Mit einem einfachen Kniff hat ausgerechnet Heidi Reichinneks Linksfraktion den „Rentenrebellen“ der Union die Macht entzogen. Welche Folgen wird Friedrich Merz‘ Verbohrtheit gegenüber der Linken im Bundestag haben?
Retterin in der Not: Wieder springt Heidi Reichinneks Linke der Demokratie zur Seite
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Sie hatten alle Stricke in der Hand: Wochenlang trieb die Junge Gruppe nicht nur ihre Partei und Kanzler Friedrich Merz, sondern die ganze Bundesregierung und die Rentenpolitik der Republik vor sich her. Sie wollten dem Rentenpaket nicht zustimmen, weil sie in den Haltelinien für eine armutsfeste Rente eine Generationenungerechtigkeit sahen. Und da die Junge Gruppe 18 Abgeordnete umfasst und die Bundesregierung nur eine Mehrheit von 12 Stimmen im Bundestag hat, hatten diese „Rentenrebellen“, wie sie inzwischen genannt werden, die Rentenpolitik des Friedrich Merz fest im Griff. Dachten sie. Bis die Linke auf den Plan trat.
Am Mittwoch, zwei Tage vor der Abstimmung im Bundestag über das Rentenpaket am Freitag, kündigte die Linksfraktion an, sich zu enthalten. Die Linksfraktion umfasst 64 Abgeordnete, und wenn diese sich allesamt enthalten, schrumpft die erforderliche Mehrheit im Bundestag auf 284 Stimmen. Die Regierungskoalition aus Union und SPD hat 328 Abgeordnete – heißt: Bis zu 44 Abgeordnete aus den eigenen Reihen könnten gegen das Rentenpaket stimmen, es käme trotzdem durch. Heißt: Die Junge Gruppe kann machen, was sie will, sie kann das Rentenpaket komplett ablehnen oder zustimmen oder sich enthalten, das ist völlig egal. Die Linke hat die Junge Gruppe entmachtet.
Nun könnte die Sache also vom Tisch sein, wäre Friedrich Merz nicht der verbohrte Anti-Linke, der er nunmal ist. Bei der Abstimmung um 12.30 Uhr im Bundestag will er sich nun nicht von der Linken „helfen lassen“, wie es heißt, sondern besteht auf eine „Kanzlermehrheit“. Kanzlermehrheit bedeutet: Er begnügt sich nicht mit der einfachen Mehrheit, die für das Gesetzpaket eigentlich ausreicht – also eine Mehrheit aller anwesenden Stimmen, rausgerechnet die Enthaltungen –, sondern will eine absolute Mehrheit aller Abgeordneten im Bundestag. Das wären 316 Stimmen anstelle der durch die Linke-Enthaltung entstandenen notwendigen 284 Stimmen.
Doch warum bietet ausgerechnet die Linke ihm solch eine Schützenhilfe überhaupt an? Denn mit der Entmachtung der „Rentenrebellen“ hat die Linke Kanzler Friedrich Merz und Unions-Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn ja zunächst aus einer Bredouille befreit, die es in sich hatte.
Junge Gruppe hatte Friedrich Merz im Griff: „Begleittext“ zum Rentenpaket
Die „Rentenrebellen“ wehren sich konkret gegen den Teil der geplanten Reform, der ein Rentenniveau von 48 Prozent auch über 2031 hinaus vorsieht – was zu hohe Kosten verursachen und deshalb die jüngere Generationen belasten würde. Das Papier, das dann im Koalitionsausschuss am Dienstag vergangener Woche als Kompromiss für die Junge Gruppe ausgearbeitet wurde, war alles andere als ein Beipackzettel zum Rentenpaket. Unter anderem war darin die Absicht einer Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre vermerkt. Von einer „Klaviatur der Grausamkeiten“ ist die Rede.
Merz und Spahn standen mit dem Rücken zur Wand: Ohne diese 18 Stimmen, so hieß es, würde das Rentenpaket scheitern. Insbesondere Spahns Zukunft hing am seidenen Faden, nachdem schon die Kanzlerwahl im ersten Durchgang scheiterte und die Linke einsprang, damit es überhaupt zu einem zweiten Wahlgang kommen konnte. Auch hatte er Verantwortung für die chaotische Verschiebung der Wahl der Verfassungsrichter getragen. Hätte er keine Mehrheit für ein gemeinsam erarbeitetes Gesetzespaket der Bundesregierung organisiert bekommen, wäre er in seinem Job gescheitert.
Und auch die Bundesregierung selbst sowie der Kanzler Friedrich Merz hätten bei einem gescheiterten Rentenpaket große Schwäche gezeigt.
Die Linke hätte die Bundesregierung also ganz leicht schwächen können: Würde sie am Freitag gegen das Rentenpaket stimmen, könnte sie Friedrich Merz und Jens Spahn in die Krise führen. Stimmt sie für das Rentenpaket, wäre die Regierungspolitik der Union von linken Stimmen abhängig, was dem rechtskonservativen Flügel wohl kaum recht gewesen wäre – Futter unter anderem für die Junge Gruppe.
Ines Schwerdtner: Rente „betrifft so viele Millionen von Menschen, dass ich daraus kein taktisches Manöver machen will“
Dass die Linksfraktion von Heidi Reichinnek und Sören Pellmann die Abstimmung über das Rentenpaket nicht für ihre eigenen Machtspielchen nutzt, ist aber kein Machtspiel, sondern ein demokratischer Akt. Gar nicht so sehr, wie SPD-Chef Lars Klingbeil es meint, wenn er bei Maischberger sagt: „Ich bin wirklich dankbar, wie verantwortungsvoll die Partei Die Linke sich da im Parlament verhält.“
Sondern weil die Linke sich entschieden hat: Es geht ihr darum, wie es den Menschen in Deutschland geht und was ihre Politik dazu beitragen kann, dass es ihnen besser geht – und es geht ihr nicht um Parlamentarismus und parlamentarische Macht als Selbstzweck. Diese politische Pragmatik ist in Zeiten des rapide abnehmenden Vertrauens in die Demokratie und einer stärksten Partei namens AfD Gold wert. Es geht der Partei darum, wie es den Rentner*innen geht.
Was die Linke inhaltlich zum Rentenpaket denkt, haben Ines Schwerdtner und Heidi Reichinnek in den vergangenen Wochen deutlich gemacht: Obwohl die Linke das Rentenmodell an sich kritisiert und sozial gerechter gestalten möchte, hätte sich Ines Schwerdtner vorstellen können, dem Rentenpaket zuzustimmen. Denn wäre die Junge Gruppe mit ihrer Blockadepolitik durchgekommen, hätte dies für die Rentner*innen ganz konkret soziale Kürzungen bedeutet. Und, so Schwerdtner: „es betrifft so viele Millionen von Menschen, dass ich daraus kein taktisches Manöver machen will.“ Schon jetzt ist jede fünfte Rentnerin von Armut betroffen oder bedroht.
Linke und Rechte zerren an der Bundesregierung
Insofern ist die Rentenabstimmung am Freitag im Bundestag nicht nur eine Abstimmung über die Frage, ob die Bundesregierung den Rentner*innen in Zukunft ein Mindestmaß an sozialer Absicherung zusichern möchte. Sie ist auch ein Kampf um soziale Gerechtigkeit, ein Kampf linker gegen rechte Politik: Die Linke unterstützt die Sozialpolitik von Bärbel Bas (SPD) gegen den anti-sozialen Angriff der Jungen Gruppe.
Dass die Union weiter für eine „eigene“ Mehrheit sorgen möchte, ist irgendwie typisch verbohrt, aber überflüssig. Die Linke jedenfalls hat für eine Stärkung des linken Flügels innerhalb der Bundesregierung gesorgt, nachdem die Junge Gruppe versuchte, sie nach rechts zu ziehen. Die Machtfrage, die der Kanzler heute stellt, ist damit sein persönliches Problem und das der Union, nicht mehr das der Republik.