Ein Jugendoffizier der Bundeswehr wirbt an einer Schule. Später landen Memes gegen die Bundeswehr im Internet. Der Staatsanwaltschaft erhebt nun Klage gegen den 18-jährigen ehemaligen Schüler Bentik
Ein Jugendoffizier der Bundeswehr
Foto: Pia Bayer/dpa/picture alliance
„Sowohl die Schule als auch die Bundeswehr fühlten sich offenbar von ein paar Memes persönlich angegriffen“, sagt Bentik ins Mikrofon. Der 18-jährige ehemalige Gymnasiast, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte, steht am Mittwochabend auf dem Platz der Alten Synagoge in Freiburg – bei seiner Solikundgebung.
Bentik droht wegen der Verbreitung von Memes gegen die Bundeswehr ein Strafprozess. Neben ihm stehen Dutzende weitere, vor allem junge Menschen. Sie tragen rote Fahnen und Transparente mit Aufschriften wie „Bundeswehr an unseren Schulen – Schüler vor Gericht!“, „Kriegspropaganda verhindern“ und „Schüler:innen gegen Wehrpflicht“. Später zünden sie Pyrotechnik und rufen Parolen – die Wut ist spürbar.
Was ist genau passiert? Die Bundeswehr will „kriegstüchtig“ werden und dafür braucht sie Nachwuchs. Um diesen zu gewinnen, werden nicht nur Propaganda-Comics wie „Ben dient Deutschland“ produziert, sondern regelmäßig auch sogenannte Jugendoffiziere in Schulen entsendet. Laut Bundeswehrangaben erreichten 94 Jugendoffiziere im vergangenen Jahr über 160.000 Schüler*innen – vier Prozent mehr im Jahr zuvor. Eine der Schulen, wo die Bundeswehr aufkreuzte, war das Angell-Gymnasium in Freiburg.
Bentik wurde nach eigener Aussage mehrfach vom Rektor zu Gesprächen geladen, auch seine Eltern wurden informiert
Wie Bentik gegenüber Medien erklärte, sei die Bundeswehr sogar schon mehrfach in die Schule gekommen. Bei einem ersten Besuch im vergangenen Jahr habe der damalige Gymnasiast bereits öffentlich Kritik an der Veranstaltung geäußert, zudem habe sich auch eine Schülerzeitung mit der Militär-Präsenz befasst. Bentik wurde nach eigener Aussage mehrfach vom Rektor zu Gesprächen geladen, auch seine Eltern wurden informiert. Man habe ihm Konsequenzen angedroht, falls er als Urheber der Schülerzeitung identifiziert werde.
Anfang Februar war dann die Bundeswehr erneut in der Schule. Diesmal wurde vorher auf Instagram und in der Schülerzeitung zu Protesten aufgerufen. „Ich wurde aus dem Unterricht geholt und mir wurde gesagt, dass man Protest gegen die Veranstaltung nicht akzeptieren werde. Man würde mich notfalls aus dem Schulhaus verweisen für die Dauer des Vortrags“, sagt Bentik gegenüber dem Stern.
Laut dem Schüler gehe aus Akten hervor, dass die Schule die Bundeswehr vorab über die Möglichkeit von Störversuchen gewarnt hatte. Dabei seien auch politische Einschätzungen über den damaligen Schüler ermittelt worden. Das Angell-Gymnasium hatte diesbezüglich auf eine Anfrage des Freitag nicht reagiert. Letztlich nahm Bentik nicht am Workshop teil – auch Störaktionen haben nicht stattgefunden.
Meme-Kritik an Bundeswehr-Auftritt: „Also Kinder, wer von euch würde gerne an der Ostfront sterben?“
Was jedoch geschah: Im Nachgang der Veranstaltung wurden auf dem Instagram-Kanal der Schülerzeitung Memes des Jugendoffiziers veröffentlicht. Ein noch einsehbares zeigt eine Person ohne erkennbares Gesicht, die mit einer Waffe vor einer Klasse steht. Auf einer Tafel steht „Demokratie verteidigen – aber wie?“ Und darunter als Zitat: „Also Kinder, wer von euch würde gerne an der Ostfront sterben“?
Ein weiteres, mittlerweile nicht mehr einsehbares Meme, zeigt, wie der Jugendoffizier von einem Mann namens „SS-Siggie“ angerufen wird. Das ist ein Verweis auf den bekannten und bereits verstorbenen Neonazi Siegfried Borchardt. Der Jugendoffizier antwortet auf dem Meme: „Oh, da muss ich kurz rangehen“. Laut Bentik wurde das Meme kurz nach dem Posting wieder gelöscht.
„Offenkundig soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass es auch faschistische Strukturen innerhalb der Bundeswehr gibt. Es wird dabei nicht die individuelle Person kritisiert, sondern die Person in ihrer Rolle als Jugendoffizier der Bundeswehr“, sagt Bentik dazu dem Stern. Nach Aussage des ehemaligen Schülers hätten die Ermittlungsbehörden versucht, sein Handy zu orten, um eine Verbindung zu den Postings nachweisen zu können.
Die beiden Darstellungen unterstellen dem Offizier persönliche Verbindungen zur nationalsozialistischen Organisation ‚SS‘ und eine verfassungswidrige, menschenverachtende Grundeinstellung
Nur wenige Wochen nach der Veranstaltung fand Bentik dann eine Vorladung der Polizei in seinem Briefkasten – man würde wegen Beleidigung gegen ihn ermitteln. Die Staatsanwaltschaft Freiburg bestätigte gegenüber dem Freitag die Anzeige. Aufgegeben habe diese dabei der Offizier selbst und nicht die Bundeswehr als Organisation. Auch von der Bundeswehr heißt es zum Freitag: „Um es ganz klar zu sagen: Die Bundeswehr als Institution hat keine Strafanzeige beziehungsweise keinen Strafantrag gegen einen Schüler gestellt.“
Bentik ist davon nicht überzeugt. „Aus der Akte geht hervor, dass der Jugendoffizier auch im Namen seines Arbeitgebers Strafanzeige wegen politischer Beleidigung gestellt hat. Die Bundeswehr wird also auch als geschädigte Partei in dem Verfahren geführt“, so der ehemalige Schüler zum Stern.
Die Staatsanwaltschaft Freiburg hat jedenfalls nach Abschluss der Ermittlungen Ende August Anklage wegen Beleidigung erhoben. Der Grund: „Die beiden Darstellungen unterstellen dem Offizier persönliche Verbindungen zur nationalsozialistischen Organisation ‚SS‘ und eine verfassungswidrige, menschenverachtende Grundeinstellung.“ Wann es zu einer Hauptverhandlung kommt, ist noch unklar.
Bentik: „Hier geht es um Einschüchterung von Kritikern“
Bentik selbst macht sich derweil über die Motivation des Vorgehens keine Illusionen. „Es ist erschreckend, wie repressiv gegen Menschen in Deutschland vorgegangen wird, die die fortschreitende Militarisierung kritisieren“, sagt er dem Stern. Diese Militarisierung greift dabei auch immer stärker in das Leben junger Menschen ein.
Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des BSW geht so hervor, dass vergangenes Jahr jeder zehnte neu eingestellte Soldat minderjährig war. Von insgesamt mehr als 20.000 neu eingestellten Soldat*innen waren demnach rund 2.200 bei Dienstantritt erst 17 Jahre alt. Der höchste Wert seit Erfassung der Daten im Jahr 2011.
„Hier geht es um die Einschüchterung von Kritikern“, fasst Bentik zusammen. Was dagegen hilft, ist Solidarität. Zahlreiche Menschen haben in den vergangenen Tagen bereits mehr als 1500 Euro für die Prozesskosten gesammelt. Denn letztlich geht es in diesem Verfahren auch um die Frage, wer in Deutschland das letzte Wort hat – wenn junge Menschen Nein zum Krieg sagen.