Warum Galeria nicht zum Flächentarifvertrag zurück will

Der häufigste Verkäuferinnenname im Warenhauskonzern Galeria ist Petra. Sie ist im Schnitt 45 Jahre alt und arbeitet seit 17 Jahren in einer Filiale. Bei einer Wochenarbeitszeit von 37,5 Stunden bekommt Petra in der Endstufe des Verkäufertarifs aktuell 2639 Euro brutto im Monat. Zumindest in Nordrhein-Westfalen, dem größten der 17 Tarifgebiete von Galeria – und dem, wo die meisten Beschäftigten des Essener Warenhauskonzerns arbeiten. 17 Tarifgebiete gibt es, weil immer noch in Berlin Ost und West getrennt wird.

Würde Petra derzeit im Flächentarifvertrag für den Einzelhandel bezahlt werden, bekäme sie 3124 Euro. Die Gewerkschaft Verdi drängt darauf, dass Galeria zurückkehrt in diesen Tarifvertrag. Schon im Jahr 2019, als die Warenhäuser von Karstadt und Kaufhof zusammengeführt wurden und damals ein sogenannter Integrationstarif zwischen Unternehmen und Gewerkschaft ausgehandelt wurde, war eine Rückkehr auf den Flächentarif für das Jahr 2025 ausgemacht. Dazwischen liegen allerdings drei Insolvenzen, etwa 90 geschlossene Warenhäuser und der Abbau von rund 10.000 Stellen.

Galeria bietet 8 Prozent mehr Gehalt

Schon den Integrationstarif hatte Galeria in seinen Insolvenzen aufgekündigt. Jetzt, da die dritte Sanierung von den Gläubigern abgesegnet wurde und von August an neue Eigentümer die Warenhauskette übernehmen, hat Galeria ein Angebot über eine Entgelterhöhung von 8 Prozent vorgelegt, die über drei Jahre gestreckt werde. Umgerechnet bedeutet das für Petra 211 Euro mehr. Zudem bekommt sie eine steuerfreie Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 600 Euro. Außerdem will der Warenhauskonzern seine Verkäuferinnen – 83 Prozent der Belegschaft sind Frauen – stärker nach Leistung bezahlen. Wer mehr verkauft, bekommt Prämien, die an den Umsatz des Hauses gekoppelt sind.

„Im Moment wenden wir 17 verschiedene regionale Tarifverträge an. Mit einem solchen Flickenteppich können wir nicht weiterarbeiten“, sagte Guido Mager im Gespräch mit der F.A.Z. Er ist Finanzvorstand und Arbeitsdirektor des Warenhauskonzerns. „Wir sind jetzt mittelständisch aufgestellt und brauchen schlanke Strukturen. Das gilt auch für das Tarifvertragswesen.“ Daher pocht Galeria auf einen einheitlichen Warenhaustarifvertrag, beibehalten werden sollen die anderen Regelungen wie etwa zum Urlaub, Kantinenzuschuss oder dem Personalrabatt beim Einkaufen.

Verdi hat den Vorschlag allerdings scharf kritisiert. So liege das Angebot Deutlich unter den jüngsten Tarifabschlüssen im Einzelhandel und vergrößere die Differenz zum Flächentarifvertrag für den Einzelhandel, die derzeit bei 29 Prozent liege, sagte Gewerkschafterin Corinna Groß, die bei Verdi die Bundesfachgruppe Einzelhandel leitet. „Wenn die Arbeitgeber das erkennen, können wir vielleicht über den Einstieg in Tarifverhandlungen sprechen.“

„Flächentarifverträge passen nicht zu uns“

Genau bei diesem Vergleichswert verläuft die Konfliktlinie. „Der Flächentarifvertrag des Einzelhandels ist schon lange keine Referenz mehr für uns als Warenhaus“, sagt hingegen Mager der F.A.Z. „Das ist nicht mehr unsere Fläche.“ Das Unternehmen verweist auf die rückläufige Tarifbindung im Einzelhandel. „Flächentarifverträge passen vielleicht noch für den Lebensmitteleinzelhandel und Discounter, aber nicht zu uns“, sagte Mager. „Wir brauchen eine Vergütungsstruktur, die Verkaufserfolg belohnt, denn die Kunden kaufen bei uns, wenn wir uns aktiv um sie bemühen. Im Supermarkt bedienen sich die Kunden selbst.“

Tatsächlich ist die Tendenz besonders im Handel sichtbar. Nach einer Studie des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) ist der Anteil der Betriebe in Deutschland mit Tarifbindung von 44 Prozent im Jahr 2000 auf 24 Prozent im Jahr 2023 gesunken. Nach Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) liegt der Anteil der Betriebe mit Flächentarif im Einzelhandel bei 17 Prozent, 1 Prozent mit Haustarif kommen noch hinzu. Diese Tarife schließen für 2023 nur noch 23 Prozent der Beschäftigen im Einzelhandel ein.

Beim Treffen mit Verdi hat Mager nach eigener Angabe deutlich gemacht, dass es für den Konzern keine Möglichkeit gebe, in einen Flächentarif zurückzukehren. „Wir zahlen in Wirklichkeit heute schon über dem Wettbewerbsniveau, wenn man sich die ganze Branche ansieht und nicht nur die Minderheit der tarifgebundenen Unternehmen“, sagte Mager. Damit bezieht sich der Manager auf Zahlen des WSI-Vergleichsportals Lohnspiegel.de: Dort liegt Petra schon mit ihren 2639 Euro brutto um 6,8 Prozent über dem Vergleichstarif – viele Einzelhändler zahlten also schlechter.

„Aber wir wollen noch mehr erfolgsorientiert vergüten“, sagte Mager. Für Häuser, wo die Geschäfte gut laufen und viel Umsatz erzielt wird, hat der Warenhauskonzern seine erfolgsorientierte Bezahlung einmal simuliert. Dort kämen Mitarbeiter auf gut 1000 Euro zusätzlich im Quartal. „Mit so einem Anreiz wird sich das Unternehmen erfolgreich aufstellen. Und die Kunden werden es merken bei engagierten Mitarbeitern.“

Die Gewerkschaft Verdi verweist ihrerseits darauf, dass Tarifverträge das Ergebnis von Verhandlungen seien und nicht von „einseitigen vorschnellen Angeboten von Arbeitgebern, die die Bedeutung der Tarifautonomie nicht zu kennen scheinen“, wie die Gewerkschafterin Groß kritisierte. Galeria will sich in der nächsten Woche wieder mit den Verdi-Vertretern treffen, bestätigt ist der Terminvorschlag noch nicht. „In der aktuellen Situation gibt es bei unseren Mitarbeitern wenig Verständnis für lange Verhandlungsmarathons“, sagte Mager, „wir sind gegenüber unseren Beschäftigten verpflichtet, ihnen schnell Klarheit zu bringen. Unser Angebot liegt auf dem Tisch.“ Die Idee des Warenhauskonzerns: Im September will er die Einmalzahlung überweisen, und dafür muss bis Ende August eine einvernehmliche Lösung her. Deshalb drückt Galeria aufs Tempo.

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