Was King Kong die Gesamtheit mit welcher Hand macht

Der Dramatiker René Pollesch ist im Februar 2024 gestorben. Neue Stücke von ihm gibt es nicht mehr. Und andere Regisseure dürfen seine alten Texte auch nicht inszenieren. Deswegen war ein „neuer“ Pollesch-Abend in der Berliner Volksbühne nur mit einem kleinen Trick möglich – und er lohnt sich.

Im Grunde ist alles schon vorbei, aber es geht trotzdem weiter. Der sechsstündige „Sommernachtstraum“ zum Beispiel, der ist vorbei. Und die geplagten Schauspieler fragen sich, was nun kommt. Das ist grob die Nichthandlung von René Polleschs „Ich weiß nicht, was ein Ort ist, ich kenne nur seinen Preis (Manzini-Studien)“. Eingeweihte erkennen hier im Titel den Verweis auf Bertolts Brechts „Die Maßnahme“, das hilft ihnen aber bei der Enträtselung der fröhlich-resignativen Zitatecollage auch nicht weiter.

Nach Polleschs Tod über ein neuaufgeführtes Stück des Autors und Regisseurs zu schreiben, hat etwas Gespenstisches. Wobei das Stück nicht neu ist, sondern 2018 Premiere feierte, allerdings in Zürich, wo es bereits abgespielt war. Nun ist „Ich weiß nicht …“ gewissermaßen nach Hause gekommen, an die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, wo Pollesch berühmt wurde und zuletzt als Intendant tätig war. Über 200 Stücke hat Pollesch geschrieben und aufgeführt. Nachspielen verboten. Das heißt: Die Stücke werden unwiederbringlich verschwinden. Und das Theater vergisst schnell.

Die Pollesch-Stücke, die noch laufen – oder wie „Ich weiß nicht …“: wieder laufen –, sind die letzten Spuren dieses großen Theatermachers, zwischen Gespensterstunde, Gedächtnisveranstaltung und Theatermuseum. Oder sollte man das etwas „entdramatisieren“, wie Pollesch es selbst tat? „Im Grunde ist alles Leben ein Prozess des Niedergangs und Leute stehen vor einem und sagen: Was ist da nur schiefgelaufen, warum sterbe ich? Naja. Und es läuft leider gar nichts schief. Es würde nur etwas schieflaufen, wenn es nicht so wäre“, heißt es am Beginn von „Ich weiß nicht …“.

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„Ich weiß nicht …“ zeigt in verdichteter Form, was Polleschs Theater ausgemacht hat. Wie bereits erwähnt, findet das ganze Schauspiel nach dem Drama statt, über das zwar geredet wird, obwohl man es nicht zu sehen bekommt. Die Schauspieler sind keine Figuren mehr, sondern haben alle einen Knacks (in dem Merve-Band, der hier als Vorlage dient, kommentiert der postmoderne Denker Gilles Deleuze den Lebenskrisentext von F. Scott Fitzgerald, wie die Eingeweihten wissen – und das hilft schon ein wenig mehr).

Der Abend hätte auch heißen können: Was Sie schon immer über Postdramatik wissen wollten, aber nie zu fragen wagten. Auf der Suche nach Antworten plappern sich Kathrin Angerer, Martin Wuttke und Marie Rosa Tietjen durch ein dichtes Knäuel aus Kalauern, Psychoanalyse und Popkultur. Wer was sagt, ist nebensächlich, hier kommt ja der Diskurs selbst in seiner ganzen Pracht auf die Bühne (wobei man nicht so genau weiß, ob das den denkenden Zuschauer wirklich braucht oder eigentlich überflüssig macht).

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Das Bühnenbild von Barbara Steiner versprüht mit den zahlreichen Glühlampen den Charme eines alten Vergnügungstheaters, von Boulevardbühnen und Hollywood. So auch die Kostüme von Sabin Fleck, die vom grotesken Naturalismus zum Glitzerexzess wechseln. Glamour und Komödie nahm Pollesch als Form, um sie mit anderen Inhalten zu verknüpfen, die er aus der postmodernen Theorie nahm. „Der nackte Wahnsinn“, aber aufgeführt von einer Truppe gewiefter Semiotiker, so kann man es sich vorstellen.

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Als man bereits denkt, da kommt nicht mehr, passiert doch noch etwas: Es ist zwar nicht die Hand Gottes, aber die Hand King Kongs, die plötzlich von oben hereinschwebt und Anlass für ein paar Freud-Lacan-Witzeleien bietet. Was macht dieses Partialobjekt hier? Oder ist es eher der große Andere? Wie auch immer, nun darf sich jeder wie einst Jessica Lange einmal auf die große dunkle behaarte Hand werfen, mit viel Melodram wie Angerer oder akrobatisch wie Wuttke mit passender Jeff-Bridges-Tolle als Perücke.

Nach 90 Minuten ist das Vergnügen vorbei, wie bei einem guten Hollywood-Film. Das Publikum spendet begeistert Applaus und eilt zur Premierenfeier. „Ich weiß nicht …“ ist nicht der beste Pollesch-Abend, aber beispielhaft für sein Theater, das nun vorbei ist. Doch es wird weitergehen, auch an der Volksbühne. Seit in den Medien Vegard Vinge und Ida Müller – womöglich übereilt? – als Interimsintendanz präsentiert wurden, sind auch schon wieder drei verdächtig stille Wochen vergangen. Offiziell ist noch nichts.

Source: welt.de

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