Wettbewerb | Schwofen unterm Nationalschmolley: Neun Vorschläge z. Hd. eine neue Hymne und Flagge

Hymne im Plural

Imran Ayata

Wenn gar nichts mehr geht, dann kommt in Almanya bei Linken gerne Brecht ins Spiel. Jetzt also soll seine Kinderhymne als Sample und Ersatz der dritten Strophe der deutschen Nationalhymne dienen. Darüber würde Vize-Bundestagspräsident Bodo Ramelow abstimmen lassen. Nicht im Bundestag, sondern in ganz Deutschland. Einen Moment könne man darüber nachdenken, so Bodo Ramelow. Es ist Sommer. In dieser Jahreszeit werden aus Momenten manchmal Tage und dank Social Media – neuerdings eine Domäne von Ramelows Partei Die Linke – vielleicht ein viraler Hashtag. Wer weiß das schon.

Ich komme gut damit klar, ohne jemals eine Hymne gesungen zu haben. Einmal habe ich aber so getan, als ob. Als nach einer fanatischen „Tod der PKK“-Tirade im Istanbuler Ali Sami Yen in den 1990er Jahren das gesamte Stadion die blutrünstige und chauvinistische Nationalhymne der Türkei sang, bewegte ich meine Lippen mit, weil ich ahnte, was mir passieren würde, wenn ich aus Protest nicht mitsänge. Übrigens diskutiert die Türkei heute im Zuge des Friedensprozesses über eine neue Verfassung, die der pluralistischen Gesellschaft besser entsprechen soll.

Zurück nach Almanya. Wenn schon die Kinderhymne, dann in allen in Deutschland gesprochenen Sprachen, womit man sich rühmen könnte, die Hymne im Plural geschaffen zu haben. Kaum auszumalen, wie kompliziert das dann werden würde. Daher auf die Schnelle zwei Alternativen: Bodo Ramelow startet eine europäische Initiative für eine gemeinsame EU-Hymne. Okay, nicht aussichtsreich. Dann vielleicht ohne Fallersleben und Brecht, nur Haydn.

Imran Ayata ist Politikwissenschaftler und Geschäftsführer der Kampagnenagentur Ballhaus West. Mit Bülent Kullukcu gab er die Sampler „Songs of Gastarbeiter Vol. 1“ und „Vol. 2“ (Trikont) heraus.

Tanzt eure Forderungen

Bernadette La Hengst

Ich schlage zwei Songs vor, die wir mit unserem großen Chor der Statistik zusammen singen. Einer ist die Europahymne der Vielen. Wenn wir über die deutschen Grenzen hinausdenken, brauchen wir anstatt einer Nationalhymne eher eine „Internationalhymne“. Den Song habe ich 2020 gemeinsam mit Barbara Morgenstern geschrieben.

Europahymne der Vielen

Freude lässt uns schöner glänzen,
Tochter aus Elysium,
öffne deine Außengrenzen,
und bleibe Refugium.

Die Nationen sind von gestern,
in Europa und weltweit.
Alle Menschen werden Schwestern,
in der Freude wie im Leid.

Freude lässt uns größer werden.
Wir sind viele, werden mehr.
Solidarisch miteinander,
ist doch gar nicht mal so schwer.

Dafür wolln wir weiter kämpfen,
Freiheit und Demokratie
sind die Pfeiler der Gesellschaft,
sowie Kunst und Poesie.

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Mit dem Chor der Statistik habe ich für unser aktuelles Programm Konkrete Utopien den kollektiven Songtext Dance Your demands geschrieben, in dem wir unsere tanzenden Forderungen an eine zukünftige bessere Gesellschaft besingen. Der Song ist eine Soul-Punk-Hymne als Call and Response. Der Text ist in einem ständigen offenen Prozess und kann an verschiedenen Orten mit neuen Forderungen ausgetauscht oder erweitert werden. Garantiert zum Mitsingen.

Dance Your demands!

Mehr Freude im Verkehr
Keine Waffen, keine Kriege mehr
Klappt die Ellenbogen ein,
Ich möchte gerne langsam sein.

Mehr Notausgänge, weniger Not
Sozialstunden für jeden Despot
Frauen als Friedensstifterinnen
Und bedingungsloses Grundeinsingen

Dance Your demands!

Persönlichkeits-Schutz vor der KI
Vereinfacht die Bürokratie
Gemeinwohl statt Wohlstand
Sozialer Speck in jedem Land

Weniger Gier! – Weniger Gier!
Be yourself, if straight or queer!
Nur das verbrauchen,
was wir brauchen,
und bitte hört endlich auf zu rauchen!

Dance Your demands!

Mehr Humor und Albernheit
Und Überall Barrierefreiheit
Schafft die Massentierhaltung ab
Recht auf autofreie Stadt.

Kunst, Kultur und Einbildung
anstatt Kapitalbildung
Reichtum ganz ohne Geld
Tax the rich auf der ganzen Welt.

Vor dem Schaden Frieden machen
Nicht zerstören, nur kaputt lachen
Wir brauchen dringend mehr Visionen:
die Häuser denen die drin wohnen!

Dance Your demands!

Bernadette La Hengst ist Musikerin und gründete den Chor der Statistik 2019 mit raumlaborberlin als Nachbarschaftschor, um dem Modellprojekt Haus der Statistik eine musikalische Stimme zu geben.

Ohne Worte

Konstantin Nowotny

Deutschsprachige Autorinnen und Autoren haben Bemerkenswertes hervorgebracht. Aber das Schöne kann auch das Grausame an der deutschen Sprache sein. Die Paradoxie, dass sich ein Land eine Strophe der eigenen Nationalhymne verbietet, zeigt das deutlich.

In diesem Licht ist Bodo Ramelows Vorschlag, die Brecht’sche Kinderhymne zur neuen Nationalhymne zu erheben, zwar nett gemeint, aber: „Und weil wir dies Land verbessern / Lieben und beschirmen wir’s“ – das eignet sich doch auch prima fürs Hochziehen von fetten Grenzzäunen, fürs Abschieben und Ausgrenzen, für nationalistische Fingerübungen.

Der Autor kann dafür nichts, aber der Schluss liegt nahe: Deutsche Texte taten den Deutschen noch nie gut. Glücklicherweise kann dieses Land aber auch den Mund halten – und zwar auf Weltniveau. Techno aus Deutschland ist ein Exportschlager. Noch heute sind „wir“ bekannt für Kraftwerk, Kellerclubs und nicht nur die Berliner Feierkultur.

Kaum jemand repräsentiert die Mischung aus deutscher Einheit, textfreier Abgeklärtheit und weltgewandten Sounds wie das Brüderpaar Paul und Fritz Kalkbrenner. Geboren vor dem Mauerfall in Leipzig und Ostberlin, mauserten sie sich in den Neunziger und Nullerjahren vom Underground zum Mainstream. Die Single Sky and Sand aus dem Jahr 2009 hielt sich einst 129 Wochen in den deutschen Charts. Das schafften nicht einmal Last Christmas oder Helene Fischer.

Kein Zweifel, die Kalkbrenner-Brüder könnten die Hymne schreiben, die Deutschlands Image in der Welt gerecht wird – wiedervereint, technisch, tanzbar und vor allem: ohne Worte.

Konstantin Nowotny ist Autor der Kolumne Musiktagebuch im Freitag . Dort erfährt man u. a., dass er ein Black-Sabbath-Album besitzt, das 600 Euro wert ist, und über die Kündigung seines Spotify-Abos nachdenkt.

S.O.S.

Maxi Leinkauf

S.O.S ist im Jahr 1989 entstanden, kurz vor dem Ende der DDR und es klingt wie eine Alternativhymne der DDR. Auferstanden aus Ruinen oder Anmut sparet nicht noch Mühe, hat alles nichts genutzt, lieber Bodo Ramelow, die DDR ist untergegangen, wie von Silly und Gundermann vorhergesehen, die den Song im Februar 1989 geschrieben haben: „Wir bezwingen Ozeane/ Mit’m gebrauchten Narrenschiff/ Über uns lacht ’ne goldne Fahne/ Unter uns ein schwarzes Riff/ Immer noch stampft die Dampfmaschine/ volle Kraft voraus …“

Das passt auch heute wieder: Man sollte sich nie zu sicher sein, dass das Schiff nicht auch sinken kann. Wenn es stockt im Land. „Lasst die Bordkapelle spielen (S.O.S.)/ Einen Walzer mit Gefühlen (S.O.S.)/ Fresst und sauft und sauft und fresst/ Fresst und sauft und sauft und fresst“.

Am 9. November vergangenes Jahr rockte Silly das Lied am Brandenburger Tor, zusammen mit 300 Musikern und Musikerinnen. Hymnischer wird’s nicht.

Maxi Leinkauf ist „Freitag“-Redakteurin

Unsere 5 Cents für eine neue Nationalflagge

Mag sein, dass Thüringen und Bayern gerade über die älteste deutsche Bratwurstbude streiten: So sieht vereinte Vielfalt aus.

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Hier gibt’s nichts zu lachen. Deutschland – ein Jammertal. Der neue Nationalschmolley, mit dem sich Jung und Alt identifizieren kann.

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Deutschland. Aber egal. Das neue Design in schlichtem Schwarz-Weiß dämpft überflüssigen Nationalstolz und ist umweltfreundlich im Druck.

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Deutsche Pünktlichkeit? Seit internationale Stars ihre Verspätungen auf Instagram teilen, kennt man dieses Logo auch im Ausland. Eine Flagge, die souverän mit Klischees bricht .

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Das neue Wappentier für ein genormtes Leben auf saftigem Kunstrasen.

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Entwürfe: Andrea Schindler (1 und 5), Kristina Wedel (2 und 4), Christian Bobsien (3)

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