Warum die wichtigste Zutat jener Dubai-Schokolade sozusagen aus jener Türkei kommt

Geschmäcker sind verschieden. Auch ganz unabhängig von kulturellen Unterschieden hängt der individuelle Geschmackssinn stark von der physischen Ausstattung eines Menschen ab. Ob Sie etwas wirklich schmecken können, und wie viel genau Sie schmecken können, ist mit der Anzahl der Geschmacksknospen auf Ihrer Zunge zu erklären. Je höher ihre Anzahl der Geschmacksknospen, desto umfangreicher ist auch Ihr Geschmackssinn.

Wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge gibt es dabei drei Grundtypen: 25 Prozent der Menschheit sind sogenannte „Non-Taster“, die nichts schmecken. Ihr Motto lautet: „Wichtig ist, dass ich Kalorien und Vitamine zu mir nehme, und mich so am Leben erhalte. Am liebsten wäre mir, es gäbe eine Pille dafür und damit wäre die Nahrungsaufnahme erledigt“. Dagegen sind etwa die Hälfte der Menschen „Medium-Taster“, also mit einem durchschnittlichen Geschmackssinn gesegnet. Die letzten 25 Prozent sind sogenannte „Super-Taster“, die den differenzierten Geschmack einer Speise vollumfänglich erfassen.

Etwas zu schmecken ist ebenso wichtig wie das Beschreiben des Geschmacks, und das Diskutieren des Geschmacks. Während einige mutige Menschen sehr klar benennen können, was ihnen schmeckt (oder nicht), sind andere empfänglicher für die jubelnden Kritiken anderer Menschen, hinter denen sie sich verstecken – sie beschreiben ihre Geschmackserlebnisse mit geborgten Worten. Etwa von Influencern.

Wie nun schmeckt die Dubai-Schokolade wirklich?

Die Dubai-Schokolade hat der Süßwarenwelt einen neuen Drive beschert, und die Chocolatiers dieser Welt werden wieder erfinderisch: Die Türken, in Genussfragen stets kreativ, lieferten sogleich eine Dubai-Schokoladen-Version mit Haselnussmus statt Pistaziencreme, eine „Trabzon-Schokolade“, (benannt nach Trabzon, der Stadt am Schwarzen Meer, der weltweit bekannt ist für den Haselnussanbau, Anm.d.Red.). Obwohl die Region die Haselnusslieferantin weltweit ist und den Markt eigentlich dominieren könnte, ist die krude türkische Landwirtschaftspolitik nicht in der Lage, den jährlich sinkenden Absatz und somit den immer kleiner werdenden Produktionsanteil auf dem Weltmarkt zu stoppen. Nicht lange, und die Haselnuss wird wieder dorthin zurückgehen, wo sie ursprünglich herstammt: Wenn China die Türkei auf dem Weltmarkt überholt, wird die Volksrepublik die weltgrößte Lieferantin für Haselnüsse.

Aber nicht nur türkische Haselnüsse fanden ihren Weg in die gefüllte Schokolade. Sogar eine Version mit Sardellen haben sich gewiefte Leute, die in den sozialen Medien zu Berühmtheit gelangen wollten, ausgedacht.

Der Hype um die Dubai-Schokolade geht zurück auf die Food-Influencerin Maria Vehera, der auf TikTok über 2,4 Millionen Menschen folgen. Ihr Video, das die Schokolade der Marke „Fix“ anpreist, wurde bereits über 101,6 Millionen Mal gesehen. Diese Marke gehört der ägyptisch-britischen Sarah Hamouda, die ihre Firma bereits 2021 in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) gründete.

Knafeh ist das Markenzeichen der Marke „Fix“

In den Vereinigten Arabischen Emiraten? Warum nennt man sie dann Dubai-Schokolade? Dubai ist neben Abu Dhabi, Adschman, Dubai, Fudschaira, Ra’s al-Chaima, Schardscha und Umm al-Qaiwain eines der Emirate in den VAE. In einem Interview erklärt das Hamouda so: Als sie schwanger war, hatte sie Lust auf Schokolade. Aber das, was sie suchte, fand sie in keiner Schokoladenkreation. Also habe sie sich von orientalischen Desserts inspirieren lassen und so ihre eigene Schokolade kreiert. Sie hätte nicht gedacht, dass das jemals so populär werden würde.

Das war das Startzeichen für die Schokolade, für die sich Menschen derzeit weltweit in Schlangen anstellen. Auch online. In Deutschland etwa ist der Versand der dort begehrten „Kikis Kitchen“ Schokolade erst ab dem 29. Januar 2025 möglich – wenn jetzt bestellt wird.

Die Dubai-Schokolade, die Hamouda hier meint, ist die mit Knafeh-Füllung, die inzwischen das Markenzeichen des Produkts von „Fix“ geworden ist. Und hier fängt die Kritik an. Der türkische Parfumeur Vedat Ozan wurde auf Twitter sehr deutlich: „Das ist keine Schokolade. Da die Zutaten die Menge, die man als Füllung sehen würde, weitaus überschreiten, ist es eher ein schokoladenüberzogenes Dessert. Mit viel Glück hat die äußere Schokoladenschicht auch die entsprechende Menge an Kakaomasse“.

Künefe, Knafeh, Kadayif: Wer hat es erfunden?

Es gibt noch weitere Missverständnisse in der Dubai-Schokolade. Denn in der Theorie wird Knafeh, oder auf Türkisch: Künefe, als Teil der arabischen Küche verhandelt. Manche verorten den Ursprung in Palästina, im Libanon, in Syrien. Von Nablus ist die Rede. Doch würden nur Banausen, die sich in der gastronomischen Welt nicht auskennen, Kadayif (also Engelshaar, ein Hauptbestandteil von Knafeh) der arabischen Küche zuordnen. Denn das ursprüngliche Kadayif in der arabischen Küche ist flachgewalzt, fast pancake-artig. In der türkischen Küche ist diese spezielle Form, die gebacken und anschließend mit Zuckersirup übergossen wird, auch als „Steinbrot“ bekannt.

Will man wirklich erfahren, woher ein bestimmtes Gericht stammt, sollte man zuerst auf die Zutaten achten. Auch wenn bestimmte Küchen keine Nationalität haben, sondern Regionen, so geben bestimmte Gerichte Aufschluss über die Herkunftsküche und die innovativen Änderungen des Ursprungsrezepts. „Ist das Knafeh libanesisch, palästinensisch, syrisch?“ Wer hier weiterkommen will, muss sich wohl fragen, wer das Engelshaar eigentlich mal erfunden hat.

In der mittelalterlichen arabischen Küche ist Knafeh/Künefe ein dünnes Teigblatt, im Osmanischen Reich erst bekam es die Kadayif -Fädenform. Flüssiger Teig wird hierfür durch einen siebartigen Topf auf ein erhitztes Kupferblech gepresst. Das älteste Rezept stammt aus dem Jahr 1430 und ist auf Türkisch. Vielleicht reicht das schon als Beleg, um die türkische Küche hier ins Spiel zu bringen.

Bleibt zu erwähnen, dass die Dubai-Schokolade von „Fix“ zwar auf dem Engelshaar basiert, aus dem die heute türkische und arabische Süßspeise Knafeh/Künefe besteht – aber keineswegs Knafeh ist. Knafeh nämlich enthält traditionellerweise Käse, das süße Engelshaar wird damit überbacken. Und trotzdem steht Knafeh auf der Fix-Dubai-Schokoladenpackung. Hier wird kommunikativ verwirrt.

Schlechter Ayran: Die wahre Macht der Dubai-Influencer

Und so zeigt der Hype um die Dubai-Schokolade, wie sich die Kommunikationswege im 21. Jahrhundert verändert haben. Über Zeitungen, Magazine und Messen ließen sich die Konsumenten des 20. Jahrhunderts erreichen, das klingt heute ähnlich altmodisch wie eine durch die Familien vermittelte Ehe. Wer heute mit den richtigen Influencern zusammenarbeitet, kann schnell einen neuen Hype kreieren, um alte Rezepte herum. Wie gut das Produkt ist – etwas für Medium-Taster, oder für die Feinschmecker? Unwichtig, vor allem, wenn die Zutaten keine großen Kosten verursachen.

Auf der Welt leben etwas mehr als vier Milliarden Medium-Taster mit durchschnittlichem Geschmackssinn. Wie wir bei der Dubai-Schokolade sehen können, ist unter ihnen eine Vielzahl von Menschen, die anpreisen, was ihnen sogenannte Super-Taster an Geschmackssinn voraushaben. Denn es ist einen Versuch wert: Aus der Klasse der Durchschnittlichkeit in die Klasse der Superioren zu gelangen und zumindest im eigenen Umfeld als Super-Taster bekanntzuwerden.

Meine verstorbene Großmutter hatte für solche Phänomene eine Geschichte parat: „Ein Verkäufer hielt sich stets am belebten Istanbuler Eminönü-Platz auf und verkaufte dort sein abgestandenes Joghurtgetränk. Wer einmal davon trank, erwarb natürlich kein zweites Glas. Doch der Verkäufer verkaufte es noch weitere vierzig Jahre“.

Kutsi Akilli ist ein türkischer Food-Journalist. Dieser Text erschien zuerst auf der wissenschaftlichen Online-Plattform GazeteBilim

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