Die Polarisierung zwischen den Vereinigten Staaten und China werde auch nach den Präsidentschaftswahlen in den USA weiter voranschreiten. Deutschland und Europa müssten sich hier klarer positionieren, sagen Experten in der Handelskammer Hamburg.
Die Polarisierung zwischen den Vereinigten Staaten und China wird nicht ab-, sondern eher zunehmen. Für Europa steigt damit der Zwang, sich zwischen der größten und der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt klarer zu positionieren. Die Folgen für Hamburg, das im Außenhandel enge Beziehungen sowohl zu China als auch zu den USA unterhält, sind dabei bisher nicht absehbar. Das war am Mittwoch die Essenz einer Diskussionsrunde in der Handelskammer Hamburg vor den Präsidentschaftswahlen in den USA, die am 5. November stattfinden.
Zur Wahl stehen der Republikaner und Donald Trump, der bereits von 2017 bis 2021 US-Präsident war, sowie Vizepräsidentin Kamala Harris von der Demokratischen Partei. Die Republikaner und insbesondere auch Trump verfolgen gegenüber China eine wesentlich härtere Gangart bei der politischen und wirtschaftlichen Abgrenzung als die Demokraten.
„Die nationale Stärke und Sicherheit steht bei den Amerikanern ganz oben. Beide Kandidaten konzentrieren sich auf innenpolitische Themen und darauf, die amerikanische Wirtschaft wieder zu stärken“, sagte Christoph Schemionek, Leiter der Delegation der Deutschen Wirtschaft in der US-Hauptstadt Washington. Die Delegation der Deutschen Wirtschaft zählt zur Organisation der deutschen Außenhandelskammer (AHK).
Die Republikaner und Trump wollen eher auf Strafzölle setzen, um ausländische – auch europäische – Unternehmen zu einer Produktion in den USA selbst zu bewegen. Die Demokraten wenden dafür vor allem Steuervergünstigungen und Subventionen an, wie etwa im Rahmen des Inflation Reduction Acts. „Die USA wollen ihre Wirtschaft reindustrialisieren und die Technologieführerschaft in allen wichtigen Bereichen stabilisieren oder aber sie zurückgewinnen“, sagte Schemionek.
In jedem Fall gehe es darum, Chinas auch wachsende wirtschaftliche und technologische Macht einzudämmen, darin waren sich die Experten in der Handelskammer einig. Das bedeutet zum Beispiel für europäische Unternehmen wie Volkswagen, dass in China gefertigte Automobile immer weniger oder gar nicht mehr auf dem US-Markt verkauft werden können. „Trump hat die Konfrontation mit China zwar verschärft. Das Grundbild ist aber auch unter Präsident Joe Biden gleichgeblieben – dass man mit China einen Rivalen hat, den man einhegen muss“, sagte Bernhard Bartsch vom Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin. „Auch die Biden-Regierung hat die Europäer hart konfrontiert, wenn es um die Durchsetzung von US-Interessen im Indo-Pazifik ging.“ Der Demokrat Biden ist seit 2021 US-Präsident. Auf eine erneute Kandidatur hat der 81-Jährige zugunsten von Harris verzichtet.
Der gesamte Inflation Reduction Act der Biden-Administration sei nicht konform mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO – ebenso wenig wie viele Elemente der chinesischen Wirtschaftspolitik, sagte Bartsch. Von einem regelbasierten Welthandel könne man deshalb kaum noch sprechen.
Bartsch sagte, die Europäische Union und Europas Wertegemeinschaft müssten sich künftig zwischen China und den USA deutlich klarer positionieren. Und dabei seien die USA der naheliegende Partner. „Chinas Strategie ist es, bei anderen Staaten immer neue Abhängigkeiten zu schaffen und diese für sich zu nutzen.“ Mit den bestehenden Überkapazitäten seiner Automobilindustrie etwa könne China heute bereits „den gesamten Welt-Automobilmarkt mit 50 Millionen Fahrzeugen im Jahr allein bedienen“. Ähnliches lasse sich bei den erneuerbaren Energien beobachten.
„Europa kann sicher noch einige Jahre lang gute Geschäfte mit China machen. Aber langfristig darf es keine neuen, zusätzlichen Abhängigkeiten von China riskieren“, sagte Bartsch. „China will westliche Strukturen, die es für ungerecht hält, zerstören. Das richtet sich gegen die USA, aber auch gegen Europa.“ China stütze Russland bei dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine „ganz aktiv. Ohne China könnte Russland seinen Krieg gegen die Ukraine so nicht fortführen.“
Die Europäische Union versuche mittlerweile, sich bei der wirtschaftlichen und technologischen Sicherheit besser aufzustellen, sagte Filip Medunić, Research Fellow Geoökonomie bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik: „Für Europa besteht die Herausforderung darin, dieses Instrumentarium besser zusammenzubringen. Das Abstimmungsverhalten der EU-Mitgliedstaaten ist in dieser Hinsicht allerdings nicht wirklich koordiniert.“
Bartsch ergänzte, gerade bei kritischer Infrastruktur wie Telekom- oder Stromnetzen, die auch viel chinesische Technologie enthalten, agierten Deutschland und die EU bislang viel zu zögerlich – trotz der deutschen Entscheidung, das chinesische Unternehmen Huawei vom Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes weitgehend auszuschließen: „Mit solchen Schritten können wir nicht jahrelang warten wie bislang. Wir gönnen uns dabei in Deutschland viel Naivität, die wir uns eigentlich nicht leisten können.“
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter der WELT und der WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Über den regionalen Außenhandel berichtet er seit vielen Jahren.
Source: welt.de