
Gerry McGovern hat der Marke Jaguar jetzt einen radikalen Neuanfang verordnet und setzt komplett auf Elektro. Wir sprachen mit dem Kreativdirektor über Häme im Netz, Zylinderkolben und britische Exzentrik.
Bei Land Rover hat Gerry McGovern maßgeblich dazu beigetragen, die kantigen Offroad-Vehikel, mit der sich der Hersteller einen Namen gemacht hat, in geländegängige Luxusobjekte zu verwandeln. Jetzt hat er der Schwestermarke Jaguar zu einem völlig neuen Erscheinungsbild verholfen. Selten wurde über ein neues Modell so hitzig diskutiert wie nach der Enthüllung des neuen Modells Type 00. Am Tag nach der Präsentation des Showcars im Design District von Miami sitzt McGovern (69) trotzdem gut gelaunt auf der Terrasse eines Boutiquehotels in Miami Beach.
ICON: Herr McGovern, Ihr Relaunch Jaguar polarisiert, um es mal vorsichtig zu formulieren. Die Reaktionen waren zum Teil vernichtend und reichten von „Barbie-Stil“ über „Abfall“ und „war mal eine coole Marke“ bis hin zu „der Tod einer britischen Ikone“. Wie gehen Sie damit um?
Gerry McGovern: Das ist doch großartig, vor ein paar Wochen hat niemand über Jaguar gesprochen. Ich habe damit gerechnet, dass wir uns mit dem neuen Design nicht nur Freunde machen würden. Statt uns selbst zu zitieren, haben wir versucht, ein radikales Statement zu setzen. Wir haben die Marke für eine Welt neu erfunden, die von anderen Werten bestimmt wird als das Koordinatensystem der klassischen Autoliebhaber. Wir richten uns damit nicht an die Fans der historischen Jaguar-Modelle, denn das sind nun mal nicht diejenigen, die einen neuen Jaguar kaufen würden.
ICON: Hat Ihnen die zum Teil sehr heftige Kritik nicht zugesetzt?
McGovern: Wissen Sie, ich bin Kritik gewohnt. Schauen Sie sich die neue Generation des Defenders an: Da musste ich mir immer wieder anhören, dass das Modell ein gigantischer Flop wird. Inzwischen ist der Wagen so gefragt, dass wir mit der Produktion kaum hinterherkommen.
ICON: Der Type 00 hat auf den ersten Blick noch weniger mit seinen Vorläufern zu tun als der Defender, der immerhin seiner Gattung treu geblieben ist. Sind Sie damit zu weit gegangen?
McGovern: Was viele Kommentatoren am neuen Jaguar aufregt, ist die Kühnheit des Entwurfs, und das finde ich großartig. Manche lieben das Auto, andere hassen es. Manche werden es vielleicht später ins Herz schließen und andere niemals – genau darum geht es doch bei diesem Auto. Ich denke, wenn man sich den Wagen mit dem Blick eines professionellen Designers anschaut, wenn man die Gestaltung der Oberflächen betrachtet, die Ausarbeitung der Details und die Abstimmung der Größenverhältnisse, dann gibt es daran nicht viel auszusetzen. Die überschwänglichen Proportionen und die lange Motorhaube haben etwas klassisches und beziehen sich auf frühere Jaguar-Modelle. Alles andere strahlt Modernität und Exklusivität aus.
ICON: Viele Fans der Marke waren schon von der Marketing-Kampagne irritiert, die im Vorfeld lanciert wurde und in der kein Auto zu sehen war, sondern nur ein diverser Cast in bunten Kostümen.
McGovern: Dabei handelt es sich nicht um klassische Autowerbung, sondern um einen Teaser, bei dem nicht das Produkt im Mittelpunkt steht, sondern die Marke. Herzlichen Glückwunsch an alle, die erkannt haben, dass darin kein Auto vorkommt. Genau das war unsere Absicht. Die Aggressivität und der Hass, mit der die Kampagne diskutiert wurde, haben wir allerdings in dieser Heftigkeit nicht kommen sehen. Viele Kommentatoren haben ihren rassistischen und homophoben Ressentiments völlig freien Lauf gelassen, vor allem auf der Plattform X. Wir wurden da regelrecht reingesaugt, dabei haben wir mit den Clips nur versucht, uns vorzustellen, wie unsere zukünftigen Kunden aussehen könnten – vielleicht nicht morgen, aber irgendwann. Dafür können Sie mich verantwortlich machen. Ich habe die Models selbst ausgewählt, sie sollten bloß nicht zu normal aussehen. Nicht, dass daran irgendwas falsch wäre, aber ich wollte keine mittelalten Männer in Sweatshirts zeigen.
ICON: Hat Jaguar sich in eine woke Marke verwandelt?
McGovern: Das ist bei manchen offenbar so angekommen und wir haben diesen Eindruck auch noch verstärkt, indem wir ein pinkes Auto präsentiert haben (lacht). Dabei stand die Farbe schon lange fest und war als Hommage an Miami gedacht, wo wir den Wagen von Anfang an enthüllen wollten. Miami ist eine Stadt, in der Kunst und Design zelebriert werden, das passt viel besser zu Jaguar als eine herkömmliche Autoshow. Hier erreichen wir auch viele potenzielle Kunden, die wohlhabend genug sind, sich einen neuen Jaguar zu leisten. Bei der Farbwahl habe ich mich vor allem auf „Miami Vice“ bezogen.
ICON: Viel Spott kam von sogenannten „Car Guys”, also Männern, die eine besonders emotionale Bindung zum Auto haben und auf den Geruch von Benzin schwören. Gehört der Car Guy einer aussterbenden Art an?
McGovern: In der elektrifizierten Welt hat das romantische Verhältnis zu Verbrennungsmotoren keinen Platz, die Nostalgiker sind für uns nicht mehr relevant. Wir setzen voll auf Elektromobilität, gehen dabei aber einen ganz anderen Weg als andere Hersteller mit ihren kurzen Fronthauben und viel Platz in der Kabine. Beim Type 00 sieht man auf den ersten Blick, dass es sich um ein luxuriöses Produkt handelt.
ICON: Warum haben Sie den charakteristischen Leaper – Ihr Markenemblem, das eine Raubkatze im Sprung darstellt – vom Grill entfernt und durch einen Schriftzug ersetzt?
McGovern: In unserer neuen Markenphilosophie kennt der Leaper nur eine Richtung. Er springt nach vorne, nie zur Seite oder nach hinten. Deshalb haben wir ihn zwischen den Radkästen und den Türen angebracht, auf diese Weise zeigt sein Kopf immer in Fahrrichtung. Dieser Schritt war nur konsequent, bei den früheren Jaguar-Modellen war der Leaper für meinen Geschmack einfach zu präsent, er prangte ja auch am Heck. Man sollte eine Automarke auch ohne Label erkennen können, so wie man einen Anzug von Tom Ford oder eine Tasche von Hermès gleich erkennt.
ICON: Der Weltpremiere des Type 00 wird von einer Ausstellung über britische Kreativität begleitet. Was bedeutet britischer Stil für Sie? Und wie kommt dieser Stil bei Ihrem Showcar zum Ausdruck?
McGovern: Meine Bezugspunkte sind da weniger greifbare Objekte, es geht eher um eine Haltung, die ich als „Britishness“ bezeichnen würde und die für mich auch für den gezielten Bruch mit Konventionen steht, so wie der E-Type damals die gesamte Automobilwelt auf den Kopf gestellt hat. Ich denke da an Persönlichkeiten wie Vivienne Westwood, David Bowie oder Richard Rogers, die für ihre Arbeiten angefeindet und beschimpft wurden, weil sie ihrer Zeit einfach voraus waren. Als Richard Rogers das Centre Pompidou gebaut hat, waren die Leute entsetzt, kein Mensch hat verstanden, warum die Leitungsrohre an der Außenfassade angebracht waren. Und was ist dann passiert? Heute gilt das Gebäude als Ikone der Architektur des 20. Jahrhunderts.
ICON: Ist diese Unerschrockenheit für Sie eine typisch britische Eigenschaft?
McGovern: Absolut. Es geht nicht um einen wiedererkennbaren Look oder eine bestimmte Garderobe mit Melone, Nadelstreifenanzug und Regenschirm, sondern um den Hang zur Exzentrik, die Lust an der Disruption und den Willen, Dinge anders zu machen als bisher, ohne sich darum zu scheren, was andere darüber denken. Das ist für mich britisch.
ICON: Jaguar will sich als rein elektrische Luxusmarke neu aufstellen. Dabei erlebt die Elektromobilität gerade einen Backlash. Der Übergang dauert länger als erwartet, die Zurückhaltung bei den Käufern ist nach wie vor groß, und manche Hersteller stellen die eigene Strategie in Frage, den Verbrennungsmotor hinter sich zu lassen. War die Ankündigung von Jaguar, sich auf Elektroautos zu konzentrieren, möglicherweise etwas zu voreilig?
McGovern: Unsere Marktforschung sagt uns, dass die Akzeptanz von Elektromobilität weiter zunehmen wird. In China zum Beispiel ist der Marktanteil von Elektroautos sehr hoch, dort haben wir es eher mit der Herausforderung zu tun, dass die Fahrzeuge nicht als Luxusobjekte angesehen werden, sondern als Gebrauchsgegenstände, die möglichst erschwinglich sein sollten. Diese Sichtweise würden wir gerne ändern, und der einzige Weg, dass zu tun, ist etwas zu schaffen, das die Kunden emotional anspricht und Begehrlichkeiten weckt, ganz unabhängig davon, ob es einen Elektroantrieb hat oder nicht.
ICON: Welche Kompromisse müssen Sie beim Übergang zur E-Mobilität machen?
McGovern: Keine. Es ist ja nicht so, dass die Performance von Elektroautos zu wünschen übriglassen würde. Im Gegenteil. Wir haben es mit unglaublichen Kräften zu tun. Der neue Jaguar wird 1000 PS haben, mehr als jedes andere Modell zuvor. Wen kümmert es da noch, ob sich unter der Motorhaube Zylinderkolben auf und ab bewegen oder nicht? Menschen, die heute darüber nachdenken, einen elektrischen Jaguar zu kaufen, haben andere Prioritäten. Sie wollen Sicherheit, Nachhaltigkeit und eine gewisse Integrität. Sie erwarten ein herausragendes Design, mit dem sie sich gerne zeigen – und sie wollen Emotionen. Und all das werden wir ihnen geben.
Source: welt.de