A
wie Augenaufschlag
Für The Cure galt in meiner musikalischen Bubble das Gleiche wie für Depeche Mode oder New Model Army: Jeder kannte die Songs, aber niemand wollte zugeben, die Band zu mögen. Das lag an all dem pathetischen Brimborium, mit dem sie sich für uns ungenießbar gemacht hat – von der fortschreitend pompösen Instrumentalisierung bis hin zum dauerleidenden Augenaufschlag des Sängers Robert Smith. Da bot für mich wie viele andere aus dem Gefühligkeits-adversen Flügel der Früh-1990er-Jugendkultur die Trash-Rock-Band Dinosaur Jr. einen Ausweg: Sie coverte Just Like Heaven in einer so eigenen und doch originalnahen, respektvollen wie auch persiflierenden Weise – die schlampige Gitarre! Der lustlose Gesang (→ Jungs)! Das Video mit abrockenden Muppet-Show-Puppen! –, dass auch der präpotenteste Punkrock-Zyniker um eine Erkenntnis nicht herumkam: Mit diesem Song hat The Cure eins der fünf größten Stücke ihrer Ära, wenn nicht der Popgeschichte geschrieben. Velten Schäfer
C
wie Camus
Hätte Robert Smith um die Konsequenzen gewusst, hieße der Song wahrscheinlich Standing on a Beach. Oder, wie Produzent Chris Parry meinte: The Stranger. Denn Killing an Arab, die Debütsingle von The Cure (1978), bezieht sich auf Albert Camus’ Roman Der Fremde (1942), den der junge Smith bereits als Schüler las (→ Jungs). Dass der Titel rassistisch gedeutet werden könnte, wurde der Band erst bewusst, als sie gebeten wurde, den Song bei einem Auftritt auf keinen Fall zu spielen. Also kam 1986 ein Warnhinweis aufs Albumcover. Bei späteren Auftritten änderte Robert Smith die inkriminierte Zeile schlicht ab. Nun hieß es Kissing an Arab. Aber nicht lange. 2018 beendete die Band ein Konzert im Vertrauen auf die literarische Expertise ihres Publikums mit der ursprünglichen Version dieses kontroversen Post-Punk-Stücks. Joachim Feldmann
F
wie Frisur
Zerzaustes, toupiertes Haar, fixiert mit haufenweise Haarspray, dazu blasser Teint und starker Eyeliner – Ende der 1980er Jahre war die Frisur von The-Cure-Sänger Robert Smith ein ikonisches Symbol der Punk- und New-Wave-Szene. Auch in Deutschland wurde das überallhin wachsende schwarze Haar adaptiert, etwa von Bela B, dem Schlagzeuger der Ärzte, in seinen frühen 20ern. Die kaputtgefärbten Haare standen nicht nur für Stil, sondern für Rebellion und das Bedürfnis, sich von gesellschaftlichen Normen abzugrenzen. Diese Ästhetik schwappte auch in die Filmwelt: In Cheyenne – This Must Be the Placevon Regisseur Paolo Sorrentino spielt Sean Penn einen abgehalfterten Rockstar, der die Musik aufgab, als sich zwei Jugendliche, inspiriert durch seine Musik, das Leben nahmen (→ Zum Sterben schön), und dessen Äußeres unverkennbar an Robert Smith erinnert. Wie die Musik von The Cure steht auch dieser Look für Außenseitertum und eine tief empfundene Melancholie. Jens Siebers
G
wie Gruftis
„Grufti“ war ursprünglich eine negative Fremdzuschreibung für die Gothic-Bewegung. Angelehnt an die Gruft war damit das semantische Feld von Friedhofsgänger bis Leichenschänder gespannt. Die Subkultur kam als Mischung aus Punk und Wave in den 1980ern auf und eignete sich den Term „Gruftis“ schließlich als Selbstbeschreibung an. Auch in der DDR gab es Gruftis, die natürlich im Visier der Staatssicherheit standen. „Guffits“ nannte sie Erich Mielke in seiner berüchtigten Rede über die dekadente Jugend. Das hinderte die DDR-Führung aber nicht daran, das Phänomen finanziell abzuschöpfen. So brachte der Platten-Betrieb Amiga 1988 eine Quartett-EP mit vier Cure-Songs heraus. Die Band war einer der ersten internationalen Acts, die in der DDR nach dem Mauerfall auftraten – und zwar im August 1990 in Leipzig und Dresden. Tobias Prüwer
J
wie Jungs
Robert Smith, dieser düstere Vogel aus dem südenglischen Crawley, las bekanntlich besonders gerne französische Existenzialisten (→ Camus). Als er 1976 seine Band gründete, da war er noch ein Teenager. Drei Jahre später erschien das Debüt von The Cure: Three Imaginary Boys. Die Band, das waren Robert Smith, Michael Dempsey und Lol Tolhurst – und Smith war damals gerade 20 Jahre alt. Beklemmender, tiefschürfender und hypnotischer klang Musik bis dahin selten. Frühe Cure-Stücke sind Meisterwerke, die wie ein Messer zustechen: Wer sie einmal gehört hat, kann sie nicht mehr vergessen (→ Plainsong). Und so war eines der erste Stücke meiner damaligen Band, das wir von The Cure coverten, Boys Don’t Cry, zu deutsch: „Jungs weinen nicht“. 2009 hat es Anajo dann noch einmal versucht. Tja, ganz nett. Aber die ultimative Coverversion, die ist schon 1987 und nur auf Tape erschienen und stammt von den mainfränkischen Wave-Punk-Poppern Die echten Clarks. Und das waren – na logisch – wir. Marc Peschke
K
wie Konzertschock
Während meiner Dorfjugend war The Cure meine Religion. Das erste Konzert, im Juni 1986 in der Münchner Olympiahalle, kam daher einem Gottesdienst gleich. Doch in den 1990ern fiel ich vom Glauben ab. Zeitsprung ins Jahr 2022 – mein 15-jähriger Sohn fragt mich: „Kennst du The Cure?“ Er hat die Band entdeckt und möchte aufs Konzert in Berlins größter Mehrzweckhalle. Ich kaufe zwei Tickets, ohne zu ahnen, dass mir just am Konzerttag ein Weisheitszahn gezogen wird. Zugedröhnt mit Schmerzmitteln sehe ich dann bestürzt, was die letzten drei Dekaden dem Körper von Robert Smith angetan haben. Ebenso schrecklich ist die Musik; manche Songs erkenne ich nur an den Texten wieder. Meinem Sohn gefällt das Konzert, bei mir stellt sich eine schockhafte Einsicht ein: Nicht nur Smith, auch ich bin inzwischen sehr alt geworden. Uwe Schütte
L
wie Liebe
Kling Klang von Keimzeit oder Lemon Tree, Songs in Dauerschleife. Aber kein Ohrwurm prägte die erste Hälfte der 1990er mehr als Friday I’m in Love. Sonnabends, wenn wir in die Clubs gingen, war bei dieser The-Cure-Nummer die Tanzfläche voll. Vor dem Losgehen war es unsere Mission: „It’s Friday, I’m in love.“ Natürlich, wahre Fans (→ Gruftis) nörgeln, das Lied sei nur eine kommerzielle Popschnulze, eigens für die Charts geschrieben, Robert Smith hat das sogar mal zugegeben. Es hat funktioniert, es ist der meistgespielte Cure-Song. Auch wenn Dienstag grau war, Mittwoch auch, alles trist, am Freitag ging die Sonne auf. Und wenn Wolken kamen, hörte ich Lovesong, Smiths Liebeserklärung an seine langjährige Frau Mary, aber es klang seltsam unheilvoll, als würde Glück schwermütig machen. „However far away / I will always love you …“ Adele veröffentlichte auf 21 ihre eigene Version von Lovesong. Sie habe das Lied auf ihrem allerersten Konzert gehört, zu dem ihre Mutter, ein Riesen-The-Cure-Fan, sie mitgenommen habe. In Malibu half das Lied Adele später gegen Heimweh. Maxi Leinkauf
P
wie Plainsong
„‚I think it’s dark, and it looks like rain‘, you said / ‚And the wind is blowing / Like it’s the end of the world‘, you said“ – wie vom Donner gerührt stand ich 2002 in Benicàssim vor der Bühne, als der epische Plainsong auf mich niederging – ich finde keine anderen Worte dafür. Für den Rest des Abends war ich im Bann von Robert Smith und mutierte zum Fan. Seitdem gehe ich wann immer möglich zu The-Cure-Konzerten (→ Konzertschock). Plainsong fängt verspielt an, bis urplötzlich eine instrumentale Wucht losgetreten wird. Der düstere Song ist der Opener auf dem 1989 erschienenen Album Disintegration (→ Liebe), bis heute eines der besten, wenn nicht das beste Album der Band. Dass dieser Song etwas mit einem macht, fand offenbar auch die Regisseurin Maren Ade: Am Ende ihres Films Toni Erdmann wird man vom Plainsong – mal wieder – umgeworfen. Nina Mayrhofer
R
wie Raupe
Raupen können berühmt werden: Man kennt die aus Lewis Carrolls Alice im Wunderland oder Eric Carles Raupe Nimmersatt. Von eher ollen Raupen geht eine Verheißung aus, sie werden zu bunten Schmetterlingen. Damit erreichen sie dann allerdings die Möglichkeit, abzuflattern. The Cure wäre nicht The Cure, wenn in The Caterpillar bei aller Beschwingtheit der Melodie in schönster Dur-Tonart nicht auch etwas Finsteres lauerte (→ Plainsong): der Abschied vom Raupenmädchen, das besungen wird. Es bekommt auch etliche schräge Arpeggien auf dem Klavier mit, ehe es zum Schmetterling wird. Insgesamt klingt der Song, der zuerst 1984 auf The Top, einem der schwächeren Cure-Alben, veröffentlicht wurde, wie ein erneuter und nur leicht veränderter Aufguss des Knallers The Lovecats (1983). Trotzdem mochte ich das Raupenlied damals und amüsiere mich beim Wiederhören noch immer darüber, wie Robert Smith am Ende mimetisch die rhythmische Kriechbewegung einer eiligen Raupe andeutet: Cata-cata-cata-cata-cata-cata-cata-cata, caterpillar girl! Beate Tröger
Z
wie Zum Sterben schön
Am 12. April 2000 erschoss sich ein 24-jähriger Polizist in Prag während eines Konzerts von The Cure. Der Polizist war offenbar privat auf dem Konzert, seine Leiche wurde später in den Toiletten der Live-Venue ohne Abschiedsbrief entdeckt. Während des Konzerts hat niemand etwas von den Schüssen mitbekommen. Am 27. Juli 1986 gab es im kalifornischen Inglewood einen ähnlichen dramatischen Vorfall im Rahmen eines Cure-Konzerts. Der 38-jährige Jonathan Morland war depressiv und unglücklich verliebt und wollte seine Angehimmelte Andrea beeindrucken. Er stach sich im Inglewood Forum theatralisch mehrfach mit einem Jagdmesser in die Brust, bis die Polizei eingreifen konnte und den Mann in die Klinik brachte. Morland überlebte seinen Selbstmordversuch, Fan von The Cure sei er allerdings nie gewesen. Ji-Hun Kim