Warum ein junger Mann nicht zum Besten von sein Land ringen will

Der linke Publizist Ole Nymoen hat eine Streitschrift gegen den Wehrpatriotismus verfasst. Darin verteidigt er die angeblich egoistische Haltung der Wehrdienstkritiker – und entblößt die Widersprüche des Liberalismus.

In den Aufrüstungsplänen Deutschlands und der EU werden mittlerweile mehrstellige Milliardenbeträge wie Wechselgeld gehandelt und allerorten die Wiedereinführung der Wehrpflicht gefordert. Man fragt sich, warum in einem Land, dass in den vergangenen Jahrzehnten so stark von der Friedensbewegung geprägt wurde, kaum intellektueller Widerspruch zu vernehmen ist. Selbst der Bundessprecher der Grünen Jugend, Jakob Blasel, schreibt bei X: „Wer in dieser Weltlage noch immer zögert, Europas Freiheit auch mit Waffen zu verteidigen, ist nicht links – sondern naiv und unsolidarisch.“

Nun, einer der nicht nur zögert, sondern sich deutlich gegen den neuen Wehrpatriotismus positioniert, ist der Publizist und Podcaster Ole Nymoen. Sein neues Buch trägt den aussagekräftigen Titel: „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde“. Und obwohl das ein wenig ich-zentriert klingt, bringt der 27-Jährige – also im besten Kriegsdienst-Alter – bedenkenswerte Argumente vor.

Da wäre zunächst die Feststellung, dass im Falle eines militärischen Angriffs nicht nur die Invasoren Gewalt gegen die Bürger des überfallenen Landes ausüben, sondern auch die Regierung des angegriffenen Staates – zumindest seinen Wehrpflichtigen gegenüber. „Sie müssen ihrem Land dienen, ganz egal, wie sie sich subjektiv zu dem Krieg und den beteiligten Mächten stellen“, schreibt Nymoen.

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In den meisten Kriegen haben Bürger nicht die Wahl, ob sie kämpfen wollen, viele werden dazu gezwungen. Mittlerweile gibt es etwa zahlreiche Berichte über die Zwangsrekrutierungsmaßnahmen der ukrainischen Regierung, viele Wehrpflichtige versuchen sich dem Dienst an der Waffe zu entziehen.

Nymoen entwickelt eine Typisierung der Regierungslogik des verteidigenden Landes: „Die Herrscher eines Staats stellen den eigenen Machtausbau oder -erhalt, also ihre staatliche Souveränität, über das Leben der Bürger“. Regierungen verlangen also den Einsatz des Lebens seiner männlichen Bürger, ob sie nun wollen oder nicht – und unabhängig davon, ob sie Fremdherrschaft nicht dem eigenen gewaltsamen Tod vorziehen.

Und tatsächlich stellt sich bei allen Kriegen, bei denen es vornehmlich um die Aneignung von Territorium und nicht um die Vernichtung der gegnerischen Bevölkerung geht, die Frage, ob sowohl für das Individuum als auch das Land als Ganzes, eine Kapitulation nicht sinnvoller wäre.

Wer für das „Wir“ den Kopf hinhalten soll

Eine provokante These, die sich aber durchaus diskutieren ließe. „Ein ausgebombtes Land, das weiterhin unter derselben politischen Herrschaft steht wie zuvor, mag zwar den ‚Feind‘ besiegt haben. Dafür hat es aber einen guten Teil seiner männlichen Bevölkerung sowie seiner Infrastruktur verloren – und ist damit ökonomisch kaum noch lebensfähig“, schreibt der Autor.

Nymoen ist für seinen Wirtschaftspodcast „Wohlstand für alle“ bekannt und bezeichnet sich selbst als Kämpfer für einen „modernen Sozialismus“. Entsprechend prägt sein Buch eine Klassenanalyse. So sieht er etwa in Deutschland ein Ungleichgewicht: Einerseits wird mit der Forderung nach einer Wehrpflicht Einsatzbereitschaft für die Allgemeinheit verlangt, andererseits fördere der Staat Armut und Ungleichheit (Stichwort Agenda 2010), zementiere Konkurrenzdenken und stelle die „Wettbewerbsfähigkeit“ über die Interessen der Erwerbstätigen. Ein solcher Staat könne nicht gleichzeitig von seinen Bürgern bedingungslose Solidarität unter Einsatz des eigenen Lebens einfordern.

Auch wenn Deutschland weit von einem Militäreinsatz zur Heimatverteidigung entfernt ist. Die Analyse stimmt. In vielen Kriegen ist es die Arbeiterklasse, die für das „Wir“ den Kopf hinhalten soll. Selten sind es Staatenlenker, Think-Tank-Experten oder Journalisten, die ihr Leben an der Front aufs Spiel setzen.

Nymoen beruft sich in seiner Argumentation auch auf liberale Erzählungen – und auf deren Widersprüche. Wenn ohnehin jeder nur für sich selbst der Nächste ist und jeder gemeinwohlorientierte Eingriff in das Leben der Bürger – sei es durch Steuererhöhungen oder Tempolimits – eine unzulässige Einschränkung der Freiheit ist, warum sollte man dann ausgerechnet das eigene Leben für ein „Wir“ oder ein „Land“ aufs Spiel setzen? Eine berechtigte Frage. Die angeblich egoistische Haltung der Kriegsdienstkritiker hält der neoliberalen Ellenbogengesellschaft den Spiegel vor.

Und dennoch hat die Streitschrift Schwächen. Zum einen ist da die Scheu, die ausgebreiteten Thesen konsequent auf das Beispiel Ukraine anzuwenden. Wieso nicht einfach benennen, um welchen Krieg sich das Buch offensichtlich dreht – statt theoretisch von „Staat X“ und „Staat Y“ zu sprechen? Während Nymoen konkret auf den Ersten Weltkrieg und andere Konflikte Bezug nimmt, um seine Argumente zu untermauern, umschifft er die Debatte um die Ukraine weitgehend.

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Zudem wirken die kurzen Kapitel in dem mit viel Weißraum auf 144 Seiten gestreckten Essay teilweise holzschnittartig. Der Autor kritisiert zum Beispiel in einem kurzen Abriss über das Völkerrecht die Verlogenheit der selektiven Geltendmachung desselben. Bei Feinden stellt man Völkerrechts-Brüche heraus, bei Verbündeten ignoriert man sie. So weit, so richtig.

Hier hätte man noch auf die verbreitete Formulierung „völkerrechtswidriger Angriffskrieg“ auf die Ukraine eingehen können, während in der kollektiven Erinnerung der Irakkrieg immer noch als Irakkrieg bezeichnet wird und nicht als „völkerrechtswidriger Angriffskrieg auf den Irak“.

Aber der politische Missbrauch heißt noch lange nicht, dass völkerrechtliche Übereinkünfte nicht trotzdem eine normative Wirkung entfalten können. Ja, die USA haben ein Gesetz verabschiedet, dass die gewaltsame Befreiung von Soldaten aus Den Haag vorsieht, wenn diese dort angeklagt werden. Aber der Internationale Strafgerichtshof erfüllt dennoch einen wichtigen Zweck. Völkerrecht ist nicht nur eine „pseudomoralische Waffe“, wie Nymoen schreibt.

Insgesamt lohnt sich die Lektüre des Buchs dennoch – vor allem als Handreichung für Leser in Nymoens Alterskohorte, die möglicherweise selbst darüber nachdenken, sich zum Militärdienst zu melden.

Interessant übrigens: Nur 22 Prozent der Grünen wären laut einer Umfrage des Ipsos-Instituts bereit, Deutschland im Falle eines militärischen Angriffs mit der Waffe zu verteidigen. Das ist der niedrigste Wert aller Parteien.

Ole Nymoen: „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde“. Rowohlt Taschenbuch, 144 Seiten, 16 Euro.

Source: welt.de

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