Widerstand gegen Mercosur: Kollektive französische Verantwortungslosigkeit

Die französischen Bauern lassen aktuell wieder einmal ihre Muskeln spielen. In Brüssel bildeten sie am Donnerstag die Speerspitze der Proteste gegen das Freihandelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten. In Südwestfrankreich blockieren ihre Traktoren seit Tagen Hunderte Kilometer Autobahn. Dass dabei manche Radaranlage zerstört und Präfektur mit Gülle besprüht wird, gehört zur tradierten „Protestkultur“.

Unzufrieden sind die Bauern im Grunde mit allem. Zum allgemeinen Unmut über die immer kleinteiligere politische Reglementierungswut, schärfere Umweltauflagen und unfaire Produktionsbedingungen gesellt sich akut die Tierkrankheit Lumpy-Skin. Über ihre Köpfe hinweg habe die französische Regierung die „Euthanasie“ angeordnet, dass ganze Rinderbestände gekeult werden müssen, wenn sich ein Tier mit der Krankheit infiziert. Zusammen mit dem Mercosur-Abkommen bringt dies das Frustfass zum Überlaufen.

Begehrten nur die Bauern auf, müsste man sich nicht allzu große Sorgen um Frankreich machen. Doch auch die Staatsführung gibt kein gutes Bild ab. Das Gezerre um Mercosur ist dafür beispielhaft. Dass der Freihandel mit Lebensmitteln in Europas führender Agrarmacht, in der heimische Produkte am Esstisch einen hohen Stellenwert haben, wenig wohl gelitten ist, ist nichts Neues. Ebenso wenig, dass die kleine Minderheit an Rinder- und Geflügelzüchtern besonders mobilisierungsstark ist und die Landwirtschaftsverbände vor sich hertreibt.

Gegen die wirtschaftlichen Interessen

Schwer wiegt jedoch, dass sich praktisch Frankreichs gesamte Politikelite von den Bauern vor den Karren spannen lässt. Auch im ach so liberalen Präsidentenlager schießt man gegen das Mercosur-Abkommen. Es sei „in seiner jetzigen Form nicht akzeptabel“, erklärte Premierminister Sébastien Lecornu. Auf den letzten Metern wollen seine Regierung und Präsident Emmanuel Macron die Unterzeichnung torpedieren. Akzeptabel sei das Abkommen erst, wenn es in den kommenden Wochen weitere „Schutzmaßnahmen“ für die Landwirtschaft gebe.

Innenpolitisch mag es der französischen Staatsführung mit der Blockadehaltung gelingen, nicht noch mehr Öl ins Feuer der Bauernproteste zu gießen. Das muss man auch im Kontext der erstarkenden Rechtspopulisten und des ihr nahestehenden Landwirtschaftsverbands Coordination Rurale sehen. Mutig und zum Wohle des Landes ist das Einknicken vor den Traktoren aber nicht.

So ignorieren Macron und seine Regierung nicht nur, dass Europas Schulterschluss mit Südamerika in der derzeitigen geopolitischen Weltlage drängender denn je ist. Mit ihrer Anti-Mercosur-Politik agieren sie obendrein gegen die wirtschaftlichen Interessen des eigenen Landes.

Denn gleich ob Auto-, Pharma-, Luxus- oder Kosmetikindustrie, quer durch die Bank profitieren französische Unternehmen von dem Abkommen. Es nutzt Großkonzernen wie Renault, Sanofi, LVMH und L’Oréal, aber auch Mittelständlern sowie Landwirten und Herstellern von Nahrungsmitteln wie Wein, Spirituosen oder Käse. Ihnen winken neue Absatzchancen und die Anerkennung kontrollierter Ursprungsbezeichnungen.

Vollends gelähmt

Zum Wohle des Landes ist freilich vieles nicht, was in der französischen Politik gerade passiert. In der laufenden Haushaltsdebatte zeigen sich die Parteien von links bis rechts der Mitte unfähig, gemeinsam Antworten zu finden auf die immer bedenklichere Staatsverschuldung.

Obwohl der rasant steigende Schuldendienst die Handlungsspielräume nicht zuletzt in der Verteidigungspolitik auf ein Minimum begrenzt, muss man Ausgabenkürzungen mit der Lupe suchen. Der aufgeblähte Staatsapparat bleibt unangetastet. Die jüngste Rentenreform wurde aufs Eis gelegt. Die Defizitziele, aber auch die Warnsignale der Finanzmärkte und Ratingagenturen werden geflissentlich ignoriert.

Monat für Monat wird deutlicher, wie verhängnisvoll Macrons Parlamentsauflösung im Sommer 2024 war. Die seither zersplitterten Mehrheitsverhältnisse im Parlament haben das Land vollends gelähmt. Dabei werden wie in Deutschland gerade in der Sozial- und Wirtschaftspolitik die Herausforderungen größer, nicht kleiner.

Es gleicht einer Selbstdemontage dann auch noch so kurzsichtig wie im Fall von Mercosur zu handeln und einen verantwortungslosen Haushalt zu beschließen. Schon jetzt stößt die Abkehr von Macrons Angebotspolitik mit Arbeitsmarktreformen und Steuersenkungen viele Unternehmen und Investoren vor den Kopf. Weitere werden folgen, lässt der Mut zur Veränderung weiter auf sich warten.

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