Was die neue EU-Regulierung zu Gunsten von Uber, Lieferando und Co. bedeutet

Das Europäische Parlament hat ein Gesetz für mehr Rechte von sogenannten Plattformarbeitern beschlossen. Das „Gesetz zur Plattformarbeit“ stand lange auf der Kippe, weil es unter den Mitgliedstaaten großen Widerstand dagegen gab, die Plattformarbeit überhaupt auf europäischer Ebene zu regeln. Zweimal ließ der EU-Ministerrat einen mit dem Europaparlament ausgehandelten Deal für einem gemeinsamen Gesetzestext platzen. Am Ende aber gelang es der belgischen EU-Ratspräsidentschaft, die die Geschäfte im Ministerrat im ersten Halbjahr dieses Jahres führt, die nötige Mehrheit zu organisieren. Lediglich Frankreich und Deutschland stimmten nicht für das Gesetz und enthielten sich. In Deutschland hatte die FDP ein „Ja“ der Bundesregierung verhindert. Um den Ministerrat an Bord zu holen, mussten das Europaparlament und die Europäische Kommission allerdings große Abstriche machen.

Es bleibt zwar bei dem Ziel, Plattformarbeiter mit normalen Angestellten gleichzustellen. So sollen sie Anspruch auf Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung erhalten. Dafür wird die Beweislast umgekehrt. Die Plattformen müssen belegen, dass sie ihre Arbeiter nicht so wie Festangestellte kontrollieren. Nur wenn sie den Nachweis erbringen, dürfen sie diese als selbständig einstufen. Dafür gibt es aber, und das ist der entscheidende Unterschied zu dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag, keinen einheitlichen europäischen Kriterienkatalog mehr. Basis ist allein das nationale Recht sowie die ohnehin bindende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Faktisch endet sich damit an der bisherigen Rechtslage wenig.

Deutsche Europapolitiker zeigten sich dennoch begeistert. „Heute ist ein sehr guter Tag für die 30 Millionen hart arbeitenden Plattformbeschäftigten, die meist viel zu wenig verdienen und häufig kaum abgesichert sind“, sagte die SPD-Europaabgeordnete Gaby Bischoff. Von einem „echten ‚Gamechanger‘“sprach der CDU-Abgeordnete Dennis Radtke. „Scheinselbständigkeit, schlechte Arbeitsbedingungen und unzulänglicher Arbeitsschutz können effektiver bekämpft werden.“ Der Digitalverband Bitkom kritisierte hingegen, dass ein „Flickenteppich nationaler Regelungen“ entstehen werde, der „neue Rechtsunsicherheit für alle Beteiligten“ schaffe.

Bleibt letzten Endes alles beim Alten?

Die betroffenen Unternehmen geben sich deshalb betont gelassen. Nach Angaben des Parlaments werden mit der Einigung mindestens 5,5 Millionen zu Unrecht als scheinselbständig eingestufte „Gig-Arbeiter“ – der Begriff spielt auf den Musikerjargon für Auftritte an – neu eingestuft. Insgesamt gab es in der EU zuletzt 28 Millionen Plattformarbeiter. Ihre Zahl wird nach Schätzungen bis zum Jahr 2025 auf 43 Millionen steigen. Viele arbeiten etwa in der Lieferdienstbranche oder für Fahrtenvermittler wie Uber und Bolt. Sie rechnen nur mit geringfügigen Änderungen für Plattformen und Arbeitnehmer. „Die EU-Gesetzgeber haben für die Beibehaltung des Status quo gestimmt“, teilt Uber auf Anfrage mit. Der Essenslieferdienst Wolt und der Mobilitätsanbieter Free Now äußern sich auf Anfrage ähnlich wie Uber. Der Marktführer Lieferando begrüßt die neue Gesetzgebung sogar. Sie würde es den Mitgliedstaaten der EU erleichtern, „Scheinselbständig­keit zu bekämpfen und die Bedingungen innerhalb unseres Sektors anzugleichen“.

Dahinter steckt ein entscheidender Unterschied im Geschäftsmodell Lieferandos im Vergleich zur Konkurrenz. Lieferando stellt alle seine Fahrer nach eigenen Angaben seit 2016 direkt an. Die Wettbewerber Uber Eats und Wolt arbeiten stattdessen in Deutschland mit dritten Logistikdienstleistern zusammen. Die Unternehmen argumentieren, dass die Fahrer bei den „Partnerunternehmen“ fest angestellt seien. Die Drittunternehmen arbeiteten nicht exklusiv für eine Plattform, sondern für mehrere. Damit treffe der Vorwurf der Scheinselbständigkeit nicht zu. Ähnlich verhalte es sich beim klassischen Fahrtvermittlungsgeschäft, meinen Uber und Bolt . Dort seien die Fahrer auch angestellt, meist bei privaten Mietwagenunternehmen.

Alles schaut auf die nationale Gesetzgebung

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die viele Lieferando-Fahrer vertritt, hält von dieser Sichtweise naturgemäß wenig. Die Fahrer bekämen eben nicht von den Subunternehmern gesagt, wo sie hinzufahren haben, sondern von der jeweiligen App. Damit liege die Verantwortung bei den Plattformen. „Mit der Richtlinie werden endlich diejenigen Anbieter, die Festanstellungen vermeiden und stattdessen bei der Auslieferung der Bestellungen auf ein Heer von Scheinselbständigen setzen, an die Kandare genommen“, sagte NGG-Vorsitzender Guido Zeitler. „Wir erwarten, dass die Bundesregierung die Richtlinie zeitnah umsetzt.“

Innerhalb von zwei Jahren müssen die Mitgliedstaaten das Gesetz in nationales Recht umsetzen. Davon werden viele Konsequenzen für den deutschen Markt abhängen. Klar dürfte sein, dass kein Plattformarbeiter nur auf Grundlage der Entscheidung eines Computeralgorithmus entlassen werden darf. Es muss ein Mensch das letzte Wort haben. Die Plattformen müssen ihre Mitarbeiter darüber informieren, welche Rolle Algorithmen etwa bei der Vergabe von Aufgaben spielen. Zudem werden die persönlichen Daten der Plattformarbeiter besser geschützt.

Alleine diese Transparenz verursache höhere Kosten, sagt Mike Schwanke, bei der Managementberatung Atreus für digitale Geschäftsmodelle zuständig. Er rechnet auch mit einer eher strengeren Auslegung des Gesetzes in Deutschland, auch wenn die FDP bremsen dürfte. Sollten die Plattformen tatsächlich die Fahrer direkt beschäftigen müssen, wäre das ein großer Kostentreiber für die ohnehin chronisch defizitären Anbieter, sagt Schwanke. „Das wird entweder zu einer Marktkonzentrierung auf die wenigen Unternehmen führen, die durch hohe Volumen Gewinne erzielen können – oder die Kosten werden an die Verbraucher weitergegeben.“

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