Während Krieg, Klimakrise und Rechtsruck das Land prägen, verliert sich Bodo Ramelow in Symbolpolitik: neue Hymne, neue Flagge, fragwürdige Gesprächspartner
Bodo Ramelow
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Das mediale Sommerloch in diesem Jahr war zum Glück nicht besonders groß, aber doch einige Meter tief. Darin auf dem Boden versenkt: Bodo Ramelows jüngster Vorschlag für eine neue Nationalhymne, Brechts „Kinderlied“. Nun sind Nationen, um Benedict Anderson zu bemühen, „vorgestellte Gemeinschaften“, aber warum nicht? Ist ja auch ein schöner Text: „Anmut sparet nicht noch Mühe/ Leidenschaft nicht noch Verstand/ Dass ein gutes Deutschland blühe/ Wie ein andres gutes Land.“ Nur: Wen interessiert das?
Gute Politik heißt auch, das Richtige am richtigen Ort zu sagen, und zwar zur buchstäblich rechten Zeit! Dieses Land steht mit einem Bein im Krieg (F*ck dich, Putin!), der Sozialstaat harrt seiner Demontage und die faschistische AfD führt im Osten bei Umfragen, derweil der Klimawandel Tatsachen schafft, die nicht mehr zu reparieren sind. Und der linke Bundestagsvizepräsident? Der wünscht sich eine neue Hymne und noch dazu eine neue Flagge, weil ja viele Menschen damit fremdeln – mit der Fahne der Revolution von 1848!
Und sonst? In seiner Nebenfunktion als religionspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag könnte der 69-Jährige sehr viel bewegen. Von wegen: „Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken“ (Hesekiel 34, 16). Seine Partei könnte auf diesem Gebiet völlig neues Terrain erobern, Bündnisse stiften, aber auch Spannungen abbauen, wie etwa im Verhältnis zum Zentralrat der Juden in Deutschland. Dessen Präsident empörte sich unlängst über Die Linke, die sich auf ihrem Parteitag zur „Jerusalem Declaration on Antisemitism“ bekannt hatte.
Ist die Zeit von Bodow Ramelow abgelaufen?
Josef Schuster sprach daraufhin von einem radikalen Kern der Partei, der – getrieben von Israelhass – dazu beitrage, den Antisemitismus unserer Zeit zu verschweigen. Und wie reagiert Bodo Ramelow? Wie in den sozialen Medien zu lesen war, traf er sich zu „freundschaftlichen und vertrauensvollen Gesprächen“ mit Schusters Widerpart Gideon Joffe. Außer Ramelow gibt es derzeit keinen weiteren Spitzenpolitiker, der sich mit diesem Mann aufs Foto drängt. Aus Gründen: Die gegen Joffe seit 2015 erhobenen Vorwürfe der Wahlfälschung bei der Wahl zur Repräsentantenversammlung sind, laut Wikipedia, bis heute nicht aus dem Weg geräumt. Der Zentralrat der Juden in Deutschland erkennt auch seine letzte Wahl nicht an.
Dass Ramelow seine Verdienste hat, ist unbestritten. Aber ein jeglicher hat seine Zeit. Vielleicht wäre Joffes Demokratieverständnis auch ein Modell für die Partei Die Linke: Sodass in Zukunft bei Listenaufstellungen keine Genossen mehr antreten dürfen, die siebzig und älter sind.