
Besondere Aufnahmen: Ein heller Blitz strahlte plötzlich aus dem Umfeld von „1ES 1927+654“. Dabei handelt es sich um eine Galaxie beziehungsweise ein supermassereiches Schwarzes Loch in der Konstellation Draco. Was steckt dahinter?
Im März 2018 beobachteten Astronomen und Physiker ein sehr ungewöhnliches Phänomen in den Himmels-Aufnahmen des ASAS-SN (All-Sky Automated Survey for Supernovae), einem weltweiten System von Teleskopen, welches den Himmel automatisiert nach Sternenexplosionen absucht.
Ein heller Blitz strahlte plötzlich aus dem Umfeld von „1ES 1927+654“. Dabei handelt es sich um eine Galaxie beziehungsweise ein supermassereiches Schwarzes Loch in der Konstellation Draco, etwa 236 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt und gut eine Million Mal so schwer wie die Sonne.
Weitere Beobachtungen folgten mithilfe der beiden Satelliten-Teleskope XMM-Newton, von der Europäischen Weltraumorganisation Esa, und NICER von der US-Raumfahrtbehörde Nasa. Im Lauf der darauffolgenden zwei Monate veränderte sich das Strahlungsspektrum des Schwarzen Lochs dramatisch, was darauf hindeutete, dass die Korona – ein wirbelndes, heißes Plasma in der Umgebung des Schwarzen Lochs – kollabiert war.
Erst 2021 hatte das Schwarze Loch wieder seinen Ausgangszustand erreicht. „Es war noch immer extrem hell, auch wenn es für ein paar Jahre sehr wenig tat und nur vor sich hin blubberte. Doch wir mussten es einfach weiter beobachten, weil es so schön war“, erklärt Erin Kara, Associate Professor für Physik am Massachusetts Institute of Technology (MIT) im amerikanischen Cambridge. Sie ist Co-Autorin einer aktuellen Studie, die in „The Astrophysical Journal“ erscheinen soll und dafür gerade begutachtet wird, und erzählt weiter: „Dann sahen wir etwas, dass noch nie beobachtet wurde.“
Im Jahr 2022 begann das Schwarze Loch dann Röntgenstrahlblitze auszusenden, in regelmäßigen Abständen von 18 Minuten. Die Frequenz wurde über die folgenden zwei Jahre immer höher, bis die Blitze schließlich alle sieben Minuten auftraten. „Wir hatten noch nie eine so dramatische Veränderung in der Geschwindigkeit von solchen Blitzen gesehen“, sagt MIT-Doktorandin Megan Masterson. „Das sah absolut nicht wie ein normales Schwarzes Loch aus.“
Um dem Ursprung der stetig schneller werdenden Röntgenpulse zu finden, rechneten die Forscher verschiedene Möglichkeiten durch. Die wohl wahrscheinlichste Erklärung für die Beobachtung war schließlich ein sogenannter Weißer Zwerg, der in großer Geschwindigkeit um den Rand des Schwarzen Lochs kreist und dabei regelmäßig Röntgenstrahlung von sich gibt.
Erst Roter Ries, dann Weißer Zwerg
Weiße Zwerge sind die letzte Entwicklungsstufe im Zyklus vieler Sterne, deren Masse zu klein ist, um zu einem Neutronenstern oder einem Schwarzen Loch zu werden. Zuvor durchlaufen solche Sterne meist eine Phase als Rote Riesen, wenn ihr Wasserstoffkern Großteils zu Helium verschmolzen ist.
Während in den äußeren Schichten die Wasserstoff-Fusion fortfährt, verschmilzt das Helium im Kern weiter zu Kohlenstoff und Sauerstoff – die Grundelemente des Lebens entstehen so. Schließlich kollabiert der Kern unter der eigenen Schwerkraft. Zurück bleibt ein Weißer Zwerg, etwa von der Größe der Erde aber dem Gewicht der Sonne.
Da dieser Weiße Zwerg nun immer näher an den Rand des Schwarzen Lochs gezogen wird, gleich einer Murmel, die das Loch eines Trichters umkreist, wird auch seine Umlaufbahn immer schneller – und die Abstände zwischen den Röntgenpulsen kleiner.
In dieser Umlaufbahn gefangen, scheint das Schicksal des Weißen Zwergs zunächst besiegelt. Denn nach einiger Zeit müsste er vom Rand des Schwarzen Lochs „fallen“ und hinter dem Ereignishorizont verschwinden – jenem dunklen, inneren Bereich eines Schwarzen Lochs, wo nichts mehr, auch kein Licht, dessen Anziehungskraft entkommen kann.
Doch die MIT-Wissenschaftler, die ihre Ergebnisse nun auf dem 245. Treffen der American Astronomical Society vorstellten, haben noch Hoffnung für den Weißen Zwerg. Denn am Rande des Schwarzen Lochs sind die Zerrkräfte derart groß, dass immer wieder Teile von ihm wegbrechen und in Richtung Abgrund geschleudert werden. Das sorgt für einen Rückstoß, welcher ihn wieder vom Rand wegschubst, ähnlich einem Raketenantrieb.
Daraus ergibt sich ein delikater Balanceakt aus Schwerkraft und Newtons drittem Gesetz von actio und reactio. Bald, so die Forscher, könnte der Weiße Zwerg sogar einen Umkehrpunkt erreichen und sich wieder vom Rand des Schwarzen Lochs entfernen.
Ein weniger glückliches Schicksal könnte einen anderen Stern ereilt haben und der Grund für den Kollaps der Korona Anfang 2018 gewesen sein. Der Stern kam vermutlich zu nahe an den Rand des Schwarzen Lochs. Während der kompakte, Weiße Zwerg von seiner eigenen Gravitationskraft noch größtenteils intakt gehalten wird, zerrissen die enormen Zerrkräfte des Schwarzen Lochs den unglücklichen Stern vollkommen.
In den Beobachtungen der Forscher zeigte sich dieses Ereignis im Frühjahr 2018 in einem plötzlichen Ausbruch von Licht, Ultraviolett- und Röntgenstrahlung. Anschließend verschwand das Signal und auch die typische Röntgenstrahlung der Korona ebbte ab.
Die ungewöhnliche Aktivität inmitten 1ES 1927+654 hat mittlerweile weltweit das Interesse von Forschergruppen angezogen. Eileen Meyer, Associate Professor für Physik an der University of Baltimore etwa erinnert sich: „Wir waren so ‚Wow da passiert was‘. Wir wurden sehr aufgeregt und versuchten jedes Röntgen-Teleskop zu bekommen, das wir finden konnten, um die Quelle dieser Strahlung zu sehen.“
Ihr Team beobachtete 2023 in einer kürzlich erschienenen Studie die Bildung von sogenannten Jetstreams um das Schwarze Loch und bekam dafür überall auf der Welt einen Zugang zu Teleskopen, auf den man normalerweise Monate oder gar Jahre warten musste.
Das MIT-Team will die Beobachtungen an diesem einmaligen System fortsetzen, um die extremen physikalischen Vorgänge in der innersten Umgebung von Schwarzen Löchern besser zu verstehen. Einen großen Fortschritt erhoffen sich die Astrophysiker durch den weltraumgestützten Gravitationswellendetektor LISA der Weltraumorganisation Esa, dessen Launch mit einer „Ariane 6“-Rakete derzeit für das Jahr 2035 geplant ist. Denn die Gravitationswellen, die das Zweiergespann aus schwarzem Loch und weißem Zwerg aussenden sollte, liegen genau in dem Wellenlängenbereich den LISA eindeutig nachweisen kann.
Source: welt.de