Wichtig z. Hd. die Autobranche: Im Krimi um Nexperia bahnt sich wohl eine Problemlösung an

Wie die Industrie auf der Welt mit Chips versorgt wird, entscheidet sich auch an einer Ausfallstraße im niederländischen Nijmegen. Im Südwesten der Stadt erhebt sich der Büroturm „52Nijmegen“ nahe dem 52. Breitengrad: eines der bekannten Hochhäuser des Landes, weil es über dem achten Stock einen leichten Knick macht.

In diesem Turm hat sich auf zwei Etagen der Halbleiterkonzern Nexperia angesiedelt, der die Industrie mit Standardchips versorgt. Und der für die internationale Autoindustrie unentbehrlich ist.

Nebenan forscht und produziert der einstige Mutterkonzern NXP , getrennt nur durch ein Sträßchen mit dem Namen „Halbleiterweg“. Beide Unternehmen gehören zum Erbe des weitgehend aufgeteilten Technikkonzerns Philips. Der begann vor knapp zwanzig Jahren aus dem Halbleitergeschäft auszusteigen. Schrittweise gab Philips NXP ab, und der abgespaltene Teil veräußerte im Jahr 2017 wiederum das Geschäft mit seinen niedrigpreisigen Standardchips: Nexperia.

„Kommen Sie rein“

Dass diese Billigprodukte systemrelevant sind, ist weitgehend unbeachtet geblieben – bis im vergangenen Monat offenbar wurde, dass sie zum geopolitischen Spielball zwischen China, den USA und den Niederlanden geworden sind. Denn Nexperia gehört heute dem chinesischen Investoren Zhang Xuezheng über seine Gesellschaft Wingtech. Nach politischen Verwicklungen und offenkundig internen Intrigen hat sich ein Zwist zwischen dem europäischen und dem chinesischen Teil des Konzerns aufgetan. Beide sind für ihre Produktion aufeinander angewiesen, beliefern sich aber nicht wie gewohnt.

Das bedroht die Produktion von Nexperia-Kunden, Autokonzerne bangen seit Wochen um ihre Fertigung. Der niederländische Wirtschaftsminister Vincent Karremans, der seit einer staatlichen Intervention ins Zentrum des Nexperia-Streits geraten ist, bemüht sich die Wogen zu glätten, auf dass Nexperia wieder normal liefere.

Den Knick im Turm „52Nijmegen“ hatte die Architektin einst als Zeichen der Offenheit interpretiert. „Eine einladende Geste Richtung Stadt: Kommen Sie rein“, schwärmt der Campusbetreiber Noviotech noch heute. Hinein kommt der Besucher tatsächlich. Bei Nexperia stößt er aber auf alles andere als Offenheit. Der Kommunikationsverantwortliche von Nexperia Niederlande lehnt es weiterhin ab zu sprechen. Beschäftigte anderer Unternehmen im Turm sind über die Schwierigkeiten des Nachbarn im Bilde, Details haben sich aber nicht herumgesprochen. „Wie die Stimmung dort ist? Das interessiert mich tatsächlich auch sehr“, sagt im Fahrradkeller ein Mitarbeiter eines Ingenieurbüros, der seinen Namen nicht nennen will.

Wollte er Anlagen aus Hamburg verlagern?

Nexperia beliefert Kunden vieler Branchen, seine Produkte sind in Wärmepumpen zu finden und in Temperatursensoren für die Medizin, in GPS-Trackern, in Adaptern und Smartphones. Grob die Hälfte des Geschäfts erzielt das Unternehmen aber mit der Autoindustrie. In einem Fahrzeug sind bis zu 500 Nexperia-Chips verbaut – im ABS etwa, im Kühl- oder Batteriesystem. Dagegen sind es typischerweise acht in einem Mobiltelefon. 110 Milliarden Chips stellt Nexperia nach eigenen Angaben jährlich her und damit knapp jeden zehnten der Welt. 12.500 Beschäftigte in Europa, Asien und den Vereinigen Staaten erwirtschaften gut zwei Milliarden Euro Jahresumsatz.

In Nijmegen betreibt Nexperia Forschung und Entwicklung, die Produktion aber liegt im Ausland: im Hauptwerk Hamburg, in Manchester und an drei asiatischen Standorten – einer von ihnen ist das chinesische Dongguan. Der Streit um das Unternehmen begann in seiner jetzigen Dimension Ende September, als das Wirtschaftsministerium in Den Haag sich über ein Notgesetz Vetorechte in dem Unternehmen gab. Wichtige strategische Entscheidungen kann es seitdem blockieren. Minister Karremans gab als Grund Indizien an, dass unter Mehrheitseigner und Vorstandschef Zhang Expertise und Produktion nach China abgezogen werden sollten. In Den Haag ist zu hören, Zhang habe geplant, 40 Prozent der Belegschaft in Europa zu entlassen und Anlagen aus dem Werk Hamburg zu verlagern.

Geopolitischer Hintergrund ist, dass die USA chinesische Unternehmen zunehmend mit Restriktionen belegen. Dies traf Ende 2024 Wingtech und Ende September schließlich auch Nexperia als mehrheitlich durch Wingtech gehaltene Gesellschaft. Als zweiter Akteur im Nexperia-Drama trat das Unternehmensgericht („Ondernemingskamer“) auf den Plan: eine Institution, die sich in den Niederlanden mit betriebsinternen Konflikten befasst.

Nach Beschwerden des mittleren Managements kam es zu dem Schluss, Zhang habe Geld von Nexperia an ein anderes Unternehmen aus seinem Konglomerat schleusen wollen. Und er habe Nexperia zwingen wollen, bei diesem Unternehmen Produkte weit über den eigenen Bedarf hinaus zu bestellen. Das Gericht setzte Zhang als Vorstandsvorsitzenden ab und übertrug Wingtechs alle Nexperia-Anteile bis auf einen an einen gerichtlich bestellten Verwalter.

Entspannung zwischen den USA und China

China reagierte mit einem Exportverbot für das Nexperia-Werk Dongguan. Dies aber trifft Nexperias vernetzte Fertigung insgesamt. Das europäische Hauptwerk in Hamburg stellt Wafer her, das sind bratpfannengroße Siliziumscheiben, die als Grundplatte für Zehntausende bis Hunderttausende Chips dienen. Weiterverarbeitet werden diese Scheiben anderswo und zwar großenteils in Dongguan. Dieses Werk zerschneidet die Wafer mit Spezialinstrumenten, verklebt und verpackt die einzelnen Chips zum Endprodukt.

Der europäische Nexperia-Teil stellte in Folge den direkten Wafer-Transport nach China ein. Als Gründe gab das Unternehmen an, sein chinesischer Teil habe Rechnungen nicht beglichen und unautorisiert Briefe an Kunden mit falschen Angaben geschickt. Auffällig war das Wort „direkt“ – die Wafer könnten also sehr wohl über Umwege ihren Weg ans chinesische Werk gefunden haben.

Im geopolitischen Strang gibt es inzwischen Entspannung: Die Vereinigten Staaten und China einigten sich gerade darauf, ihren Handelskonflikt zu limitieren. Die USA setzen die gerade erst verhängten Sanktionen auf chinesisch kontrollierte Tochtergesellschaften für ein Jahr aus. China ermöglicht es dem dortigen Nexperia-Werk wieder, Chips auszuliefern.

Dem folgt nun aus Den Haag eine Mitteilung des Wirtschaftsministers: „Die Niederlande sind zuversichtlich, dass die Auslieferung von Chips von China nach Europa und in den Rest der Welt in den nächsten Tagen Nexperias Kunden erreichen wird“, teilte Karremans am Donnerstagabend mit. Nach Informationen der F.A.Z. ist das Ministerium bereit, seine per Notgesetz verhängte Anordnung auszusetzen. Voraussetzung: Die Chips aus China müssten nachweislich verlässlich geliefert werden, hieß es in Kreisen, die mit der Angelegenheit vertraut sind.

Die Absetzung Zhangs sei als Angelegenheit des Unternehmensgerichts von den neuen Entwicklungen unberührt. Das Wirtschaftsministerium lehnte eine Stellungnahme auf Anfrage ab.

Ein Signal der Entspannung kam am Freitag auch aus der Autoindustrie. Der Zulieferer Aumovio, bis vor Kurzem Teil von Continental, hat nach eigener Aussage eine Ausnahmegenehmigung für den Export von Nexperia-Chips aus China erhalten und erwartet keine Kurzarbeit in Deutschland mehr. Die Chipversorgung Aumovios: Auch sie hängt an dem Unternehmen an der Ausfallstraße in Nijmegen.

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