf, die sich festsetzen. Erst werden die Propagandawörter Teil der normalen Sprache – das lässt sich bereits nachweisen. Dann tauchen die zugrundeliegenden Vorstellungen in immer mehr Köpfen auf – auch das lässt sich inzwischen belegen.
Und schließlich könnte die AfD auf diese Weise geschafft haben, was ihr damaliger Vorsitzender Peter Gauland schon 2018 in einem FAZ-Interview als Ziel formulierte: „Die Grenzen des Sagbaren ausweiten“, selbst bei ihren politischen Gegnern. Ob die Veränderungen schon so weit gediehen sind, ob Sprache wirklich so viel vermag, wird die Bundestagswahl zeigen.
Für Peter Schlobinski ist die Methode, um dieses Einsickern von Propaganda zu verhindern, deren Falschbehauptungen mit der Wirklichkeit abzugleichen und so zu widerlegen, immer und unermüdlich, auch wenn das schwierig und mühsam sei. „So wie es leichter ist, ein Glas zu zerbrechen und irgendetwas zu behaupten, auch wenn es falsch ist, so viel schwerer ist es, ein Glas aus den Scherben wieder zusammenzusetzen und Falschbehauptungen zu korrigieren“, erklärt der Sprachwissenschaftler.
Es gäbe zu diesem Aufwand jedoch keine Alternative. „Ignorieren hilft nicht und spielt Populisten und Propagandisten nur in die Hände“, sagt Schlobinski auch mit Blick auf die bevorstehende Wahl.
Schlobinski findet dafür ein aktuelles Beispiel in den Weltveränderungsversuchen Donald Trumps: Der US-Präsident Donald Trump habe zwar die Meeresbucht vor Floridas Küste in „Golf von Amerika“ umbenannt. Trotzdem sollte man sie wie bisher „Golf von Mexiko“ nennen. Ein Versuch des Bewahrens, der wohl scheitern wird. Was sich durchsetze, sei am Ende eine Frage der Definitionsmacht: „Wenn sich die Neubenennung in den USA durchsetzt – in der Google Maps App der USA ist diese bereits implementiert, dann kann es durchaus sein, dass diese auch in anderen Ländern übernommen wird.“
Englisch ist die internationale Verkehrssprache. Viele Länder haben sich gerade wegen der intensiven sprachlichen Kontakte gewöhnt, neue Wörter aus den USA zu übernehmen. Das macht Donald Trumps Sprachdisruptionen zu einem besonders mächtigen, weil international nachhallenden Werkzeug. Umso mehr würde sich Schlobinski wünschen, dass sich dem möglichst viele Menschen mit allen den Wörtern, die sie persönlich benutzen, entgegenstemmen – jegliche politisch aufgeladene Sprachjargon vermeiden.
Verschiebung der Bedeutung
Und zwar ganz grundsätzlich, der Linguist rät, weder die Begriffe der Rechten noch die der Linken zu übernehmen. „Begriffe zu enttabuisieren oder zu tabuisieren ist eine Strategie von Rechtspopulisten und Rechtsradikalen, um Bedeutungsverschiebungen vorzunehmen und den gesellschaftspolitischen Diskurs zu beeinflussen.“ Eine Strategie, die gepaart mit nackter Gewalt aus totalitären Systemen bekannt sei. „Denken Sie an die Nazi-Herrschaft sowie aktuell an die russische Propaganda, wenn etwa ein Angriffskrieg als Spezialoperation und Kriegsverbrechen als Friedensmission bezeichnet werden.“
Der Reichtum der deutschen Sprache bietet dem Sprachexperten zufolge vielfältige individuelle Ausdrucksmöglichkeiten, die nicht ideologisch aufgeladen sind – und einen offenen gesellschaftlichen Diskurs ermöglichen. Insbesondere Politiker sollten ihren „Politsprech, ihre Floskeln und Sprachschablonen“ selbstkritisch reflektieren, fordert Schlobinski.
„Die zunehmende Aufmerksamkeits- und Erregungsrhetorik im politischen Diskurs der Demokraten sowie das ewige Beschwören von Begriffen wie ‚Zusammenhalt und Zusammenstehen‘ empfinde ich als wenig hilfreich“, so der Linguist. Politiker sollten stattdessen klar, deutlich und authentisch kommunizieren und „die Probleme lösen, die die Menschen umtreiben“, sagt Schlobinski.
Thomas Niehr ließ seinen Aufsatz 2019 mit einer Warnung ausklingen, die heute prophetisch klingt. Damals hatte die AfD 12,6 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl erhalten. Derzeit stehen die Umfragen bei dem nahezu doppelten Wert. Niehr schrieb damals: „Indem die Grenzen des Sagbaren verschoben werden, wird potenziell Gewalt ausgeübt.“
mit epd
Source: welt.de