Ohne Werbung kommt heute kaum ein Profisport mehr aus. Das kann man gut oder schlecht finden. Ohne die Mehreinnahmen durch die Werbepartner wäre die Aufmachung von Ereignissen wie der Fußball-Europameisterschaft (EM) wesentlich weniger spektakulär. Nach dem Verkauf der Senderechte dürften für die UEFA Werbung und Sponsoring die zweitgrößte Einnahmequelle sein. Adidas, Coca-Cola, BYD und andere Sponsoren zahlen eine Menge Geld, um auf den Werbeflächen rund um die EM zu erscheinen.
Wie viel genau, will die UEFA auf Anfrage der F.A.Z. nicht verraten. Allerdings sahen allein den deutschen Länderspielen bisher im Schnitt 24,5 Millionen Augenpaare hierzulande zu, „normale“ Länderspiele haben nicht einmal die Hälfte dieser Quote. Das Maßschneidern der Werbung für so viele Zuschauer – und damit die teurere Vermarktung – scheint damit geboten, so sie denn technisch möglich ist. Die UEFA setzt deshalb in diesem Jahr zum ersten Mal für die EM virtuelle Bandenwerbung ein. In drei verschiedenen Märkten – den USA, China und Deutschland – sehen Zuschauer während der TV-Übertragung andere Werbung als die Zuschauer im Stadion.
Für die TV-Übertragung überblendet eine Künstliche Intelligenz (KI) die LED-Banden in den Stadien mit virtuellen Anzeigen, die auf die jeweiligen Märkte zugeschnitten sind. „Ein Zuschauer im Stadion oder ein internationaler Zuschauer sieht zum Beispiel englische Coca-Cola-Werbung auf den Banden, während TV-Zuschauer in Deutschland eine ähnliche Coca-Cola-Werbung sehen, allerdings in Deutsch“, heißt es von der UEFA.
Enge Grenzen für die Anwendung der Technologie
Demnach ist es nicht so, dass unterschiedliche Länder Werbung von unterschiedlichen Marken eingespielt bekommen. Dass alle die gleiche Werbung zu sehen und damit das gleiche Zuschauererlebnis bekommen – nur in ihrer eigenen Sprache –, soll den Charakter der EM als weltumspannende Veranstaltung zur Geltung bringen, heißt es. Einzig Deutschland bekommt noch Werbung von den zusätzlichen Sponsoren wie der Telekom oder der Bahn. Eine weitere Personalisierung, wie sie zum Beispiel in der programmatischen Werbung mit Internet-Bannern oder im TV-Streaming stattfindet, gibt es nicht.
Außerdem ist die Überblendung stark begrenzt. Sie ist nur zu sehen, während die Übertragung der Hauptkamera läuft. In Übertragungen vom Spielfeldrand oder aus anderen Perspektiven wird die tatsächliche Werbung im Stadion gezeigt. Weder in der Nachspielzeit noch beim Elfmeterschießen oder in Wiederholungen gibt es virtuelle Werbung. Dass ein Werbepartner extra Geld zahlt, um etwa während Tor-Zusammenschnitten oder in Rückblenden zu sehen zu sein, kommt nicht vor. Überblendet werden darf zudem nur bestehende Werbung, dazu wird vor jeder Fernsehübertragung ein Hinweis eingespielt.
KI muss wissen, was vor der Bande passiert
Die Technologie wird seit sechs Jahren von der UEFA erprobt und kam zum ersten Mal 2021 im Super Cup der Männer in Belfast zum Einsatz. Zuständig für die Überblendung ist während der EM das Schweizer Unternehmen Aim Sport. Abgemischt und versendet werden die verschiedenen Übertragungen in der Sendezentrale der UEFA in Leipzig.
Die LED-Bande ist dabei der Referenzpunkt, auf den die Überblendung projiziert wird. Die KI braucht dafür die Maße der Bande, weswegen die Überblendung auch mit statischen Banden möglich ist. Während der EM kam es zu kleineren Aussetzern, während deren Werbung auf Bildern eingeblendet wurde, wo sie nicht sein sollte oder wo Spieler hinter der Werbung verschwanden. Aber die virtuelle Überblendung wird immer besser. Für Laien sei sie kaum mehr zu erkennen, heißt es.
Damit das so bleibt, wird viel Aufwand betrieben. Die KI muss erkennen, wenn beispielsweise ein Spieler vor der Bande steht. Das geschieht durch maschinelles Lernen, einer KI-verwandten Technologie, die ebenso wie das Training von KI große Rechenleistungen erfordert. Seit 20 Jahren arbeite man schon an der Technik, jetzt sei sie im Wesentlichen übertragungsfähig, sagte ein mit den Banden vertrauter Techniker der F.A.Z.
In (nicht immer) sicherem Abstand zum Spielfeld
Die LED-Banden werden größtenteils in China rund um die Stadt Shenzhen hergestellt. Sie unterscheiden sich in ihrer Höhe und der Auflösung, gemessen an Pixelabständen. Ein System aus 250 Metern reicht, um das Spielfeld komplett zu umranden. Die Banden funktionieren wie ein Baukasten. Dabei besteht das Bandensystem aus 200 sogenannten Kabinetten, die sich im Schadensfall leicht austauschen lassen. Die Banden haben eine Lebensdauer von fünf bis zehn Jahren, manche halten sogar 15 Jahre.
Wie herkömmliche Banden auch sollen diese LED-Banden nicht die Sicherheit der Spieler gefährden. Zwischen vier bis fünf Meter Abstand müssen die Banden zur Seitenauslinie des Spielfelds haben. Das reicht nicht immer aus. Im Vorrundenspiel gegen Österreich stürzte der Franzose Antoine Griezmann gegen eine Bande und zog sich eine Platzwunde zu.
Die Deutsche Bundesliga nutzt die Technologie auch schon seit dem Jahr 2018. Die während der EM eingesetzten Banden sind allerdings andere, als sie bei den Bundesligavereinen stehen. Um gleiche Maße und Qualitätsstandards zu gewährleisten, hatte die UEFA die Banden vor dem Turnier ausgeschrieben, wie die F.A.Z aus Branchenkreisen erfuhr.
Letztlich sind die virtuellen Banden der nächste Schritt in der Digitalisierung des Sports und der besseren Personalisierung der Werbung. Etwas im Stadion aufzustellen und zu hoffen, dass die Kamera daran vorbeischwenkt, sei konzeptionell nicht mehr zeitgemäß, heißt es in der Branche.