„Weiße Witwe“ an dieser Volksbühne: Jeden Abend stirbt ein Mann

„Weiße Witwe“ an dieser Volksbühne: Jeden Abend stirbt ein Mann

Das Bild einer wütenden Frau war lange Zeit eine gesellschaftliche Provokation. Während Schreien und Zorn bei Männern als Zeichen der Stärke und Dominanz angesehen wurden, galt es bei Frauen als Symbol des Kontrollverlusts. Frauen sollten nicht wütend sein, sie sollten leise und nett bleiben. Noch heute wird weibliche Wut gerne mit Trauer verwechselt oder als Hysterie abgetan. 

In der Inszenierung Weiße Witwe der österreichisch-kurdischen Regisseurin Kurdwin Ayub ist die wütende Frau gleichzeitig ein Objekt der Begierde. Irgendwie zumindest, denn die Königin Aliah (gespielt von Rapperin addeN) schreit viel herum und ist – „oh mein Gott“ – so heiß, dass Benny Claessens in der Rolle des Eunuchen und engen Vertrauten erst mal eine kalte Dusche benötigt. Das Stück spielt im Jahr 2666 im „Islamischen Staat von Europa“. Herrscherin Aliah regiert dort unerbittlich. Sie beleidigt ihre Untertanen in obszöner Sprache, trägt glitzernde Unterwäsche und verlangt jede Nacht nach einem frischen weißen Mann, mit dem sie ihre sexuelle Lust befriedigen und den sie anschließend hinrichten kann.

Provoziert kann sich eigentlich jeder und jede von diesem Stück fühlen: Frauen in Hijabs und engen Latexanzügen tanzen stolz über die Bühne, Männer werden gefesselt, geknebelt und wie Tiere über den Boden getrieben. Übersexualisierung trifft auf Religion, Geschlechterklischees werden von Anfang an gebrochen. Aliahs Tochter Cezaria (Samirah Breuer) sieht in dem Morden ihrer Mutter einen Ausdruck von Grausamkeit – oder wie sie es formuliert: „Sie checkt nicht, dass Emanzipation nicht bedeutet, Männer umzubringen, das ist einfach ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen.“ Cezaria möchte die wachsenden Probleme im Land lieber mit Liebe und Dialog regeln. Eine Art Generationenkonflikt, der sich durch die ganze Handlung der Erzählung trägt. 

Irgendwann taucht dann noch ein alter weißer Mann (Georg Friedrich) auf und meldet sich freiwillig, eine Nacht mit der Königin zu verbringen. Wie einst Scheherazade aus 1001 Nacht erzählt er ihr eine Geschichte und hofft, sie auf diese Weise von ihrem Morden abzuhalten: die Geschichte der weißen Witwe.

Königin auf Kuschelkurs – die Spinne ist für die Herrscherin Vertraute und „Safe Space“ in einem.
Der „Eunuch“ kann da nicht mithalten.

Weiße Witwe ist Kurdwin Ayubs erste Theaterinszenierung. Die 1990 im Irak geborene Drehbuchautorin und Regisseurin ist vor allem für ihre Filme Sonne und Mond bekannt. Beide Filme bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Religion, Emanzipation und Identität. Sonne wurde bei der Berlinale 2022 unter anderem mit dem Preis für den besten Erstlingsfilm ausgezeichnet. Mond wurde 2024 auf dem Locarno Film Festival mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. Der Film, in dem übrigens Florentina Holzinger mitspielt, Österreichs anderer weiblicher Shootingstar (und demnächst in verantwortungsvoller Position an der Volksbühne), läuft Ende März in Deutschland. 

Auch in Weiße Witwe greift Ayub, die als Kind mit ihren Eltern aus dem Irak geflohen ist, diese Themen auf. Im Gegensatz zu ihren filmischen Werken, die sich gerade durch ihre Schlichtheit und den nüchternen Ton auszeichnen und mit wenig Musik und Dramatik auskommen, ist die Theaterinszenierung ein einziger fiktiver Rausch. Es wird zu Technomusik gefeiert, mit Kunstblut herumgeschmiert und Nebel ins Publikum gewirbelt. Die Kostüme glitzern oder erinnern, wie die Niqabs in Kombination mit weißer Unterwäsche und Katzenohren, an BDSM-Fetische wie Pupplay

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