Politikhäppchen zu Pommes und Cheeseburger – beim „Burger-Dialog“ fühlten Influencer der GenZ jungen Politikern auf den Zahn. Am Ende wissen sie immer noch nicht, welche Partei „das geringste Übel ist“.
Ein McDonalds-Mann verteilt Wermut Spritz auf Eis in kleinen Gläschen, neben Burger-Einwickelpapier stehen Weißweingläser auf den Tischen des Schnellrestaurants in Berlin-Mitte. Hier beginnt gleich ein „Burger Dialog“ mit drei jungen Influencern sowie Philip Amthor von der CDU, Elvan Korkmaz-Emre von der SPD und Jamila Schäfer von den Grünen.
Die Influencer stellen Fragen aus ihrer Gen Z-Zuschauerschaft, zwischen den Gruppen vermittelt WELT-Journalistin Nele Würzbacher (WELT kooperiert als Medienpartner). Im Raum sitzen vielleicht drei Dutzend Zuschauer im Alter zwischen 20 und Ende 30 und kauen Gratis-Chicken McNuggets und Cheeseburger. Viele wurden, so sagen sie, durch LinkedIn-Werbung auf das Event aufmerksam; der YouTube-Livestream knackt die 200-Zuschauer-Marke nicht.
„Ich würde jetzt am Anfang gerne mal auf die Themen Ausbildung und soziale Gerechtigkeit schauen“, beginnt Würzbacher, dann streiten Amthor und die SPD-Frau, was ihre Wahlprogramme kosten. Schließlich darf der erste Influencer ran, bei Instagram heißt er „321maxx“ (bürgerlich: Max Rogall) und hat 80.000 Follower. Mit Ende zwanzig ist er der Älteste der drei. Auf seinem Kanal sagt er zu Beispiel: „Leute, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, ist eine wissenschaftliche Tatsache“, vor einigen Jahren war er mal im Fernsehen in der schwulen Version vom „Bachelor“.
Auf der Bühne will er nun für seine „Community“ wissen, warum es für die CDU „Priorität“ sei, das Selbstbestimmungsgesetz wieder abzuschaffen. „Das ist keine Priorität“, erwidert Amthor, „für den Fortbestand der Bundesrepublik Deutschland und für den Weg nach vorn gibt es wichtigere Themen.“ Dann erklärt er drei Minuten lang, warum es aus Unionssicht einen „Mittelweg“ brauche sowie „Missbrauchs- und Plausibilitätsprüfung“ bei einer Änderung des Geschlechtseintrags. Applaus dafür gibt es nicht, aber es gibt ohnehin fast keinen.
Dann fragt die augenscheinlich Jüngste in der Runde nach ungleicher Bezahlung von Frauen und Männern, warum der Frauenanteil im Bundestag meist nur bei 30 Prozent liege, und: „Wie können wir früh eingreifen, damit Frauen wissen, dass sie alle Berufe ausüben können?“
Auf TikTok heißt sie Helena Clear mit Funkel-Emojis links und rechts von ihrem Namen; sie hat dort 2.500.000 Likes und erzählt zum Beispiel, dass sie nach dem Abi in Süddeutschland gerne ihre Großeltern in der Eiffel besuchen und Party in „Malle“ machen wolle, und danach Praktika an Brennpunktschulen – Vorbereitung für den Grundschullehrerberuf. Sie nimmt die Zuschauer auch mit in den Zug nach Berlin, wohin sie „das erste Mal wirklich alleine gereist“ sei, freut sie sich über den Geschmack der Falafel-Wraps aus dem ICE-Bordbistro und wie schön der Berliner Hauptbahnhof sei: „So krass Leute, wenn ihr noch nie da wart.“
Bei TikTok sagt sie auch Sätze wie: „Ich geh’ morgen auf eine Demo gegen rechts“, dann zeigt sie sich beim Plakate basteln. Repräsentativ? Unter den Wählern zwischen 18 und 29 liegen laut Forsa derzeit Grüne und die Linke mit je 19 Prozent vorn. Danach folgen: AfD und Union, irgendwann dann auch, weit abgeschlagen, SPD und FDP. Merke: Die Jugend ist wankelmütig, zuletzt lagen bei ihr AfD und Union vorn, davor mal FDP und Grüne.
Vielleicht macht ihr auch niemand ein nachhaltig gutes Angebot. Helena Clear sagt zum Beispiel einmal: „Laut einer Studie von der Robert-Bosch-Stiftung leiden zwölf Prozent der Schülerinnen und Schüler im Jahr 2024 unter psychischen Auffälligkeiten“, das habe mit Social Media zu tun. „Wie können wir das beheben und verbessern? Und was kann man auch machen, um in Zukunft vorzubeugen?“, will sie wissen.
Jamila Schäfer von den mitregierenden Grünen sagt: Man müsse „jetzt endlich eine rechtliche Regelung finden, wie wir die angehenden Psychotherapeutinnen und -therapeuten bezahlen, wenn sie ihre Ausbildung machen.“ CDU-Amthor sagt: „Das sehen wir auch so“, und es brauche mehr Forschung; auch Korkmaz-Emre kann dem meisten „einfach zustimmen“, und sie sei auch „sehr dankbar für die Fragen“.
„Also das war jetzt beides darauf bezogen, wenn man das Problem hat, wie man es dann beheben kann“, sagt Helena Clear, „sehen Sie auch Wege, vorzubeugen?“ Jamila Schäfer antwortet: „Also, ein ganz wichtiges Thema ist natürlich Zukunftsangst auch für viele.“ „Wir müssen halt viel, viel ehrlicher als Politikerinnen und Politiker auch darüber sprechen, wie wir jetzt eigentlich diese ganzen riesigen Krisen, die wir gerade sehen, gut miteinander gelöst bekommen“, sagt Schäfer, sie erwähnt dann etwa die „Klimakrise“.
Ihre Wahlkampfslogans kriegen alle Politiker unter. Als 321maxx wissen will, ob „politische Bildung einerseits, aber auch Medienkompetenz im Bildungsplan noch stärker verankert werden“ solle, fällt Amthor zum Beispiel ein: Es brauche kein „staatliches Wahrheitsministerium“.
Er sagt auch: „Wir dürfen auch nicht sagen, Fakten sind egal für politische Debatten“. Für Jamila Schäfer, die wie ihre SPD-Kollegin eigentlich gerne über Friedrich Merz AfD-Abstimmungs-„Tabubruch“ reden will, eine willkommene Einflugschneise: „Philipp, es ist schon auch so, dass es momentan auch bei Konservativen teilweise so eine rechte rechtspopulistische Rhetorik-Übernahme gibt“, ermahnt sie ihn. Denn: „Friedrich Merz hat vor zwei Wochen gesagt: ‚Es gibt jeden Tag Gruppenvergewaltigungen aus dem Milieu der Asylbewerber‘“.
„Nein, das hat er nicht gesagt“, widerspricht Amthor, und „Was hat er gesagt? Ja, was hat er gesagt?“. Zur Auflösung – Merz hat am 31. Januar 2025 im Bundestag laut Plenarprotokoll tatsächlich von „täglich stattfindenden Gruppenvergewaltigungen aus dem Milieu der Asylbewerber heraus“ gesprochen – finden Schäfer und Amthor nicht, es geht drunter und drüber und hin und her zwischen ihnen, bis die drei Influencer darüber lachen müssen.
Dann fragt Marco Artman, alias „marcoxart“ auf Instagram, der zweite Mann auf Influencer-Seite: „Ich hab’ tatsächlich noch ein anderes Thema, das aus der Community kam“, und zwar: „Wie wollen Sie denn unsere Rente sichern? Am besten so einfach wie möglich für die jungen Zuschauer erklärt“, fordert er. Artman hatte zuletzt vor knapp 22.000 Followern in einer Art Inflations-Check getestet, wie gut man vor einem Jahr und heute von sieben Euro eine Woche lang leben kann (gesponsert vom „Penny“-Supermarkt). Für die ARD hat er einen Podcast über seinen Opa und deutsche Familiengeschichte gemacht, Folge vier etwa heißt: „Opa, hat unsere Familie von der Ausbeutung der Juden profitiert?“
Der junge Mann sagt auf seinem Kanal auch: „Ich hab’ aktuell noch überhaupt keinen Plan, wen ich eigentlich wählen werde“. Wird die Rentenfrage helfen?
„Die Grundlage für ein vernünftiges Rentensystem ist eine funktionierende Wirtschaft. Deswegen ist unser Kurs für Wachstum so zentral“, antwortet Philip Amthor, und für Wachstum wolle die CDU bald sorgen. „Rückfrage dazu“, sagt der Influencer marcoxart: „Was Ist Ihr Plan B, wenn die Wirtschaft nicht wächst?“ „Ja, das passiert, wenn die Leute die Grünen und die SPD wählen“, sagt Amthor – im Raum Lachen und Johlen.
Korkmaz-Emres SPD-Antwort: „Wir wollen das Rentenniveau sichern. Das Rentenniveau liegt aktuell bei 48 Prozent, und das haben wir stabilisiert und festgeschrieben“, und die CDU wolle das nicht. Gehe es dagegen mit der SPD mit der Festschreibung weiter, dann werde das bedeuten: „Wenn die Einkommen steigen, steigen auch die Renten.“
Und für die Grünen schlägt Schäfer dann noch, die Moderatorin will eigentlich schon weiter, eine „Bürgerversicherung“ und einen „Bürgerfonds“ vor, „wo sozusagen gemeinsam mit nachhaltigen Aktiengewinnen das ganze System auch noch mal für alle, die einzahlen, auch stabilisiert wird.“
„Sehr gut. Politikverdrossenheit ist unser nächstes Thema“, sagt Moderatorin Würzbach daraufhin, es geht dann noch um die Frage, ob junge Menschen als kleinere Wählergruppe von der Politik ernst genommen werden – das will Helena Clear wissen.
„Wir haben es zum Beispiel bei der Coronapolitik ja schon erlebt, dass die Interessen junger Menschen einfach viel weniger in den Debatten, auch in den Machtzentren der Politik vertreten waren“, sagt Jamila Schäfer dann; das habe sich erst gebessert, als mit der Wahl 2021 mehr junge Abgeordnete ins Parlament eingezogen seien.
Schäfers Kollegin lobt in ihrer Antwort die Juso-Parteijugend, die fordere, „dass ein WG-Zimmer für Auszubildende oder Studierende nicht mehr als 400 Euro kosten soll und dass man darauf auch hinwirkt.“ Die Grüne Schäfer merkt kritisch an: Ob dann Leute noch „an Studis vermieten“? Amthor sagt nur: „Freibier für alle würde bei uns wahrscheinlich auch ’ne Mehrheit finden.“ Ein junger Mann vor der Bühne beginnt heftig zu kichern.
Dann ist die Debatte vorbei, die Influencer holen sich noch die Politiker vor ihre Handy-Kameras. Marcoxart fragt etwa Korkmaz-Emre, ob sie eher der Typ „Tasse Kaffee“ oder „Glas Wein“ sei oder was, in einem Satz, ihre Partei auszeichne.
WELT sagt er zum Schluss: Philipp Amthor habe „sehr lange und komplizierte Antworten gegeben“ hinsichtlich der anvisierten „jungen Zielgruppe“. Grüne und SPD hätten es „ein bisschen einfacher und verständlicher gestaltet. Aber meine Wahlentscheidung, würde ich sagen, ist dadurch nicht erleichtert.“
„Ich hab’ jetzt in den letzten Tagen auch mit mehreren Freunden telefoniert, denen es allen ähnlich geht“, sagt Artmann. „Die sagen, sie sind komplett ahnungslos oder beziehungsweise: wissen nicht, Formulierung von einem Freund, was das geringere Übel ist.“
Und Helena Clear reflektiert: Sie glaube, dass SPD und Grüne es leichter gehabt hätten mit ihren Fragen und „dementsprechend auch mehr überzeugt“. Aber für die CDU sei es „auch nicht komplett schlecht gelaufen“.
Source: welt.de