Weichtiere | Neun Gehirne und Geheimsprache: 10 Fakten weiterführend den Oktopus

A

wie Aliens

Sie können mit ihren Armen denken, mit ihrer Haut sehen, mit ihren Saugnäpfen schmecken, Tintenwolken ausstoßen und ihre Hautfarbe verändern – Oktopusse sind so andersartig, dass man meinen könnte, sie stammten von einem anderen Planeten. Die auch Kraken genannten Tiere stellen unsere fein säuberlich getroffenen Kategorien auf den Kopf: was welches Körperteil kann, welche Tiere schlau sind, warum sie schlau sind – nämlich nicht aus denselben Gründen wie wir Menschen – und ob der Mensch das schlaueste aller Tiere ist – in vielerlei Hinsicht nicht.

Der britische Zoologe Martin Wells verglich sie deswegen mit Aliens. Und eine Forschungsgruppe um den Molekularimmunologen Edward J. Steele geht noch einen Schritt weiter: Sie erwägt, dass Oktopusse tatsächlich Außerirdische sein könnten. Die Erklärung dazu: Vor mehreren hundert Millionen Jahren landeten gefrorene Oktopuseier an Bord eines Meteoriten auf der Erde. Diese „kosmische Erklärung“ wird jedoch nicht ernsthaft in Betracht gezogen.

G

wie Gehirne

Zur Anzahl der Krakengehirne kursiert die berühmte Zahl neun. So viele Gehirne sollen sie haben: ein Zentralgehirn und jeweils eines in ihren acht Armen. Ganz korrekt ist das aber nicht, denn Oktopusse haben in ihren Armen keine zusätzlichen Gehirne, die auch wie solche aussehen. Was sie dort aber haben, ist die Mehrzahl ihrer insgesamt 500.000 Neuronen.

Genau wie in unserem Körper steuern sie dort die Kommunikation zwischen Gehirn und Körper, nur eben dezentral (→ Aliens). „Wir sind so sehr an unsere zentralisierte neuronale Kontrolle gewöhnt, dass wir anderen Modellen gegenüber misstrauisch sind“, sagt die Oktopusforscherin Jennifer Mather. „Es ist eher wie der Gegensatz zwischen einer Diktatur und einer Demokratie.“ In dieser Analogie wären wir Menschen also die Diktatur und die Oktopusse die Demokratie.

I

wie Iridophoren

Sie können ein Spektrum funkelnder Töne reflektieren und funktionieren im Prinzip wie Seifenblasen: Wenn die Iridophore sehr dünn ist, reflektiert sie kürzere Wellenlängen wie blaues Licht; wenn sie dicker ist, längere Wellenlängen wie Gelb und Rot. Iridophoren sind eine von drei Hautschichten, die es den Oktopussen ermöglichen, unentwegt ihr Aussehen zu verändern. Zuoberst liegen die Chromatophoren, mit Pigmenten gefüllte, elastische Säcke. Ziehen sie ihre Muskeln zusammen, dehnen sich die Säcke aus und enthüllen leuchtend rote, braune oder gelbe Pigmente.

Zuunterst liegen die Leucophoren, die das gesamte Licht aus der Umgebung reflektieren, und dazwischen die Iridophoren. Mit ihnen können die Oktopusse sogar polarisiertes Licht reflektieren, das wir Menschen nicht sehen können, dafür aber manche ihrer Fressfeinde. Außerdem vermuten Forschende, dass die Oktopusse mit polarisierten Reflexionsmustern untereinander auf einem „privaten“ Kanal kommunizieren – mit einer Art Geheimsprache.

K

wie Kryptid

Die Kryptozoologie befasst sich mit der Erforschung von Lebewesen, für deren Existenz es nur schwache Beweise gibt: der Kryptiden. Zu ihnen zählen etwa Bigfoot, das Monster von Loch Ness, Drachen – und Riesenkraken. Sie wüten seit Jahrhunderten in Sagen, Erzählungen und Romanen, und zwar sowohl mit Zügen von Oktopussen als auch von zehnarmigen Kalmaren.

Selbst Jules Verne brachte die beiden Tierarten in seinem Roman 20.000 Meilen unter dem Meer (1869) durcheinander. Darin kämpfen Kapitän Nemo und seine Crew mit Beilen und Harpunen gegen einen Schwarm Riesenkraken. Sein Zeitgenosse Victor Hugo verbreitete mit seinem Roman Die Arbeiter des Meeres (1866) währenddessen die Angst, man könne von Kraken bei lebendigem Leibe ausgesaugt werden. Die Schriftsteller entfesselten einen jahrhundertelangen Krakenhass (→ Aliens).

L

wie Leib und Seele

Es lässt sich ziemlich sicher sagen: Oktopusse haben einen Geist. Wo sich dieser unkörperliche Teil im Körper verorten lässt, ist schon für uns Menschen schwer bis gar nicht zu beantworten. Der Oktopus aber scheint gänzlich außerhalb der generellen Aufteilung von Körper und Geist zu leben. Das ist eine Herausforderung für das philosophische Leib-Seele-Problem, das sich vereinfacht ausgedrückt mit der Frage beschäftigt, wo der Geist im Körper wohnt.

In der Philosophie gibt es dazu etliche widerstreitende Meinungen, zum Beispiel, dass es nur Geistiges gibt und die Materie rein in der Vorstellung existiert (was mittlerweile nicht mehr ernsthaft in Betracht gezogen wird) oder dass das Geistige einzig ein Produkt der Materie ist (was noch immer in Betracht gezogen wird). Aber von welcher Materie sprechen wir hier? Die meisten würden den Geist im → Gehirn oder im Herzen vermuten. Ein Krake hat aber nicht nur mehrere Gehirne, er hat auch drei Herzen. Sein ganzer Körper ist Geist – oder sein ganzer Geist Körper.

P

wie Pflaumenkuchen

Oktopusse sind Ausbruchskünstler. Beinahe jedes Aquariumspersonal hat Geschichten davon zu erzählen, wie sie sich durch Abflussrohre oder lückenhafte Abdeckungen davonmachen – um zum Beispiel in Nachbarbecken auf Jagd zu gehen. Wie Henry Lee, einstiger Direktor des Aquariums in Brighton, 1875: „Nachdem er zufällig oder auf andere Weise entdeckt hatte, dass sich nebenan ein für seinen Gaumen geeignetes Gehege mit lebendem Vieh befand, stattete er diesem häufig nächtliche Wildererbesuche ab, und nachdem er alle Reste seiner Mahlzeitweggeräumt hatte, schlich er regelmäßig vor Tagesanbruch nach Hause.“

Lee kam dem Oktopus schließlich auf die Schliche, weil der sich im fremden Becken schlafen legte. Trotzdem fand der Direktor, dass ein Aquarium ohne Oktopus „wie ein Pflaumenkuchen ohne Pflaumen“ sei.

R

wie Rettungsboot

Oktopusse werden im Schnitt nur zwei bis vier Jahre alt. Die meiste Zeit davon sind sie allein (→ Zweckgemeinschaft). Wenn sie sich treffen, greifen sie sich meist gegenseitig an und oft frisst der Sieger des Kampfes den Verlierer auf. Sie machen dabei wenig Unterschiede zwischen Jungen und Älteren oder Fremden und Verwandten. Bisweilen fressen Erwachsene Jungtiere und Eier, und es kann vorkommen, dass ein Oktopus seine Geschwister frisst. Denn Oktopusse legen Tausende Eier und die daraus schlüpfenden Larven wachsen alle für sich allein auf, Geschwister kennen einander nicht.

Der Ausgang fast immer: Der Größere gewinnt und frisst den Kleineren. Besonders häufig fressen Weibchen die Männchen nach der Paarung. Das klingt grausam, ergibt aber Sinn: Oktopusse sind nur begrenzt in der Lage, Energie in ihren Körpern zu speichern. Kannibalismus ist ein Weg, stattdessen Energie in der Population zu erhalten und wird deswegen als „Rettungsbootmechanismus“ bezeichnet. Gewissermaßen opfern sich einzelne Individuen – wenn auch unfreiwillig – für das Überleben der Art.

S

wie Spiegel

In den Siebzigerjahren entwickelte der amerikanische Psychologe Gordon Gallup den Spiegeltest. Er galt lange Zeit als die beste Methode, um einer Tierart Bewusstsein nachzuweisen. Das Tier wird dafür mit einem roten Punkt an einer Körperstelle markiert, die es ohne die Hilfe eines Spiegels nicht sehen kann. Reagiert es beim Anblick seines Spiegelbildes auf die Markierung, indem es zum Beispiel seine Pose verändert, um die Markierung besser sehen zu können, wird das als Beweis gewertet, dass es sich seiner eigenen Existenz bewusst ist.

Allerdings haben nur wenige Tierarten (wie Delfine oder Elstern) diesen Test bislang bestanden, die Oktopusse sind nicht darunter. Das zeigt aber nicht, dass sie kein Bewusstsein haben (→ Leib und Seele), sondern dass die Grundannahme falsch ist, dass alle Tiere eine visuelle Selbstwahrnehmung haben.

V

wie Vampirtintenfisch

Sein lateinischer Name ist Vampyroteuthis infernalis, wörtlich übersetzt bedeutet das „Vampirtintenfisch aus der Hölle“. Den Namen hat man dem Tiefseekraken wegen seiner tiefschwarzen bis blassroten Hautfarbe und der Häute (→ Iridophoren) verliehen, die sich zwischen seinen acht Armen aufspannen wie der Umhang eines Vampirs.

Tatsächlich aber ist der maximal dreißig Zentimeter große Vampirtintenfisch der harmloseste aller Kraken, denn er ernährt sich neben kleinen Ruderfußkrebsen als einziger Kopffüßer von Meeresschnee – organischem Abfall aus den oberen Wasserschichten, die schneegleich in die dunklen Tiefen rieseln. Das verrottende Plankton, die Hautfetzen und Fäkalien fängt er mit zwei zusätzlichen fadenähnlichen Armen, zählt man sie mit, hat er also zehn Arme (→ Aliens). Er hat riesige Augen – im Verhältnis zur Körpergröße die größten aller Lebewesen –, die ihm in 600 bis 1.200 Metern Tiefe helfen, zu sehen. An seinen Flossen und den Armspitzen kann er pulsierend leuchten sowie Wolken aus leuchtenden Partikeln erzeugen.

Z

wie Zweckgemeinschaft

Wie schon erwähnt, verbringen Oktopusse den Großteils ihres Lebens allein (→ Rettungsboot) – mit einigen wenigen Ausnahmen. Der Meeresbiologe Eduardo Sampaio vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie hat in den Gewässern vor Israel und Ägypten beobachtet, wie sie Zweckgemeinschaften bilden. Große Blaue Kraken und Fische tun sich dort zusammen, um gemeinsam zu jagen.

Oft schließen sich mehrere Fische unterschiedlicher Arten mit einem Oktopus zusammen und teilen sich die Aufgaben: Gelbe Meerbarben suchen den Meeresboden in einem größeren Umkreis ab, Glatte Flötenfische bewachen das offene Wasser und der Oktopus verfolgt die Beute in Löcher und Spalten. Auch Zackenbarsche zeigen Kraken manchmal mit Gesten, wo sich Beute versteckt. Gibt es Streit, teilt der Oktopus Schläge gegen seine Jagdpartner aus, bis Ruhe herrscht.

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