Vorn an der Corneliusstraße im Berliner Bezirk Tiergarten-Mitte gibt es jetzt eine Bank. Man kann darauf sitzen, die Herkulesbrücke über den Landwehrkanal beschauen und nachdenken. Schneisen für Autos sind hier durch die Stadt geschlagen, die Gegend ist keine mit viel Laufkundschaft. Ein Stück flussauf ist die Stelle, an der, Ältere erinnern sich, Freikorps-Soldaten den Leichnam von Rosa Luxemburg in den Kanal warfen.
Sehen kann man sie von der Bank aus nicht, aber man kann hier gut nachdenken über einen Satz von Friedrich Merz, immerhin steht sie direkt vor der Parteizentrale der CDU. In einer Bundestagsdebatte hatte Merz gesagt: „Eine richtige Entscheidung wird nicht dadurch falsch, dass die Falschen zustimmen. Sie bleibt richtig.“
Nunja. Die Bank ist jetzt offiziell eröffnet, es hat Reden gegeben, von der grünen Bezirksbürgermeisterin, von Abgeordneten der Linken. Nachdenkliche Reden, kämpferische, etwas Sonntagspathos. Es geht, zusammengefasst, um die Verteidigung der Demokratie vor dem Faschismus. Applaus aus vielen Händen trotz beißender Dezemberkälte.
Keiner von der CDU kam zur Eröffnung
Von der CDU kam niemand, obwohl sie ganz explizit geladen waren. Den Satz von Friedrich Merz erwähnte keiner. Damit hatte im Januar der wahlkämpfende Vorsitzende der Union einen rein symbolischen Antrag im Bundestag beschließen lassen. Es ging um Migrationspolitik, wie sie CDU/CSU so versteht: tägliche Abschiebung, Grenzkontrollen, Ausreisearrest. Friedrich Merz hatte dafür die Zustimmung der AfD einkalkuliert – ohne die wäre der Antrag gescheitert.
Nun fehlten konservative Politiker nicht nur, etliche sind auch ziemlich aufgeregt, ob der Eröffnung an der Corneliusstraße. Weit mehr haben sich mit kräftigem Vokabular gemeldet als damals bei der Bundestagsabstimmung mit der AfD: Ein CDU-Generalsekretär aus Hessen nannte das Ganze eine „schäbige Aktion“. Verschiedene Springer-Zeitungen und Internet-Livestreams hatten ordentlich Schaum in Mundwinkeln. „Ekelhaft“ sei das „Spektakel“, von „Linksradikalen“ organisiert. Kai Wegner, regierender Bürgermeister Berlins, sieht eine „Provokation, die bewusst auf Eskalation und gesellschaftliche Spaltung setzt“.
Künstlerisch, könnte man sagen, ein eher konservatives Werk
Das hat mit der Statue zu tun, die mitsamt Touristen-Erklär-Bedienfeld (Deutsch/Englisch/Spanisch) vor der Bank postiert ist. Es ist eine lebensgroße Bronzeskulptur von Walter Lübcke, naturalistisch mit Krawatte, Lächeln im Gesicht, eine Hand in der Hosentasche, die andere schlenkert zur Seite, offene Handfläche. Der ganze Mann scheint auf einen zuzugehen. Künstlerisch, könnte man sagen, ein eher konservatives Werk.
Walter Lübcke, hessischer CDU-Politiker, organisierte schon in den 1980er Jahren als Leiter von Bildungszentren Demokratie-Workshops gegen die Neonaziszene im ländlichen Raum. Er versuchte dem „Thüringer Heimatschutz“ die Unterstützer abspenstig zu machen. Der NSU führte ihn auf einer Feindesliste. Er machte Karriere im hessischen Landtag, wurde dann 2009 Regierungspräsident von Kassel. Verteidigte Aufnahmelager für Geflüchtete, berief sich auf christliche Werte gegen rechte Hetzer. Ein Rechtsextremer, Unterstützer der AfD, erschoss Walter Lübcke 2019 auf dessen Terrasse. Ein kaltblütiger politischer Mord.
Die Skulptur von Walter Lübcke, könnte man nun denken, ist eine richtige Entscheidung und sie wird sicher nicht dadurch falsch, dass die Falschen sie errichten? Tja, das sieht die CDU in diesem Fall anders. Denn geplant, beim Bezirksamt beantragt und aufgestellt hat die Skulptur das Zentrum für Politische Schönheit. Also eine Organisation, deren politischer Aktivismus bei Konservativen bis weit in die SPD (dem Verein, der auftritt wie die CDU, aber sagt, er sei etwas anderes) allergische Reaktionen hervorruft. Peter Tiede, Welt- und Bild-Großautor, sieht in ihnen „das Hässlichste, was Propaganda zu bieten hat“. Offensichtlich bohrt die Lübcke-Statue mit der ausgestreckten Hand in einer Wunde, die viele Konservative mit Mühe übersehen wollen.
Das Signal: Merz ist bei euch
Walter Lübcke ist durchaus jemand, dessen Erinnerung die CDU auf diese oder jene Weise mitträgt. Es gibt in einigen kleineren Städten Hessens Straßen und Plätze mit seinem Namen, eine Schule und der Sitzungssaal im Kasseler Regierungspräsidium heißen nach ihm. Die CDU stimmte auch dafür, als in der Stadt eine Brücke, die vorher nach dem Sozialdemokraten und Antifaschisten Karl Branner hieß, umbenannt werden sollte. Aber Bildungsarbeit gegen Faschismus? Eher weniger. Vor der Parteizentrale in Berlin ist die Statue ein Sakrileg.
Denn hinter der Glasfassade geht es um kühle Kalkulationen von Machtoptionen. Nicht erst mit Friedrich Merz schlingert die CDU zwischen Überzeugungen eher liberal-bürgerlicher Gruppierungen aus der westdeutschen CDU und ostdeutschen Parteigliederungen, in denen viele die Ideen der AfD gern komplett übernähmen. Inmitten zentrifugaler Kräfte sollen Gerede zu Brandmauern und codierte Hinweise über mutmaßlich zu viele unarisch dreinschauende Menschen im Stadtbild alle gleichermaßen beschwichtigen und signalisieren: Merz ist bei euch.
Wenn eine Künstlergruppe Walter Lübcke mit einem Lächeln auf die Parteizentrale zulaufen lässt, zeigen die Irritation, wie groß die Probleme sind, die die CDU mit ihren kleinen Lösungen für die Gegenwart hat.