Zu Kindergeburtstagen hat es die Piñata schon nach Deutschland geschafft, die Weihnachtsversion dagegen ist hierzulande noch weitgehend unbekannt. Meist kommt sie in der Form eines Sterns mit sieben Zacken daher, leuchtend bunt, aus Pappmaché gefertigt. Jeder Zacken steht für eine der sieben Todsünden, die es zu überwinden gilt: Wollust, Völlerei, Neid, Hochmut, Habgier, Zorn und Trägheit. Mit verbundenen Augen und einem Stock bewaffnet schlagen Kinder – und nicht selten auch Erwachsene – auf die Figur ein, bis sie zerbricht, und Süßigkeiten, Früchte und kleine Geschenke herabregnen.
Interessanterweise geht die Weihnachts-Piñata auf vorspanische Wintersonnenwendfeste der Azteken zurück, die zu Ehren des Kriegsgottes Huitzilopochtli begangen und von den spanischen Missionaren im Kolonialzeitalter gezielt umgedeutet wurden. Was heute wie ein fröhliches Kinderspiel aussieht, ist also in Wahrheit ein erstaunlich langlebiges Produkt kolonialer Umerziehung, das sich mittlerweile als Brauchtum in Mexiko eingebürgert hat.
Georgien: Der Bart des heiligen Basilius
In Georgien gehört nicht zwingend ein Tannenbaum ins Haus, häufig aber ein Chichilaki. Gefertigt wird er aus getrockneten Haselzweigen, die in feine Streifen geschnitzt werden und dann spiralförmig an einem Holzstab aufgehängt werden. Meist steht der Chichilaki auf Tischen oder Fensterbänken, es gibt aber auch ausgewachsene Exemplare, die stattlichen Tannenbäumen in nichts nachstehen.
Dabei stellt der Chichilaki keinen Baum dar, sondern den Bart des heiligen Basilius. Der ist so etwas wie die georgische Version des Weihnachtsmanns. Geschmückt wird er mit getrockneten Früchten, Blumen und Brotringen. In der Krone sammeln sich dem Glauben nach die Sorgen und Verfehlungen des vergangenen Jahres. Am 19. Januar, kurz vor dem georgisch-orthodoxen Dreikönigsfest, wird der Chichilaki deshalb verbrannt und seine Asche verstreut. Ein kathartischer Ritus, um die Altlasten buchstäblich in Rauch aufzulösen. Manche bewahren ihren Chichilaki allerdings auch auf und stellen ihn in den Weinkeller, wo er fortan über Fässer und Flaschen wacht.
Vereinigte Staaten: Die Gurke am Baum
An vielen amerikanischen Weihnachtsbäumen hängt eine Gurke. Sie ist gar nicht so leicht zu finden, denn sie hat natürlich erstens fast dieselbe Farbe wie der Baum und wird zweitens möglichst gut versteckt. Wer die „Christmas Pickle“ am Weihnachtsmorgen als Erster entdeckt, bekommt ein zusätzliches Geschenk – oder das Versprechen auf ein Jahr voller Glück, je nachdem, wie ausprägt der Glaube an marktwirtschaftliche Anreizsysteme im fraglichen Haushalt ist.
Kurioserweise denken viele Amerikaner, die Gewürzgurke am Baum sei eine deutsche Tradition. Das könnte daran liegen, dass sie Ende des 19. Jahrhunderts erstmals in den Katalogen deutschstämmiger Glasbläser aus Thüringen auftauchte. Damals war sie zwar nur eines von vielen kuriosen Objekten im Sortiment, die man zum Schmücken des Baums bestellen konnte. Und dennoch hat sie sich bis heute durchgesetzt. So sehr sogar, dass selbst an manch deutschem Baum heute eine Gurke hängt.
Irland: Die Kerze im Fenster
Die Iren gelten gemeinhin als besonders gastfreundlich. Besonders im Süden des Landes stellen viele katholische Familien in der Weihnachtszeit deshalb eine einzelne Kerze ins Fenster, die nicht nur Maria und Josef den Weg nach Bethlehem weisen soll, sondern auch Vorbeikommenden signalisiert, dass in diesem Haus jeder willkommen ist. Niemand soll Weihnachten allein feiern.
Das erzählte man zumindest den Protestanten, die die irischen Katholiken mit den sogenannten Strafgesetzen im 17. und 18. Jahrhundert unterjochten. Denn eigentlich diente die Kerze im Fenster als geheimes Zeichen für umherziehende katholische Priester. Ihnen signalisierte es, dass sie in diesem Haus unbeschadet die Messe lesen konnten. Später wurde die Kerze – die traditionell vom jüngsten Kind entzündet wird – zum Symbol für Gastfreundschaft. Und zum stillen Gebet für jene, die an Feiertagen besonders fehlen, wie Verwandte in der Ferne oder Verstorbene.
Frankreich: Die Krippe für jedermann
In der Provence gehört zur Weihnachtszeit nicht nur die Krippe, sondern eine ganze kleine Gesellschaft: die Santons. Die handbemalten Tonfiguren bringen seit dem 18. Jahrhundert das biblische Geschehen in die Alltagswelt Südfrankreichs (und umgekehrt). Neben Maria, Josef und dem Jesuskind stehen dort der Bäcker, die Lavendelbäuerin, der Schäfer, die Briefträgerin, der Fischer oder sogar der Fußballfan – alle haben Platz in der Krippe.
Entstanden ist die Tradition während der Französischen Revolution, als öffentliche Krippendarstellungen verboten waren und sich das religiöse Leben ins Private zurückzog. Die Provenzalen bastelten sich eigene Figuren aus Brotteig, bemalten sie und bauten sie in ihren Wohnungen auf. Daraus entwickelte sich ein Kunstgewerbe, das bis heute existiert. Die Figuren werden in kleinen Werkstätten aus Ton geformt, gebrannt und von Hand bemalt. Die Profession des Santonniers ist ein eigenständiger Ausbildungsberuf.
Polen: Das Stroh unter der Tischdecke
In Teilen Deutschlands, zum Beispiel im Erzgebirge, im Vogtland oder in der Lausitz, gehört das sogenannte Heiligabendstroh zum festen Inventar des Festes. Es wird unter dem Tannenbaum ausgelegt und darauf die Krippe platziert. Andernorts landet es gleich unter der Tischdecke. Zum Beispiel in Polen. Die Botschaft ist beide Mal dieselbe: Es soll an die Geburt Christi im Stall erinnern, an Armut, Demut und den denkbar größten Anfang unter denkbar einfachen Bedingungen.
Wer Heiligabend an einem polnischen Esstisch Platz nimmt, sollte also nicht fragen, warum hier eigentlich Stroh liegt. Und sich auch nicht wundern, dass einer der Plätze zwar eingedeckt ist, aber leer bleibt. Viele halten die Geste für den Fall aufrecht, dass jemand in Not anklopft, auch wenn das heute selten passiert. Auf den Tisch kommen Rote-Bete-Suppe, Pierogi, Sauerkraut oder Karpfen, und gegessen wird in zwölf Gängen – einer für jeden Monat des kommenden Jahres.
Dänemark: Die Wichteltür
In viele dänische Wohnungen zieht zur Adventszeit ein stiller Untermieter ein: der Nisse. Damit er überhaupt einen ordentlichen Wohnsitz hat, wird in einer unauffälligen Ecke, knapp über dem Boden, eine winzige Tür angebracht, hinter der der Wichtel vom 1. Dezember bis Weihnachten Quartier bezieht. Oft wird dieses Türchen mit liebevoller Ernsthaftigkeit möbliert, mit Miniatur-Pantoffeln, Besen und Briefkasten.
Der Nisse, so heißt es, hilft dem Weihnachtsmann bei den Geschenken und nimmt seine Rolle sehr ernst. Wer ihn vergisst oder schlecht behandelt, sollte sich nicht wundern, wenn sich nachts das Mobiliar verschiebt, Autoschlüssel verschwinden oder Mandarinen in Schuhen auftauchen. Doch der Nisse ist kein böswilliger Geist, eher ein sensibler Hüter der häuslichen Ordnung. Seine Gunst lässt sich leicht gewinnen: Eine Schale Milchreis am Abend genügt, und der Wichtel bleibt zufrieden hinter seiner kleinen Tür.
Philippinen: Der leuchtende Stern
Das philippinische Pendant zum Weihnachtsbaum ist der Parol, ein leuchtender Stern, der in Fenstern, an Straßenkreuzungen und über Hausfassaden strahlt. Traditionell gefertigt aus Bambus und feinem Papier, reicht seine Geschichte bis in die spanische Kolonialzeit zurück. Verwurzelt ist der Parol in einer Prozession, die in den frühen Morgenstunden an den neun Tagen vor Weihnachten stattfindet. Aus den einst schlichten Laternen entwickelte sich während der amerikanischen Kolonialzeit die heutige, am Stern von Bethlehem orientierte Form, oft umgeben von einem stilisierten Heiligenschein. Bis in den Januar hinein bleiben die Parols hängen und werden erst nach dem Dreikönigstag abgenommen – als leuchtendes Bekenntnis zur wohl längsten Weihnachtszeit der Welt, die auf den Philippinen schon im September beginnt.
Spanien: Der hölzerne Prügelknabe
In Katalonien kommt zu Weihnachten ein Wesen ins Haus, das jeder sentimentalen Verklärung zuverlässig den Boden entzieht: der Caga Tió. Der bemalte Holzklotz mit Gesicht, roter Barretina und Decke wird Anfang Dezember ins Wohnzimmer gestellt, mit Nüssen, Mandarinen und Süßigkeiten gefüttert und am Heiligabend gemeinschaftlich verprügelt. Begleitet von einem derben Lied scheidet er daraufhin Geschenke aus.
Der Caga Tió ist kein Ausrutscher, sondern Ausdruck katalanischer Weihnachtsethik: Das Fest darf ruhig ein bisschen anarchisch sein. Dass nebenan mit dem sogenannten „Scheißer“, der berühmten Krippenfigur in der Hocke, gleich noch jemand seinen Geschäften nachgeht, fügt sich nahtlos ins Bild.