Nahezu 200 Jahre lang schaffte es die US-Regierung, ihre Arbeit ohne fiskalisch erzwungene Unterbrechung fortzusetzen. Wenn es der Kongress nicht rechtzeitig schaffte, Mittel für die Regierungsarbeit zu bewilligen, wurde das als ein administrativ-technisches Problem betrachtet, das in angemessener Zeit zu beheben sei. Die Behörden arbeiteten einfach weiter, die Museen öffneten, die Fluglotsen regelten den Luftverkehr.
Dann an einem Tag im Jahr 1980 ließ der demokratische Präsident Jimmy Carter seinen Generalstaatsanwalt prüfen, ob die Praxis mit der Verfassung zu vereinbaren sei. Der betraute Jurist Benjamin Civiletti kam zum brisanten Ergebnis, dass die Regierungsarbeit einzustellen sei, wenn der Kongress es versäumt, rechtzeitig Mittel bereitzustellen. „Das Eingehen von Verpflichtungen oder die Verausgabung von Mitteln zu einem gesetzlich nicht ausdrücklich autorisierten Zweck würde einen Verstoß gegen das Gesetz zur Verhinderung nicht bewilligter Haushaltsausgaben darstellen“, schrieb Civiletti an den Präsidenten.
Aber er ging noch weiter: Sein Justizministerium beabsichtige, die strafrechtlichen Bestimmungen des Gesetzes gegen Bundesbedienstete durchzusetzen, die ihre Behörden ohne Finanzierung weiterlaufen lassen. Geldstrafen von bis zu 5.000 Dollar und bis zu zwei Jahren Haft sieht das Gesetz vor. Damit war der „Shutdown“ erfunden. Der Demokrat Civiletti hatte das nicht gewollt. In einem Interview mit der Zeitung „Washington Post“ sagte er 2019, er habe sich nicht im Traum ausgemalt, dass Shutdowns ein größeres Ausmaß annehmen und für politische Spiele genutzt würden.
Seit 1980 verzeichnet das Archiv des Repräsentantenhauses zehn Shutdowns. Die allermeisten währten nicht länger als ein bis drei Tage, mit entsprechend geringen Folgen für das öffentliche Leben und die Wirtschaft. Das änderte sich während der Regierungszeit von Präsident Bill Clinton, als die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus erreichten. Unter ihrem Anführer Newt Gingrich wollten sie den Präsidenten zu einschneidenden Haushaltskürzungen zwingen. Schon damals ging es um Subventionen für die staatlichen Krankenversicherungsprogramme, die die Republikaner kürzen wollten. Clinton verhinderte die Kürzungen per Veto.
Gingrich orchestrierte daraufhin zwei Shutdowns, von denen einer 21 Tage dauerte. Clinton münzte die Shutdowns in einen politischen Sieg für sich und die Demokraten um. Das schreckte beide Parteien für rund eine Dekade ab, Shutdowns zu inszenieren. Doch seit den frühen 2000er Jahren tauchten sie wieder auf. Der letzte Shutdown währte die Rekorddauer von 34 Tagen, von kurz vor Weihnachten bis zum 25. Januar 2019.
Sonderbefugnisse für den Haushaltsdirektor des Weißen Hauses
Die wirtschaftlichen Folgen blieben mild: Der Shutdown 2018/2019 verringerte das Wachstum im vierten Quartal 2018 um 0,1 Prozentpunkte und im ersten Quartal 2019 um 0,2 Prozentpunkte, ermittelte das Haushaltsbüro des Kongresses. Die Lohnzahlungen für die beurlaubten Staatsdiener werden inzwischen ausgeglichen, sobald der Kongress die Haushaltsmittel bewilligt. Bis dahin sitzen sie allerdings auf dem Trockenen. Schwerer trifft es Unternehmen, die von Staatsaufträgen leben und nun vergeblich auf Anschlussaufträge und Zahlungen warten. Sie waren schon durch das DOGE-Programm gebeutelt worden, als zahlreiche Aufträge gekündigt wurden.
Eine neue Dimension bekommt der aktuelle Shutdown dadurch, dass der Haushaltsdirektor des Weißen Hauses, Russell Vought, durchsickern ließ, dass er den Shutdown für Entlassungen im großen Umfang nutzen will. Tatsächlich hat der Haushaltsdirektor in Phasen, in denen die Regierungsarbeit mangels Finanzierung durch den Kongress ruht, erweiterte Kompetenzen. „Schon ein nur momentaner Ausfall der Haushaltsbewilligungen – ein Shutdown von Minuten oder Stunden – würde Vought die Befugnis geben, die Behördenleiter anzuweisen, über die üblichen Zwangsbeurlaubungen („temporary, nonduty, nonpay status“) hinauszugehen und zu RIFs (Personalabbau mit dauerhaften Entlassungen) umzuschwenken“, warnt der Verwaltungsexperte Donald Kettl, emeritierter Professor an der Universität von Maryland und ehemaliger Dekan ihrer Fakultät für öffentliche Ordnung. Vought könnte die Programme auswählen, die die Regierung ohnehin abschaffen wollte, und anderen sehr drastische Kürzungen verpassen. Es steht auch die Drohung im Raum, dass Vought Bundesmittel für Infrastrukturprojekte in demokratisch regierten Bundesstaaten blockieren könnte.
Allerdings sind vor allem die Entlassungen von Staatsdienern im großen Stil für die Republikaner nicht zwangsläufig ein Thema, mit dem man Wahlen gewinnt. In Virginia, das von Washington, D.C., durch den Potomac-Fluss getrennt ist, hat die Demokratin Abigail Spanberger Aussichten, den scheidenden republikanischen Gouverneur Glenn Youngkin zu beerben. Sie hat die Beschneidung des Regierungsapparats und deren wirtschaftliche Folgen für Virginia zum Kernstück ihres Wahlkampfs gemacht. Nach den letzten Umfragen liegt sie deutlich vor ihrem Widersacher.